Kolumne Darum: Geile heile Welt
Erwachsen ist, wer um 6.45 Uhr Pausenbrote schmiert. Also lieber keine Kinder? Nein. Besser fragen, was Darth Vader tun würde.
![](https://taz.de/picture/188604/14/tim_struppi_carton_AO.jpg)
K inder stellen sich das Erwachsensein als einen Zustand ewiger Glückseligkeit vor. Erwachsene dürfen Süßigkeiten essen, wann sie wollen. Sie können abends fernsehen. Sie geben Geld für jeden Quatsch aus. Sie verfügen über die Macht, andere ins Bett zu schicken.
Dabei sieht die Realität des Erwachsenseins anders aus. Erwachsen ist nur, wer morgens um 6 Uhr 45 unausgeschlafen in der Küche steht, Pausenbrote im Akkord schmiert und dabei weiß, dass das alles nachmittags möglicherweise ungegessen zurückkommt. Erwachsen zu sein nervt. Davon wiederum wollen Kinder nichts hören. Ein unlösbares Problem.
Unlösbar? Von wegen! Was würde Lassie tun? Was Donald Duck? Wie würden wohl Tim und Struppi für Abhilfe sorgen? Kann Darth Vader das verworrene Dickicht aus Erwartungen und gegenseitigen Schuldzuweisungen mit seinem Laserschwert zerschlagen? Ja, ja, ja und ja.
ist Chef vom Dienst von taz.de und hat zwei Kinder, die gelegentlich in der „taz“ zu Wort kommen. Maik Söhler auf Twitter.
Dank unserer Kinder können wir zeitweise auch wieder zu Kindern werden. Zu Hause hat gerade die Tim-und-Struppi-Phase begonnen. „Hunderttausend heulende und jaulende Höllenhunde!“, schimpft Tims Freund Kapitän Haddock da. Wir speichern diesen Fluch ab, um ihn statt der üblichen Phrasen auf einer der nächsten Redaktionskonferenzen zu verwenden.
Wir haben wieder Träume
Abends schauen wir gemeinsam, wie der uralte Bordercollie Lassie jede Schwierigkeit vierpfotig am Wegesrand hinter sich lässt. Geile heile Welt. Wir sehen uns das an, und wenn der Film vorbei ist, greifen wir zu Micky-Maus-Heften, beneiden Dagobert Duck um seinen Geldspeicher und bereisen mit Huckleberry Finn den Mississippi. Wir sind wieder jung, erleben wieder Abenteuer. Wir haben wieder Träume.
Von Kinderlosen hören wir oft, wie stressig unser Leben zwischen Job und Kindern doch sein müsse. Dass man nicht tauschen möchte, nein, um keinen Preis. „Hagel und Granaten!“, rufen wir dann, Kapitän Haddock zitierend. Denn tauschen wollen auch wir nicht. Dann könnten wir nicht mehr ohne Entschuldigungen zu stammeln („Ist nur Teil der Recherche für einen Artikel“) in einfache Welten eintauchen. In Welten, in denen einem schwierige Dialoge wie „Auuuh! … Auuuh!“ – „Jetzt oder nie ...“ – „Hilfe! Hilfe!“ (Tim und Struppi, in: „Die Zigarren des Pharaos“) oder Lassies hundertster Versuch, den Heimweg doch noch zu finden, intellektuell und emotional alles abverlangen.
Inmitten des Eltern- und Erwachsenendaseins sind solche Momente leider viel zu kurz. Bald schon dringt wieder der Ruf „Hunger!“ durch die Wohnung. Ein Abendessen will gerichtet, ein Schulranzen gepackt, ein Pflaster aufgeklebt sein. Was können Eltern und Kinder gemeinsam tun, um für eine verlängerte Kindheit aller Beteiligten zu sorgen? Sollten wir noch mehr über Fußball reden? Über Comics? Über Erfindungen, auf die selbst Daniel Düsentrieb neidisch wäre? Was sagt eigentlich Kapitän Haddock dazu?
Und siehe da: Alle Tim-und-Struppi-Hefte sind weg. Ein Kind hat sie in sein Zimmer geschleppt und verweigert uns die Teilhabe an der Glückseligkeit. Wo, verdammt, ist Lassie, wenn man sie mal braucht?
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Münchner Sicherheitskonferenz
Selenskyjs letzter Strohhalm