Idee der Piraten: Berlin brüskiert Daimler
Die Straße an der neuen Vertriebszentrale wird nach Edith Kiss benannt, die als Zwangsarbeiterin für den Konzern arbeiten musste.
Direkt an der Spree im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg entsteht gerade die neue bundesweite Vertriebszentrale von Mercedes-Benz. 1.200 Mitarbeiter sollen in dem 13-stöckigen Bürogebäude in Nähe des Ostbahnhofes arbeiten, im Erdgeschoss bleibt auch noch Platz für einen Showroom mit den neuesten Modellen. Der Konzern wünschte sich eine repräsentative Adresse und hatte gleich zwei Vorschläge, nach welchen Personen die Straße benannt werden könnte: Bertha Benz, Ehefrau des Unternehmensgründers Carl Benz, und Baronin Mercédès Jellinek, Namenspatronin der Automarke.
Doch für die Grünen, die im Bezirksparlament von Friedrichshain-Kreuzberg die größte Fraktion sind und auch den Bürgermeister stellen, kam das nicht in Frage. "Die können ja gerne hier ihre Zentrale bauen, aber wir sehen unsere Aufgabe nicht darin, Öffentlichkeitsarbeit für die zu machen", meint die Grünen-Fraktionsvorsitzende Paula Riester.
Bei der Tagung der Kommission, im Bezirk über Straßenumbenennungen berät, konnte sich der Vertreter von Daimler nicht durchsetzen. Stattdessen kam zuerst der Vorschlag auf, die Straße nach MerckE:Ernes Merck zu benennen, die in den 1920er Jahren in Mercedes-Autos Rennen fuhr. Doch das lehnte Daimler ab. Im Protokoll der Sitzung heißt es: "Dieser Vorschlag fand aber nicht die Zustimmung von Herrn Felgenhauer / Daimler Real Estate GmbH, da dieser Namen sich heute nur schwer erschließe."
Die Piraten brachten dann einen vierten Namen ins Spiel. Erneut der Name einer Frau, da der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sich vorgenommen hat, Straßen nur noch nach Frauen zu benennen, bis Parität zwischen Frauenstraßen und Männerstraßen hergestellt ist. Und dieser vierte Name lautete: Edith Kiss.
Die Bildhauerin aus Budapest wurde 1944 wegen ihres jüdischen Glaubens im Alter von 39 Jahren von den Nazis ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert. Im Daimler-Benz-Werk in Ludwigsfelde südlich von Berlin musste Kiss sie unter unmenschlichen Bedingungen Flugzeugmotoren montieren, so wie mehr als 1.000 Zwangsarbeiterinnen.
Beim "Arbeitskreis Konfrontationen" heißt es: "Edith Kiss sprach nie über ihre Erlebnisse im KZ und versuchte, mit ihrer Kunst die Erinnerungen zu verarbeiten. Innerhalb weniger Wochen entstanden die 30 Gouachen des Albums 'Deportationen'." Auch ihre späteren Bilder spiegelten häufig die Leiden der Deportation wieder. 1966 beging sie Selbstmord.
Am Mittwochabend stimmte das Bezirksparlament für die Umbenennung der Straße nach Edith Kiss. Neben den Piraten stimmten auch Grüne, SPD und Linke für den Vorschlag, wie der Piraten-Parlamentarier Ralf Gerlich anschließend twitterte. Nur die CDU sei dagegen gewesen - die gehört in Friedrichshain-Kreuzberg allerdings zu den Kleinparteien, bei der letzten Wahl erhielt sie nur 7,9 Prozent.
"Wir finden es gut, an die Geschichte der Zwangsarbeiter zu erinnern und Daimler mit den dunklen Seiten seiner Geschichte zu konfrontieren", sagt Jessica Zinn von der Piratenfraktion. Bertha Benz sei schon deshalb nicht in Frage gekommen, weil die zunächst eine Anhängerin des Nationalsozialismus war und mit Hitler persönlich korrespondierte. Zinn: "Wir fanden es empörend, dass Daimler uns so einen Vorschlag vorgebracht hat."
Jetzt, nachdem die Entscheidung gegen die Namensvorschläge von Mercedes-Benz endgültig ist, versucht der Konzern, gute Miene zu machen: "Es ist wichtig und richtig, der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Daher unterstützen wir auch die Entscheidung der Bezirksverordnetenversammlung", heißt es in einer Stellungnahme des Unternehmens.
Weiterführende Informationen
Protokoll (PDF) der Sitzung der Kommission, in der der Daimler-Vertreter sich für die Umbenennung der Straße nach Bertha Benz oder Mercédès Jellinek eingesetzt hat (Tagesordnungspunkt 5).
Stellungnahme (PDF) von Daimler, nachdem der Bezirk sich stattdessen für Edith Kiss entschieden hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin