Essay: Die Ernordung der Lokalteile
Im Hamburg-Bremer-Jubeljahr ist es an der Zeit, die leidvolle Geschichte vom allmählichen Verfertigen publizistischen Sinns beim täglichen Produzieren von nord-Seiten zu erzählen.
HAMBURG taz | Und dann war der Kalte Krieg ausgebrochen, mitten im nordwestdeutschen Tiefland, im Frühling des 14. Jahrs seit Maueröffnung, und die Glienicker Brücke war der Saal der Gaststätte Am Bahnhof 8 in Rotenburg/Wümme, halbwegs zwischen Bremen und Hamburg. Dort hat taz nord begonnen.
Nur, an der Glienicker Brücke fand stets Austausch statt, im Novembergrauen, meist regnete es. Und es war bald Mai, sonnig, alle Knospen sprangen, Vögelein sangen, tandaradei, als in der Rotenburger Bahnhofskneipe der offizielle Redaktionsleiter Hamburg und der informelle von Bremen einander gegenüber saßen. Der eine trug eine verspiegelte Sonnenbrille. Der andere wärmte die Hände unter den Achseln. Der Kaffee wurde kalt.
Nicht immer ist es fair, über das Lächerliche zu lachen. Es war ja keiner aus freien Stücken da. Der Zwang war ökonomisch: Anfang Februar 2003 war Karl-Heinz Ruch, der Geschäftsführer, aus Berlin eingeschwebt und hatte verkündet, dass Bremen und Hamburg künftig zwei Seiten gemeinsam zu produzieren hätten. Schock. Klar hatte der Vorstand so etwas Ende Januar beschlossen. Aber Beschlüsse, naja.
Dann lagen jedoch die Jahres-Bilanzen der norddeutschen Lokalteile vor. Und die waren nicht mal mehr bescheiden. Das Minus aus Altona betrug 140.000, das von der Weser 25.000 Euro, und war dort nur deshalb so niedrig, weil man sich gerade kollektiv eine Gehaltskürzung genehmigt hatte. In Hamburg bildete sich, unterstützt von den Journalisten-Gewerkschaften, eine Tarifkommission - mit der die Geschäftsführung nicht sprach.
Das Bremer Plenum hatte sich dagegen ganz dolle vorgenommen, den Kalle noch zu überreden. Dass eine Fusion kulturell höchst unterschiedlicher Lokalteile zweier sich seit ewig hassender Städte publizistisch nicht sinnvoll ist, mensch, Kalle, sieh! das! doch! ein! Aber der: Die Sinnfrage sei Sache der Redaktion, und die Teilfusion doch schon ins laufende Halbjahr vorzuziehen. Wegen der Zahlen. Lieber im März als im April. Müssen's denn echt volle zwei Seiten sein? Nein. Drei könnt ihr sehr gerne auch machen. Knallhart. Oh, diese verdammten Scheißzahlen!
Der April ging zu Ende. In Rotenburg/Wümme musste etwas vereinbart werden. Ein Formelkompromiss, was sonst? Erstens: Büroeröffnung in Hannover, macht der Schöne-Kai. Geklärt. Zweitens: Ab 7. Juli hatte die Seite 24 stets, die 23 und die 22 je dreimal im Wechsel in Norddeutschland zu erscheinen, montags als Sport, weil Fußball. Und der Kalle, der würde schon sehen, was er von der Fusion hätte. Pah!
Trotz und Zorn und Rebellion sind ethisch bedeutsame Impulse. Und sie waren ja legitim. Es war ja etwas weggemacht worden, dem man Liebe gewidmet hatte. Die zwei Lokalchefs fassten das mal in die Metapher "die taz hackt sich zwei Beine ab". Mindestens lässt sich sagen: Das Abgetrennte gehörte zum Selbstbild nicht nur irgendwie dazu. Gäbe es denn eine Zeitung, die einen höheren Grad der Mitarbeiter-Identifikation ermöglicht und erzwingt als die taz? Die Nord-Ausgaben vom 7. 7. 2003 bis ins vierte Quartal 2004 dokumentieren einen grimmigen Trotz, den sich die Stadtredaktionen wechselseitig, beide Berlin, und fast alle der ganzen Welt entgegenschleudern: Seht doch, wie wir leiden!
Fürs Publikum waren sie eine Zumutung. "Vernichtet sich die Einheit der Unterschiede dadurch, dass sie in den Widerspruch übergehen, ohne in die Einheit zurückzugehen, entsteht Disharmonie", beschreibt Karl Rosenkranz den Vorgang schon volle 150 Jahre zuvor - in der Ästhetik des Hässlichen (1853). Ihr Eindruck ähnele dem, "den Kranke einer Irrenanstalt machen, von denen auch jeder rücksichtslos seine Rolle fortspielt".
Jetzt heißt's Danke sagen und Füße küssen. Die taz-LeserInnen sind wunderbar. Sie sind zudem das rätselhafteste Publikum der Welt. Sie hätten uns ja im Stich lassen müssen. Taten sie nicht. Sie ließen sich aber auch nicht klaglos zwangspsychiatrisieren. Sie haben kritisiert, zornig, ja, aber konstruktiv und ermutigend: "Lokale Ereignisse bekommen nicht automatisch überregionale Relevanz, weil jetzt auch Bremer LeserInnen erfahren, dass in Kiel ein Fass Sprotten umgekippt ist", steht in einem Brief der Frühphase. Er erfahre ja sogar "gern, was in Hamburg und Hannover los ist", aber dann bitte in intelligenter Form, "Ihr könnt das doch!", und "nicht als 1:1-Übernahme von Lokal-Artikeln".
Guter Tipp. Es sollte also um Inhalte gehen. Und die benötigten eine Form. Hätte man eigentlich auch selbst drauf kommen können. War man aber nicht - außer, vielleicht, in den zwei Feuilleton-Redaktionen, die sich wechselseitig besuchten, über mögliche Kolumnen stritten, nach Markern norddeutscher Kultur fahndeten - der Backstein, die See, das Platt - und mit "Tetta Brinkema" gleich im ersten Nord-Sommer einen mysteriösen Fortsetzungs-Roman des so fiktiven wie zu Unrecht vergessenen Föhrer Konzisionisten Berend de Vries, Jahrgang 1931, ausgruben. Ein echter Coup. Das 13. und letzte Kapitel lautete: "Dann wurde es still in der Stube. Nur die alte Standuhr tickte laut und bedeutsam."
Albern? Klar. Aber es ist doch auch- nicht nur, weil's einen berühmten Roman-Beginn parodiert - der Anfang einer Bewegung. Und das war kaum die Suche nach der blauen Blume des Nordens, sondern die nach Möglichkeiten, im journalistischen Tun jenem über diverse Verwaltungsgrenzen und alle Köpfe hinwegoktroyierten Produkt taz nord Sinn zu geben - wenn's geht, täglich neu. Weil sein Sinn eben nicht so vorausgesetzt ist wie, vermeintlich, im klaren Bezugsrahmen des Lokalen. Wo Routinen einsetzen, Agenden vorliegen und Chronistenpflichten herrschen. Und wo vergessen wird, dass Nachdenken übers Zeitungmachen zur Praxis des Zeitungmachens gehört.
War das Verrat am Trotz? Wie man's nimmt. Hieß aber nicht ihn selbst, sondern seine Herrschaft zu beseitigen. Bedeutete, das wollen zu lernen, was man produzierte. Ging nicht flott.
Ging auch nicht von allein. Drei Emissäre aus Berlin haben sich, nacheinander, drum gekümmert. Intern hieß es jeweils, den werde man "auf einer Arschbacke aussitzen", der Kampf ging ja weiter. Zog sich hin, über Jahre, Quälerei, Umstrukturierungen, zwei Seiten Nord, zwei lokal, Standortentscheidungen, unterbrochen von Schließungs-Ideen, drei Nord, eins lokal. Zwischendurch kam die damalige Chefredakteurin und gab, huiuiui!, eine großzügige Beschäftigungsgarantie, bis Ende des Jahres, beim Besuch Mitte September. Und sie hielt Wort. Erst nach Neujahr wurde entlassen, und auch die verbliebene Bremer Fotoredaktion aufgelöst.
Die Gründung der taz nord - die Ernordung der Lokalteile -lässt sich nicht feiern. Sie hat keinen klaren Stichtag, sondern mehr als drei. Sie ist ein Kind der entsetzlichen Schröder-Ära, und nicht als großer Wurf, verrückte Idee, nicht aus heroischer Auflehnung oder Euphorie heraus geboren, sondern aus Berechnungen. Sie überlebt, als dauerhafter Versuch, gegen innere Widerstände, scharfe Ablehnung, ständige Skepsis und mit ewigen Selbstzweifeln. Das muss nicht die kleinere publizistische Leistung gewesen sein.
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