Die Anschläge von Oslo: Massenmord als PR-Aktion
Der Oslo-Attentäter hat seine beide Taten gestanden. Über seine Motive veröffentlichte er ein 1500 Seiten langes Manifest. Er dachte, die Taten nicht zu überleben.
STOCKHOLM taz | Der am Freitagabend von der norwegischen Polizei verhaftete 32-jährige Anders Behring Breivik hat sowohl den Bombenanschlag im Regierungsviertel von Oslo, wie auch die Bluttat im Lager der Jungsozialisten auf der Insel Utøya gestanden. Das teilte die norwegische Polizei am Sonntagvormittag mit. Laut seines Anwalts Geir Lippestad bedauere er diese Taten auch nicht. Ihm gegenüber habe sein Mandant sie als "grausam aber notwendig" eingestuft.
Mittlerweile ist auch ein schriftliches Bekenntnis von Breivik öffentlich geworden. Ein "Manifest", in dem er seine Taten zu rechtfertigen und seine Beweggründe zu erklären versucht. In dem 1500 Seiten langen englischsprachigen Text mit dem Titel "2083. A European Declaration of Indepence" sieht er sich selbst als Kreuzritter. Auf Youtube war auch ein von ihm produziertes 12-minütiges Video, "Knights Templar 2083", aufgetaucht, in dem er mit Waffen posiert und eine von dramatischer Musik unterlegte Zusammenfassung seines Manifests gibt.
Die Periode von 1968 bis heute bezeichnet er als die einer "kulturellen marxistischen Vergewaltigung" und die der letzten zehn Jahre als "islamische Kolonolialiserung" Europas. "Die Zeit für den Dialog ist vorbei. Wir haben dem Frieden eine Chance gegeben." Nun würden die "Tempelritter stellvertretend für die freien Menschen in Europa den kulturmarxistischen/multikulturalistischen Regimen in Westeuropa den vorbeugenden Krieg erklären". Faktisch herrsche seit 1999 in Europa Bürgerkrieg: "Mit dem Angriff der NATO auf christlich-serbische Truppen, die ihnen das Recht nahmen den Islam in ihrem Vaterland zu stoppen".
Breivik gibt an, schon vor neun Jahren mit seinen Anschlagsvorbereitungen begonnen zu haben. Damals war der Mitglied der Jugendorganisation der rechtspopulistischen "Fortschrittspartei" und zeitweise auch Vorsitzender und Vorstandmitglied eines Ortsverbands gewesen. Er habe sich bemüht für alle die ihn kennen "als gemäßigter rechtsorientierter Mann, nicht als Widerstandskämpfer" zu wirken.
Teilweise als Tagebuch formuliert, teilweise in Form eines Interviews mit sich selbst berichtet er von Kindheit und Jugend, dem Aufwachsen mit vier Halbgeschwistern. Er erzählt, wie er seine wahren Gedanken und Pläne vor Freunden und Bekannten verheimlichen musste - sowohl um diese nicht zu gefährden, als auch die Polizei nicht auf sich aufmerksam zu machen. Im Detail schildert er Attentatsvorbereitungen, gibt Anleitungen zum Bau von Bomben und Schutzanzügen. Er habe sich mit der Einnahme großer Mengen anaboler Steroide auf seine Taten vorbereitet.
Diese seien weniger direkt gegen die norwegische Regierung bzw. das Lager der Jungsozialisten gerichtet, sondern sollten dazu dienen, internationale Aufmerksamkeit für sein Manifest zu erzeugen: Eine Art PR-Aktion. Er rechnete damit, den Anschlag selbst nicht zu überleben und fürchtet, die Medien würden seine Botschaften verdrehen. 95 Prozent aller Europäer würden ihn für seine Taten hassen und ihn als Terroristen bezeichnen, schätzt er selbst ein. Aber viele würden ihn später verstehen und erkennen, dass er recht habe.
Per E-Mail hatte Breivik eine Stunde vor dem Bombenanschlag in der Osloer City dieses Manifest offenbar an eine Reihe von Adressaten in der rechtsextremen Szene Europas verschickt. Darunter an einen führenden Politiker der finnischen Partei "Wahre Finnen". Er lobt auch deren Parlamentsabgeordneten Jussi Halla-Aho und den holländischen Politiker Geert Wilders, weil diese konsequent gegen die multikulturelle Gesellschaft protestierten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden