Queer im Iran, queer in Berlin: "Wir sollen als Schatten leben"
In Berlin wird der CSD gefeiert, im Iran werden Homosexuelle mit dem Tod bedroht. Die Berliner Aktivistin Katayun Pirdawari spricht über deren Alltag.
taz: Vergangenes Wochenende fand das queere Motzstraßenfest statt. Dort waren Sie mit einem Stand vertreten, der über Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen im Iran aufklärte. Wie sieht die Lebensrealität von Homosexuellen im Iran aktuell aus?
Katayun Pirdawari: Die ist sehr prekär, denn Homosexualität ist im Iran verboten. Es gibt Gesetze, die Homosexuelle mit dem Tod bedrohen.
Gibt es eine subversive Community?
Klar gibt es die. Sie versuchen sich Nischen zu schaffen und treffen sich einfach trotzdem, aber in der Gesellschaft sind sie unsichtbar. Umso wichtiger ist es, auf diese Leute hinzuweisen.
Was heißt das, lebensbedrohliche Gesetze?
Wer lesbisch ist und erwischt wird, bekommt laut Gesetz hundert Peitschenhiebe. Wenn eine Frau dreimal erwischt wird, droht ihr die Steinigung. In so einem repressiven System hat Sexualität dann natürlich nichts mehr mit Genuss zu tun. Niemand kann seine Sexualität genießen, wenn er weiß, dass er deswegen gesteinigt werden könnte.
Wie sieht die gesellschaftliche Praxis aus? Werden Homosexuelle denn angezeigt?
Katayun Pirdawari
1962 in Teheran geboren; 1977, zwei Jahre vor der islamischen Revolution, immigrierte sie nach Deutschland. Sie ist Vorstandsmitglied des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg (LSVD). Ehrenamtlich ist sie für Amnesty International tätig.
Es braucht nur vier Männer, die einen der Homosexualität bezichtigen, und schon tritt der entsprechende Paragraf in Kraft. Das Problematische dabei ist, dass das schnell instrumentalisiert werden kann. Konkret: Wenn ich einen Kollegen habe, den ich nicht leiden kann, dann verbuche ich ihn als schwul, und er ist weg vom Fenster. So sieht die Praxis aus.
Gibt es auch Menschen, die sich solidarisieren?
Natürlich. Manche helfen bei der Flucht. Aber das ist natürlich auch eine Geldfrage. Flucht kostet Geld, und wer das nicht hat, muss dort bleiben und abwarten.
Sie haben sich im Fall von Samira Ghorbani Danesh sehr engagiert. Sie ist Iranerin und lesbisch – ihr Asylantrag in Deutschland wurde trotzdem abgelehnt. Werden Homosexuelle aus dem Iran nicht als politisch Verfolgte anerkannt?
Das Gesetz ist sehr schwammig formuliert. Deswegen liegt es im Ermessen des Richters. Das ist natürlich problematisch. Samiras Fall ist bei einem Richter gelandet, der über die Gegebenheiten im Iran wohl nicht Bescheid wusste und ihn mit der folgenden Begründung ablehnte: Wenn sie sich im Iran unauffällig verhielte, könne sie wie andere Homosexuelle wunderbar leben. Er könne ihren Freiheitsdrang verstehen, aber dies sei kein Asylgrund. Damit sagt man allen politischen Asylbewerbern, sie sollen sich gefälligst an das System ihres Herkunftslandes anpassen und im Schatten leben.
Laut Asylrecht muss durch sexualwissenschaftliche Gutachten eine irreversible homosexuelle Prägung nachgewiesen werden. Was soll das sein?
Das kann man natürlich nicht. Hinzu kommt, dass AsylbewerberInnen oft in einem sehr homophoben Umfeld leben. Und wer auf dem Papier „irreversibel lesbisch“ ist, ist ja unter Umständen sehr gefährdet. Aber das Einzige, was in den Köpfen existiert, ist die Vorstellung, dass diese Menschen unseren Rechtsstaat ausnutzen wollen.
Wie viele Menschen aus dem Iran beantragen in Deutschland aus diesen Gründen Asyl?
Vielleicht drei bis vier im Jahr. Das sind meist sehr gut ausgebildete Leute. Wieso nimmt ein Land mit großen demografischen Problemen diese Leute nicht einfach auf?
Gerade haben Sie dem Bundesinnenminister einen offenen Brief überreicht, der von fast 2.000 Personen unterzeichnet wurde. Mit welchem Inhalt?
Samira kam vor zwei Wochen auf mich zu und bat mich, ihr zu helfen. Daraufhin verfassten wir diesen offenen Brief. Darin fordern wir Samiras Bleiberecht.
Sie sind Vorstandsmitglied des LSVD, Mitglied bei den Grünen und Amnesty International, also politisch aktiv. Den offenen Brief haben Sie als Privatperson unterzeichnet. Weshalb?
Wenn es um Menschenrechte geht, möchte ich unabhängig sein. Den offenen Brief haben so Menschen aus allen Communitys und allen Parteien unterschrieben. Das hätten sie sonst nicht gemacht.
Christopher Street Day
Die CSD-Parade 2012 beginnt am Samstag um 12 Uhr an der Ecke Gitschiner Straße/Prinzenstraße in Kreuzberg. Den Startschuss geben der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), Innensenator Frank Henkel (CDU), die Grünen-Bundestagsfraktionschefin Renate Künast, Berlins Linksparteichef Klaus Lederer, Piratenfraktionschef Andreas Baum und Mieke Senftleben (FDP), die das Band durchschneiden. Insgesamt laufen und fahren 62 Organisationen auf 46 Wagen mit.
Die Route führt dieses Jahr über die Gitschiner Straße bis zur Wilhelmstraße, vorbei an der SPD-Parteizentrale bis zur Niederkirchnerstraße. Dann geht es über den Potsdamer Platz, Glinkastraße und Dorotheenstraße zum Reichstag bis zur Yitzhak-Rabin-Straße, wo die Parade dann ins CSD-Finale am Brandenburger Tor übergeht.
Hier beginnt ab 16.30 Uhr das Programm auf der Hauptbühne, Klaus Wowereits Rede wird für 17.30 Uhr erwartet. Ab etwa 21.30 Uhr legen DJs und DJanes auf und verwandeln den Platz vor dem Brandenburger Tor in eine riesige bunte Party. Der Schluss ist für Mitternacht angesetzt.
Seit wann leben Sie in Deutschland?
Seit 35 Jahren. Zu meiner Familie habe ich leider keinen Kontakt mehr.
Wissen die auch nichts von Ihrem Outing?
Doch. Mein Lesbischsein wurde nicht verurteilt, aber ignoriert. Die wunderten sich eher über meinen „unweiblichen“ Kleidungsstil.
In welcher Form wäre es für Sie heute möglich, im Iran zu leben?
Seit ich politisch aktiv bin, gar nicht. 1989, bevor ich Iran-Aktivistin für Homosexuelle wurde, bin ich als deutsche Staatsbürgerin eingereist, aber das wäre heute nicht mehr möglich. Ich habe diese Sehnsucht, aber ich würde doch lieber noch ein bisschen weiterleben.
Wie sieht Ihr Leben hier in Berlin aus?
Als ich einmal mit meiner Freundin unterwegs war, saß da eine große Gruppe an Menschen mit muslimischer Herkunft, die mich als Lesbe beschimpft und bespuckt haben. Da wurde mir klar, warum die Menschen sich zum Beispiel an den LSVD wenden müssen, weil nämlich innerhalb der Community große Gefahren bestehen.
Weshalb ist das so?
Marginalisierte Menschen geben Erniedrigungen oft weiter. Das ist natürlich nicht immer so. Zum Beispiel bin ich zweien aus dieser Gruppe noch einmal begegnet. Die haben sich dann bei mir für die anderen entschuldigt und betont, sie seien nicht homophob. Für die ist es natürlich schwierig, sich gegen die eigene Community durchzusetzen. Das braucht Aufklärungsarbeit und Beratung für Betroffene und Familien. Was glauben Sie, wie schwer es ist, sich in so einer Community zu outen?
Wie schwer ist es?
In streng gläubigen Familien aufzustehen und zu sagen, man ist homosexuell, das kann auch gefährlich werden. Da würde ich mich auf jeden Fall beraten lassen. Aber homophobe Gewalt erfahre ich natürlich auch von Deutschen und Nichtmuslimen.
Was für Hilfestellungen bietet der LSVD?
Es gibt zum Beispiel die Initiative Miles, die Beratung und Hilfe zur Selbsthilfe für MigrantInnen bietet. Lesben, Schwule und ihre Angehörigen können sich dort informieren.
Am Samstag findet die CSD-Parade statt. Ist das eher Plattform für politische Forderungen oder Raum zum Feiern?
Ich habe vor zwei Jahren eine Aktion initiiert, bei der wir Schilder mit „Stop killing in Iran“ vor unsere Köpfe gehalten haben. So sind wir dann, wie eine Phalanx, bis zum Ende mitmarschiert. Das war sehr politisch, aber medial wurde das nicht wahrgenommen. Wir hatten extra den RBB informiert, aber die interessierten sich nicht für die Aktion. Die wollten nur die feiernde Menge zeigen. Sehr schade. Deswegen lassen wir das dieses Jahr.
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