Fall „Mehmet“: Der kommt von hier
„Mehmet“, einst als Jugendstraftäter aus München in die Türkei abgeschoben, will zurück. Soll er wieder zurückkommen dürfen?
„Der Schrecken von Neuperlach“, „Terrorkind“ und „Deutschlands schlimmster Seriengangster“, so wurde damals, 1998, über Muhlis A. berichtet. Die Bild rechnete vor, wie viel er den hiesigen Steuerzahler gekostet habe. Muhlis A., genannt „Mehmet“, war einst der bekannteste Teenager der Republik. Jetzt will er erneut aus der Türkei nach Deutschland zurückkehren.
Er bereue, was er getan habe, sagt der heute 28-Jährige. Und schon alleine die Reaktionen auf seinen Wunsch zeigen, dass der Fall immer noch ein Aufregerthema ist. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) lehnte eine Rückkehr vehement ab: „’Mehmet‘ wollen wir hier nicht.“
Doch geht es hier eigentlich um wollen? Es geht darum, wer die Verantwortung für solch kaputte Lebensläufe übernimmt. Zunächst einmal Muhlis A. selbst, dann jedoch auch die hiesige Gesellschaft – denn der Serienstraftäter ist ihr Produkt.
Geboren wurde er 1984 in München als Sohn eines türkischen Gastarbeiters. Früh nahm er sich, was er wollte, schreckte nicht vor Gewalt und Diebstahl zurück. Für seine ersten 61 Vergehen konnte er nicht verurteilt werden, weil er noch keine 14 Jahre alt war. Seine 62. Straftat, ein schwerer Raub mit Körperverletzung, wurde ihm dann zum Verhängnis. Im November 1998 wurde er in die Türkei abgeschoben. Allein. Gerade 14 Jahre alt geworden. Die Familie blieb zurück. Günther Beckstein (CSU) wollte Muhlis A.s Eltern, die damals seit über 30 Jahren unbescholten hier lebten, gleich mit abschieben. Der damalige bayerische Innenminister scheiterte mit dieser Forderung.
Die Eltern verprügelt
Im Jahr 2002 erstritt Muhlis A. vor Gericht seine Rückkehr nach Deutschland. Er kam zurück, machte seinen Hauptschulabschluss. Drei Jahre später erpresste und verprügelte er seine eigenen Eltern. Dafür sollte er 18 Monate ins Gefängnis. Um der Haft zu entgehen, setzte er sich in die Türkei ab und seitdem betrat er keinen deutschen Boden mehr.
Sein Leben war ein Medienereignis, in Deutschland aber auch in der Türkei. Für zwei Monate arbeitete er in Istanbul als Moderator bei einem Musiksender, danach war er meist pleite und orientierungslos. „Ich möchte zurück in meine Heimat, und das ist Deutschland. Ich bin dort geboren und habe auch nach meiner Ausreise nie mit Deutschland abgeschlossen“, sagt Muhlis A. jetzt.
Falls er jetzt nach Deutschland einreisen sollte, müsste er mit seiner Festnahme rechnen. Mit einem Antrag bei der Staatsanwaltschaft München möchte sein Anwalt erreichen, dass der Haftbefehl ausgesetzt wird.
Selbst schuld?
Doch soll er überhaupt zurückkehren dürfen? Und möglicherweise durch eine Inhaftierung den deutschen Steuerzahler belasten? Es geht hier nicht um Solidarität oder um Mitleid, solche Emotionen gehören nicht in diese Debatte. Es geht um die Verantwortung und den Umgang mit Menschen, deren Verhalten die öffentliche Ordnung stören.
Etwas sarkastisch könnte man sagen „Selbst Schuld“! Es gab ausreichend Hilfsangebote für Muhlis A., er hätte doch einfach nur etwas Durchhaltevermögen haben müssen. Er durfte wieder zurück nach Deutschland und hielt sich nicht an die Regeln.
Aber solch eine Argumentation zeigt, wie scheinheilig die Debatte ist. Ein Migrant, auch wenn er hier geboren wurde, soll immer artig sein, sich nichts zuschulden kommen lassen. Überspitzt formuliert: Wer lieb ist, darf bleiben. Wer böse wird, soll gehen. Ein Migrant, der wütend ist, ist für die Urdeutschen nicht hinnehmbar. Er soll der Gesellschaft, in der er lebt, dankbar sein. Er muss sich Mühe geben, sich anstrengen und unauffällig muss er sein. Sonst ist er unangenehm und verbereitet Angst.
Es geht nicht um eine Verharmlosung von Muhlis A.s Vergangenheit. Natürlich sollte er seine Strafe absitzen. Aber das kann er auch hier. Denn Muhlis A. wurde hier geboren und sozialisiert. Wo soll er sonst hin?
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