Die Wahrheit: Todgeweihte Versager
Die bittere Wahrheit über unannehmbar krankhafte Kassenpatienten.
Die Situation des Kassenpatienten ist nicht die beste. Er ist zum Synonym geworden für einen todgeweihten Versager, den Leichtgläubigkeit, mangelndes Talent und wirtschaftliches Ungeschick in eine aussichtslose Lage getrieben haben. Und wo es früher auf unseren Schulhöfen hieß „Fick dich selber, du Opfer“ verspotten sich die Jugendlichen heute längst mit: „Kurier dich selber, du Kassenpatient!“
Doch was hier nur als harmloser Ausdruck der Verachtung gilt, ist im Gesundheitswesen Ausdruck einer bitteren Realität. „Ich kann beim besten Willen mit Kassenpatienten keinen wirtschaftlichen Praxisbetrieb führen“, berichtet der Münchener Promi-Arzt Dr. Müller-Wohlfahrt, 70, dem SZ-Magazin.
Ein Kollege bestätigt: „Neulich hat es so eine kranke Kirchenmaus unter Vorspiegelung falscher Tatsachen doch tatsächlich am Sicherheitsdienst vorbei durch die Bonitätsschleuse und bis zum Anmeldetresen meiner Praxis geschafft. Dort hat ihn die Helferin natürlich abgelehnt – was sollen wir machen? Selbst wenn wir wollten, die Kassen zahlen ja nichts. Und er hat dann rumgetobt: ’Wozu zahle ich denn dann überhaupt noch Beiträge? Da können Sie mich ja gleich erschießen.‘ Musste ich ihm also erst mal vorsichtig auseinandersetzen, dass auch für eine derartige Leistung nun mal keiner aufkommt. Die würden mir ja noch nicht mal abrechnen, wenn ich ihn mit der Schaufel erschlage. Hat er am Ende dann auch eingesehen und ist von selber aus dem offenen Fenster gesprungen. Aber die Sprechstundenhilfe hat sich schon gegrault – was für ein schamloser Auftritt! So etwas gehört leider zu den Schattenseiten unseres Berufs.“
Das mit den Beiträgen verstünde er allerdings in der Tat nicht, fügt der Arzt hinzu, in diesem Fall müsse er „den Paria-Patienten“ ausnahmsweise beipflichten: „Das Geld wäre anstatt in Bürostühle für Bürokratenhintern in potemkinschen Glastürmen besser in halbwegs würdige Beerdigungen angelegt, für die nicht auch noch der Steuerzahler aufkommen muss. Also letzen Endes ich. So wie es jetzt läuft, bin ich praktisch der doppelt Leidtragende.“
Seufzend blickt er auf die Dankesurkunden an der Wand seines Behandlungszimmers: Queen Mum, Vader Abraham, Heike Makatsch – sie alle waren hier schon in erfolgreicher Behandlung, Privatpatienten mit Platincard und Goldkante.
Doch zum Glück gibt es nach wie vor noch Ärzte, denen Mitmenschlichkeit, Berufsethos, hippokratischer Eid und der schlichte Wunsch zu helfen über jede ökonomische Überlegung hinausgeht. Ein solcher ist Dr. Dieter Dohm. Wir treffen den fast zur Unkenntlichkeit braungebrannten Internisten in seiner Praxis an – es ist später Samstagabend, sonst hätte er wegen der Patienten keine Zeit für dieses Gespräch.
„Ich und meine fünf Geschwister sind nach christlichen Grundsätzen erzogen worden“, erläutert der Mediziner, „Ostern, Pfingsten, Weltdominotag – das wurde bei uns noch mit vollem Brimborium begangen. Entsprechend steht für mich heute der Dienst an den Ärmsten der Armen, dem absoluten Abschaum der Gesellschaft, an erster Stelle: der Dienst am Kassenpatienten.“
Immer wenn so „ein lepröses armes Schwein“ mit seinem „wertlosen Plastikmüll …“ – er prustet nun doch lauthals los: „Ich mein, da könnte er mir genauso gut ’ne Bonuskarte von Drospa unter die Nase halten!“ Rasch fängt sich Dr. Dohm wieder: „Ich suche dann zusammen mit dem Kassenpatienten in aller Ruhe nach geeigneten Lösungsmodellen. Und meistens finden wir auch eins, denn meine Privatpatienten suchen ja manchmal auch nach einer frischen Niere …“
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