Erinnerungen an Preußlers Werk: Grandios-gefährliche Fantasiewelten
Otfried Preußler ist gestorben. Vier Kindheitserinnerungen an den Vater der „Kleinen Hexe“ und des „Kleinen Wassermanns“, von „Hotzenplotz“ und „Krabat“.
Heile Welt mit Rissen
Am liebsten erinnere ich mich beim Namen Otfried Preußler eigentlich an den „Räuber Hotzenplotz“. In meiner frühkindlichen Erinnerung sind dessen Gaunereien mit oder ohne den Zauberer Petrosilius Zwackelmann als einige der witzigsten Momente der Literatur gespeichert.
Preußler hat mir aber auch eines meiner ersten haarsträubenden Horrorerlebnisse beschert. Zwar nicht direkt, sondern über eine Buchverfilmung, dafür hat mir jedoch Karel Zemans Trickfilmfassung von „Krabat“, in der man zusammen mit dem Titelhelden Augenzeuge eines grausigen Mords wird, damals richtig große Angst gemacht. Was ich da zu sehen bekam, passte so gar nicht in mein geschlossenes Preußler-Bild, in dem das Komische das Bedrohlich-Unheimliche eindeutig besiegte.
Das Buch wollte ich daraufhin lieber nicht lesen, obwohl mir Gespenstergeschichten, also nicht „Das kleine Gespenst“, sondern die zum Fürchten, als Kind ziemlich gut gefielen. Preußler hat es geschafft, mir eine einigermaßen heile fiktive Welt zu bescheren, durch dessen versöhnlich-heitere Oberfläche er zugleich einen tiefen Riss laufen ließ. „Krabat“ habe ich mir erst als Erwachsener zugelegt. TIM CASPAR BOEHME
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Umschreiben? Ach nö
„Ich höre nie wieder den kleinen Wassermann! Das Neunauge ist so gruselig, davon kriege ich Albträume!“ Genau wie dem kleinen Wassermann ging es mir und auch meinen Kindern, geht es vielen Kindern, die ich kenne. Völlig entspannt bei meditativer Musik tauchen sie ein in die Hörspielwelt des „Kleinen Wassermanns“ – „tief unten auf dem Grunde des Mühlenweihers“ schwant einem nichts Böses.
Doch plötzlich begegnet der kleine Wassermann dem hässlichen Fisch „Neunauge“ bei einem seiner Streifzüge durch den ansonsten so geschützten, der Kindheit gleichenden Raum des Mühlenweihers. Erschrocken und angewidert flieht der kleine Wassermann, doch der Fisch sucht ihn in seinen Träumen heim, ebenso wie die Kinder.
Das ist ebenso bedrohlich wie jede reale Begegnung mit einem unheimlichen Fremden – und sehr viel bedrohlicher als trockene Füße, ausbleibender Regen oder ein Angler am Weiherrand. Ansonsten ist die Welt des kleinen Wassermanns noch in Ordnung – Mutter Wassermann kocht und putzt und wünscht sich laut ihrem Gatten, dass ihr Kinder zeitlebens am Schürzenband hängen. Sollte man das umschreiben? Ach nö. JULIA NIEMANN
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Süßes Gift der Reaktion
Mit neun lief ich dann zu Nöstlinger über. Auslöser war ein Briefwechsel mit Otfried Preußer, meinem damaligen Idol. Ich hatte ihn gefragt, wie man Schriftsteller wird. Und, ob er Tipps geben könne. Die Antwort kam prompt: Ein Schriftseller müsse eigene Ideen entdecken. Und lesen schade auch nicht. Ich solle doch sein bald erscheinendes Buch „Hörbe mit dem großen Hut“ erwerben. Oh, war ich stolz!
Ich antwortete postwendend, wie toll ich alles von ihm fände. Bis auf die Sache, dass seine „Hotzenplotz“-Bände alle mit denselben Worten beginnen. Und enden. Die Antwort kam prompt. Ein Schriftsteller müsse eigene Ideen entdecken und seinen Weg finden. Das war’s.
Ich kapierte damals nicht, dass diese Verweigerung von Reflexion erklärt, warum man Preußler lieben muss, obwohl er mit seinen grandiosen Fantasiewelten auch das süße Gift der Reaktion verbreitete – durch ein selbst für die 1950er konservatives Frauenbild, getragen vom Begehren, eine zerbrochene Ordnung zu restaurieren. Er hat es vielleicht nie selbst bemerkt oder gewollt. Er ist wohl zu erinnern als wichtiger, und nicht ungefährlicher, Dichter der Gegenaufklärung.
BENNO SCHIRRMEISTER
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Eine erste Verliebtheit
Da ist diese Geschichte von einem Kater, der voll schlechten Gewissens seine Heimat verlässt, weil er an der Treppe zum Keller die kostbare Milch verschüttet hat – und sich darob schämt. Otfried Preußler hat den „Kater Mikesch“ des tschechischen Autors Josef Lada nachgedichtet, die „Augsburger Puppenkiste“ hat die Geschichte fürs Fernsehen aufbereitet.
Das war 1964, und insofern sind meine Erinnerungen an diese in puncto Dramatik kaum auszuhaltende Geschichte schwarz-weiß getönt. Im Gemüt selbst sind gleichwohl farbige Szenen haften geblieben. Solche vom Schuster Peppik und vom Dorf Holleschitz, von der Oma und vom Schwein Paschik, der Ziege Bobesch und Sultan, dem Hund. Alle Namen standen im Preußler’schen Buch nicht so geschrieben, wie sie ausgesprochen wurden: Aha, dachte das Kind, das sich über sprechende Kater weder wunderte noch lustig machte, sondern eher verzaubert war, aha, so ist das Tschechische.
Es war, wie bei den schwedischen Traumlandschaften Astrid Lindgrens, ein erstes Verliebtsein in eine andere Sprache, in ein Anderes überhaupt. Preußler hatte in unserer Welt damals den Rang eines Traumonkels, eines Magiers fast. JAN FEDDERSEN
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