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Angeklagte schuldig gesprochenGerechtigkeit für Genua-Opfer

Das Gericht in Genua stellt die Schuld von 44 angeklagten Polizisten und Gefängnisbediensteten fest, die während des G-8-Gipfels im Juli 2001 Demonstranten tagelang brutal mißhandelten.

Prügelnde Polizisten im Juli 2001 in Genua. Bild: dpa

Gebrochene Finger, ausgerissene Piercings, Prügel mit dem Schlagstock, Demütigungsrituale und Vergewaltigungsdrohungen gegen die Frauen: Die Haftanstalt Bolzaneto war während des G-8-Gipfels im Juli 2001 ein Ort des Schreckens, an dem festgenommene G-8-Gegner brutal misshandelt wurden.

Ihnen widerfährt jetzt Gerechtigkeit. Am Freitagabend kassierte ein Berufungsgericht in Genua das Urteil der ersten Instanz und stellte die Schuld aller 44 Angeklagten - Polizisten, Gefängniswärter und Gefängnisärzte - fest. Sie waren in Bolzaneto während der Gipfeltage im Einsatz, sie alle beteiligten sich an den systematischen Misshandlungen, die nach Auffassung der Staatsanwaltschaft den Tatbestand der Folter erfüllen.

Mehr als 250 Gipfelgegner wurden - die meisten nach ihrer Festnahme während der Demonstrationen, 70 von ihnen nach dem nächtlichen Sturm der Polizei auf die Scuola Diaz - jeweils mindestens drei Tage in Bolzaneto festgehalten. Keiner hatte die Möglichkeit, einen Anwalt oder Verwandte anzurufen; keinem der Ausländer - unter ihnen zahlreiche Deutsche - wurde die Kontaktaufnahme zu den Konsulaten gestattet.

Ungestört konnten die Beamten so die Gefangenen misshandeln. Stundenlang mussten sie mit erhobenen Händen an den Wänden stehen, oft nach einem wahren Spießrutenlauf durch ein Spalier prügelnder Polizisten. Sie mussten sich nackt ausziehen, den Arm zum Duce-Gruß heben, faschistische Lieder singen und sich Obszönitäten sowie Vergewaltigungsdrohungen anhören. Besonders brutal zeigte sich auch das Sanitätspersonal, das Brüche nicht behandelte und stattdessen bei den Misshandlungen mitmachte.

Das Berufungsgericht sieht alle diese Vorwürfe als erwiesen an und verurteilte dennoch nur sieben der 44 Angeklagten zu Haftstrafen. Die anderen kommen davon, weil ihre Straftaten mittlerweile verjährt sind. Bloß vier Angeklagte, die sich besonders schwerer Misshandlungen oder auch der Urkundenfälschung schuldig gemacht hatten, konnten hiervon nicht profitieren, da in ihrem Fall die Verjährungsfrist länger läuft. Zudem hatten drei weitere Polizisten aus freien Stücken auf die Verjährung verzichtet und wurden prompt verurteilt.

Alle 44 werden zugleich hohe Entschädigungssummen an die Opfer entrichten müssen. Die Tageszeitung La Repubblica kalkuliert, dass zehn bis 15 Millionen Euro fällig werden könnten. Deshalb auch zeigten sich sowohl die Staatsanwaltschaft Genua als auch die Opferanwälte hoch zufrieden mit dem Urteil.

Ihnen ging es vor allem um die Feststellung der Schuld der Angeklagten - sowie um die Feststellung der noch in erster Instanz geleugneten Tatsache, dass Bolzaneto nicht nur der Ort einiger unschöner, aber isolierter Übergriffe war, sondern Stätte eines sich über Tage hinziehenden illegalen Gewaltregiments gegen wehrlose Gefangene.

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14 Kommentare

 / 
  • R
    RDL

    Radio Dreyeckland hat ein Interview zum Prozess geführt:

     

    http://www.rdl.de//index.php?option=com_content&task=view&id=5204&Itemid=349

  • BS
    berlusconi sucia bebe

    Gerechtigkeit? Die wegen Genua zuletzt verurteilten Demonstranten kassierten Terrorurteile von 15 Jahren!

  • 8M
    8. März

    an stabil:

     

    du kannst das Eine mit dem Anderen gar nicht vergleichen,weil: Genua ist Realität gewesen, im Gegensatz zu dem Kommentar, der eine Fantasie zu einem ohnmächtigen Gefühl zum Ausdruck gebracht hat.So habe ich den Kommentar interpretiert.

    In diesem Sinne:

    Kein Gott

    Kein Staat

    Kein Patriarchat

  • S
    Spin

    Endlich! Kaum zu glauben, dass es so lange dauerte.

     

    @ stabil:

    Mal nicht überreagieren: Es ist nicht dsselbe, aus hilfloser Position Rachegefühle auszusprechen (und sie im gleichen satz auch zurückzunehmen) UND

    aus machtvoller Position eines Staatsvertreters Gewalt anzuwenden und zu demütigen.

    Es mag spitzfindig klingen, aber die Relativierung durch Ihr "genauso" ist hier fehl am Platz.

  • A
    asd

    das ist doch lächerlich!

     

    also natürlich ist es richtig diese menschen zu bestrafen, allerdings sind die nicht wirklich dafür verantwortlich.

    dieses vorgehen bei demonstrationen hat doch systhem!!

    es wird mit nahezu jeder demonstration schlimmer... egal in welchem land!

    und die ausführende gewalt (die polizisten vor ort) sind nicht die ursache dieses problems, sonder das systhem!

  • V
    vic

    Das ist nicht zu fassen. Nur ein paar Urkundenfälscher und DREI Freiwillige konnten aufgrund des gut verzögerten Verhandlungstermins letztlich verurteilt werden....Sadisten, Folterärzte und andere Faschistenschweine laufen jetzt wieder frei herum. Bis zum nächsten internationalen Termin.

    Das war in der Tat der Gipfel, was sich Italien da geleistet hat.

  • L
    Lala

    @stabil:Deswegen meinte ich ja, dass man dann genauso ist wie sie. In der Wut wissen die meisten Menschen nicht was man mit Leuten macht wie diese 44 Leute. Für die meisten reicht ein Gefängnisaufenthalt nicht. Denn das was sie gemacht haben, war wohl Faschismus pur!

    Ich will nicht wissen wie toll die sich dabei gefühlt haben, Macht über Menschen zu haben!

     

    Deswegen: Was würden sie denn vorschlagen?? Ich glaube nämlich das es in Italien nicht wenige von solchen gibt. Habe einen Bericht über die Verschönigung des Duces gesehen, und das ist nicht harmlos!

  • O
    Onsom

    Verjährung? Hmm, normalerweise gelten Verjährungsfristen zu Prozessanfang und nicht Ende, oder habe ich das jetzt falsch im Kopf?

  • JS
    Jens Schlegel

    An Fabian,

    ist das nun der letzte Versuch die Opfer zu verunglimpfen. Nach dem Motto "die wollten das so."

     

    Dann rechne mal nach, maximal 15 Mio Entschädigung bei 44 Angeklagten, die alle gleich bezahlen sollen. Da müsste jeder 340909,10 € aufbringen. Glaubst du das Sanitätspersonal und die Wärter haben so viel auf dem Konto? glaubst du die Misshandelten werden diese Entschädigung je erhalten? Bei zehn Millionen immerhin noch 227272,27€. Also, wenn es sich einer versilbert, und er nicht die volle Entschädigung die ihm laut geltendem Recht zusteht erhält und er sich nicht freiwillig hat misshandeln lassen, wär das dann OK für dich?

  • M
    Mac-Lennox

    Das Widerlichste neben den körperlichen Misshandlungen waren das Absingen faschistischer Lieder und das Zeigen müssen des Duce-Grusses.

     

    Das lässt tief in die Gedankenwelt jener 44 Leute blicken.

     

    Diesbezüglich erinnere ich daran, dass im Vorfeld der Bundes- und Landtagswahl in der thüringischen Ausgabe der Gewerkschaftzeitschrift der Polizei zur Wahl der NPD aufgerufen wurde. Offensichtlich gibt es auch bei uns Polizeibeamte mit dieser zweifelhaften Gesinnung.

  • G
    gelderlander

    Schön, das nach fast 9 Jahren nun endlich mal Gerechtigkeit gesprochen wird.

     

    Fragt sich nur, ob jemals Gerechtigkeit für die Demonstranten gesprochen wird, die in (Schein)Heiligendamm mißhandelt, gequält, geprügelt, Interniert & mittels Tornadotiefflügen Psychisch maltretiert wurden.

  • S
    stabil

    @Lala

    Der Kommentar ist genaus unqualifiziert, wie es das Verhalten der nun Verurteilten war. Es ist eine Errungenschaft der Rechtsstaatlichkeit, dass es eben NICHT mehr öffentliche Zurschaustellung gibt. Man ist dann nicht nur "fast" wie "die", sondern genauso. Es gibt keine "leichte" und "schwere" Demütigung oder Folter.

  • F
    Fabian

    Wer aus dem Kreis der Angeklagten wird wohl der erste sein, der seine "Memoiren" an diese Tage versilbert?

  • L
    Lala

    Na endlich! Schade das man diese 44 Leute nicht öffentlich zur Schau stellt um sie bespucken zu können.

    Aber dann ist man fast genauso wie die..