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Lokalreporter deckt Mord aufDas Puzzle eines Todes

Ein Lokalreporter rollt den Fall einer seit 16 Jahren vermissten Frau wieder auf und bringt die verdutzte Polizei auf die Spur ihres Mörders: des Ehemanns.

Viele Artikel, eine Frage: Gibt es das? Dass jemand alles wegwirft, um mit dem Lover abzuhauen? Und keine Spuren hinterlässt? Bild: Ausriss: „General-Anzeiger“

BONN taz | Wolfgang Kaes hätte die Anzeige, die ihn Monate lang fesseln sollte, wohl nie gelesen, wäre sie nicht durch ein Versehen auf seinem Tisch gelandet. Es ist ein Aufruf des Amtsgerichts: Die Verschollene Gertrud Gabriele Ulmen, steht da, solle sich bis zum 28. 2. 2012 bei Gericht melden, 1. Stock, Zimmer 207. Komme sie nicht und gebe auch niemand Hinweise zu ihrem Verbleib, könne sie „für tot erklärt werden“.

Kaes ist leitender Redakteur beim General-Anzeiger, einer regionalen Zeitung für Bonn und Umland, Auflage: rund 80.000 Exemplare. Wäre die amtliche Bekanntmachung kurz vor Weihnachten gleich in der Anzeigenabteilung gelandet, hätte er wohl nie von Trudel Ulmen Notiz genommen. Aber nun liegt der Name da, und Kaes wundert sich: Er könne sich gut erinnern an Vermisstenfälle, aber Ulmen, sagt er, hat er nie zuvor gehört. Auch im Zeitungsarchiv findet Kaes nichts, keine einzige Zeile.

Kaes hätte die Anzeige weglegen können, einfach weiterarbeiten. Macht er aber nicht. Er will wissen, was da passiert ist. Bei der Polizei sind sie erst mal überrascht. Ulmen? Keine Ahnung. Und beim Amtsgericht kann man Kaes nicht viel mehr sagen, als in der Anzeige steht.

Er bekommt Ulmens Bruder ans Telefon und spürt gleich, dass Thomas Lenerz unbedingt reden möchte. „Das war wie ein Hoffnungsschimmer für mich, als Herr Kaes anrief“, sagt Lenerz. „Er fragte nach Trudel, dabei hat doch nie jemand nach ihr gefragt, nicht mal die Polizei.“

Die Geschichte von Trudel Ulmen

Kaes und Lenerz treffen sich, und Lenerz erzählt: Nach der mittleren Reife lässt sich Trudel in Mayen zur Arzthelferin ausbilden. Zufällig ist auch Kaes in Mayen geboren, einer Postkartenstadt in der Eifel. Nach der Ausbildung heiratet Trudel einen attraktiven Mann aus dem Ort, sie ziehen nach Rheinbach, 50 Kilometer weiter, leben in einem frei stehenden Häuschen, alles gutbürgerlich. Man sammelt Antiquitäten, ist im Tennisclub. Trudel arbeitet in einem neurologischen Rehazentrum.

1996 aber, an einem tristen Tag im März, verschwindet sie aus dieser Idylle. Thomas Lenerz erfährt das damals von ihrem Mann. Der meldet seine Frau bei der Polizei als vermisst: Sie habe das Haus verlassen, um zur Arbeit zu fahren, sei aber nie dort angekommen, sagt er. Ihren Wagen habe er auf einem Parkplatz gefunden. Verlassen. Trudel Ulmen ist damals 41 Jahre alt.

Bild: taz

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Die Familie ist beunruhigt. Trudel weg? Einfach so? Da muss was passiert sein. Doch vier Tage später meldet sich der Mann erneut bei der Polizei und erzählt, worüber sich bald viele im Ort das Maul zerreißen. Seine Frau, sagt er, habe angerufen. Sie sei im Ausland, mit ihrem Liebhaber, einem portugiesischen Geschäftsmann. Sie entschuldige sich für ihren Abgang, danke für die Ehejahre, komme aber nicht zurück.

Durchgebrannt. Die Trudel. Im Ort wollen es einige plötzlich längst geahnt haben. Doch die Familie zweifelt: Trudel würde sie nicht verlassen, schon gar nicht den kranken Vater. Aber nun ist sie weg. Was bleibt, ist die Sorge um den guten Ruf einer angesehenen katholischen Familie. Also hoffen sie im Stillen. Die Mutter zündet eine Kerze an, jeden Tag. Es vergehen Monate, Jahre, die Hoffnung verkümmert, und für manchen werden die Gerüchte zu einer Wahrheit, die sich prima beim Frisör erzählen lässt.

Ungeklärtes Schicksal

Und nun also dieser Reporter, der Fragen stellt. 16 Jahre danach. Wolfgang Kaes fragt sich: Gibt es das? Dass jemand urplötzlich alles wegwirft, diese ganze sogenannte Existenz, um mit dem Lover abzuhauen? Und kann es sein, dass so jemand dabei keine einzige Spur hinterlässt? Sich nie bei einem Amt meldet oder bei einer Botschaft? Nie ans Konto geht, Geld holen? „Ich hatte das Bedürfnis, mir ein Bild von diesem Menschen zu machen, herauszufinden, wer Trudel Ulmen ist“, sagt Kaes. „Ich konnte nicht akzeptieren, dass ihr Schicksal ungeklärt bleibt.“

Kaes recherchiert. Fragt beim Bundeskriminalamt nach, bei Interpol, er spricht mit Schulfreunden, Arbeitskollegen, Sportkameraden. Er lässt Trudels alte Personalakte hervorkramen, wälzt Fachliteratur, befragt Kriminologen. Am Ende sind es 62 Leute, mit denen Kaes spricht.

Wenn er von dieser Zeit erzählt, sagt Kaes Sachen wie: „Ich habe alle Puzzleteile zusammengesetzt.“ Das passt gut, weil man heraushört, was Kaes macht, wenn er nicht rausgeht und übers Lokale berichtet. Er sitzt daheim in Bonn-Beuel, mit Blick auf den Rhein, und schreibt Krimis. Fünf Romane hat er bisher veröffentlicht, die Kritiken sind gut. Es geht um Politik, um Wirtschaft, alles präzise recherchiert, denn die fiktive Geschichte spinnt sich bei Kaes immer um einen wahren Kern.

Außerdem ist er familiär vorbelastet: der Onkel einst Kripochef, der Cousin beim LKA. Auch Kaes, Jahrgang 1958, ein ruhiger, höflicher Mann, schwankt nach dem Abitur: Polizist oder Journalist? Er entscheidet sich für eine Mischung, wird Polizeireporter beim Kölner Stadt-Anzeiger, arbeitet für den Stern, auch für die taz. Und nun eben für den General-Anzeiger.

„Vermisst. Verschollen. Und beinahe vergessen“

Anfang Januar schreibt er dort das erste Mal über Trudel Ulmen, eine Doppelseite, Titel: „Vermisst. Verschollen. Und beinahe vergessen“. Kaes hat genug gehört. Er zeichnet das Bild einer bodenständigen Frau, fröhlich und hilfsbereit. Er glaubt nicht, dass sie sich aus dem Staub gemacht hat. Zudem sagen die Experten, dass – außer vielleicht geübten Schwerkriminellen – jeder, der sich absetze, eine Spur hinterlasse.

Bei der Polizei ahnen sie jetzt wohl langsam, dass hier ein Journalist ein dickes Ding ausgräbt. Anfangs sind die Beamten reserviert. Eine Akte gibt es nicht mehr, der Fall galt damals als aufgeklärt, und Akten aufgeklärter Fälle schnarren nach fünf Jahren durch den Reißwolf. Noch dazu sind die Beamten nicht mehr jene von damals. Es dauert ein bisschen, bis sich so ein Apparat in Bewegung setzt. Und manchmal passieren in so einem Apparat auch Fehler.

Kaes recherchiert und schreibt weiter, der Fall lässt ihm keine Ruhe. Mit Thomas Lenerz telefoniert er manchmal sogar nachts. Lenerz will dann wissen, ob der Reporter Neuigkeiten hat, aber die hat er nicht immer, und das ist Kaes dann unangenehm: „Das war auch eine Last, weil ich der letzte Strohhalm war, an den sich die Familie klammerte.“ Nur Trudels Ehemann wollte nicht reden, nichts mehr wissen von früher.

Die Polizei ermittelt

Als endlich auch die Polizei ermittelt, stößt sie auf einen anderen alten Fall: Ebenfalls 1996, ein paar Monate nur nach Trudel Ulmens Verschwinden, wird 40 Kilometer von ihrem Wohnort entfernt eine Leiche gefunden, verscharrt im Wald. Die Tote trägt seltene Kleidung, Designerware, hat ein auffälliges Gebiss. Aber die Polizei ist ratlos, schaltet das FBI ein, fahndet bei „Aktenzeichen XY“, doch – kein Hinweis, nichts, die ganze Zeit. Erst jetzt, 16 Jahre später, stellt sich nach einem DNA-Test heraus: Die Tote im Wald – es ist Trudel Ulmen.

Eine Frage wird laut: Weshalb hat die Polizei das nicht längst überprüft? Ein Arbeitskollege von Trudel Ulmen kommt damals zur Polizei, fragt nach einem möglichen Zusammenhang. Die Polizei fährt zu Ulmens Mann, doch der verneint: die Kleider, das Gebiss, auf gar keinen Fall.

Heute ist klar, dass die Polizei damals dem mutmaßlichen Täter glaubte. Trudel Ulmens Exmann sitzt jetzt in U-Haft. Er hat gestanden, seine Frau mit einem Kissen erstickt zu haben, angeblich nach einem Streit. Ein paar Monate nach der Tat heiratet er wieder, wird Vater. Trudels Familie warnt er: Nicht zu viele Fragen, sonst komme nur noch mehr Schmutz ans Licht.

Spricht man heute mit Thomas Lenerz darüber, spürt man seine Erregung. Diese Geschichte hat die Familie mitgenommen, durchgewirbelt, aber nun haben sie Gewissheit. Wolfgang Kaes sind sie dafür so dankbar, dass Lenerz sagt, Kaes müsse das Bundesverdienstkreuz bekommen. Und seine Schwester, sagt er, heiße ab jetzt nicht mehr Ulmen, sie heiße wieder Lenerz. Gertrud Gabriele Lenerz, genannt: Trudel.

Kaes ist erschöpft, das merkt man. Irgendwann, sagt er, sei ihm fast die Luft ausgegangen. Zwischendurch glaubt er, sich verrannt zu haben. Doch er macht weiter: misstrauisch, neugierig, ganz Journalist.

Vor ein paar Wochen setzen sie Trudel Lenerz bei, in Mayen, ihrer und seiner Heimatstadt. Ihr Leichnam ist bis dahin anonym bestattet, in einem Kammergrab. Die Feier findet im engsten Familienkreis statt, nur Kaes darf dabei sein. In der Redaktion liegen da schon die ersten Anfragen. Leser, die jemanden vermissen, bitten den Reporter um Hilfe. Für alle wird er keine Zeit finden. Das ist Wolfgang Kaes dann sicher unangenehm.

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2 Kommentare

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  • G
    georg

    Sehr gute Geschichte, habe ich aber schon mehrfach gelesen. Warum erschent sie jetzt bei der taz, nachdem sie im GA und diversen andren Blättchen durch ist? Komisch? Eine Erklärung dafür?

  • J
    Jörn

    Die Polizei war auf der richtigen Spur und hat dem Hautpverdächtigen dieser Spur geglaubt und damit diese Spur nicht weiter verfolgt. Sie hat weder andere Leute befragt noch einen DNA-Test (der damals durchaus verfügbar war) gemacht.

    Kann eine Ermittlung so schlampig laufen oder gab es Gründe weshalb da nicht weiter ermittelt wurde? Gab es Verbindungen zwischen dem Täter und den ermittelnden Polizisten? Mir scheint der Skandal könnte noch einiges grösser sein, als bislang bekannt.