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Warnung vor dem Retroschick

Morgen vereint: urbane Dichte und ländliche Weite. Die Ausstellung „die stadt von morgen“ in der Akademie der Künste am Hanseatenweg erkundet das ästhetische und ideologische Erbe der Stunde null

„Die Stadt sollte die Ganzheit der Existenz sichern“, hieß es 1957 im 3. Planungsgrundsatz des Konzeptes der Sonderschau „die Stadt von morgen“, die den Aufbau des Hansaviertels vor 50 Jahren begleitete. „Mittelpunkt der Ganzheit ist die Familie. Mittelpunkt der Familie ist die Frau. Sie ist gleichzeitig Mitträger des öffentlichen Lebens.“ Wie eine Illustration dazu wirkt die Skulptur „Mütter mit Kindern“, die Ute Richter jetzt im Hansaviertel nahe der Altonaer Straße aufstellen ließ.

In einer liebevollen und realistischen Formsprache sind zwei junge, sich im kurzen Haarschnitt und im graden Kleid sehr ähnliche Frauen gestaltet, deren Kleinkinder die Nasen zusammenstecken. Das sieht nach viel Zeit für die Familie und sicheren öffentlichen Treffpunkten aus – beides hat mit der realen Erfahrung von jungen Müttern heute weniger zu tun, als politisch plakative Floskeln glauben machen wollen.

Die Skulptur „Mütter mit Kindern“ stammt nicht von Ute Richter selbst, sondern wurde 1970 von dem Bildhauer Karl Schönherr für die Prager Straße in Dresden entworfen und musste vor einiger Zeit Bauarbeiten weichen. Die Skulpturen, die ursprünglich im Hansaviertel aufgestellt wurden, waren viel mehr einer internationalen Moderne und Abstraktion verpflichtet. Dass aber, entgegen allen ideologischen Gräben, manchmal gut zusammenpasst, was nie zusammengehören wollte, unterstreicht Ute Richter mit der Neuplatzierung der Skulptur.

Das ist einer der unauffälligen Kunstgriffe der Ausstellung „die stadt von morgen“, die das 50-jährige Bestehen des Hansaviertels zum Anlass einer künstlerischen Recherche genommen hat: Was war damals die Zukunftserwartung, was wurde daraus? Das Konzept stammt von Annette Maechtel und Kathrin Peters, Christine Heidemann kam als Kuratorin hinzu. Peters und Maechtel sind selbst in Neubaugebieten großgeworden und fragten sich, ob die Konjunktur von Retroschick und 50er-Jahre-Design nicht etwas mit dem Wiederauftauchen klassischer Familienbilder in der Politik zu tun haben könnte. Denn beides ging eben schon einmal zusammen, damals, als nach dem Krieg die Fiktion der Stunde null und des neuen Menschen gepflegt wurde.

Wie sehr die Stunde null auch eine Konstruktion war, erzählen Andree Korpys und Markus Löffler in einer Videoinstallation in der Akademie. Zwei Zeitebenen legen sich in ihren Bildern übereinander: Das eine ist ein gefundener Film von 1953, der die kriegszerstörten Ruinen im Hansaviertel sehen lässt, die für die Neubauten abgerissen werden mussten. Man sieht architektonische Fragmente voller historisierender Behauptungen, die wie ein Gedächtnis mit gefakten Erinnerungen wirken. Ihre vollkommene Auslöschung, damit man wie auf einer unbeschriebenen Seite neu beginnen konnte, ist aber eben auch eine Setzung gewesen.

Um das zu betonen, doppeln Korpys und Löffler den Akt der Ausradierung des Vorangegangenen, indem sie nun in einer ritualisierten Performance Designklassiker der 50er zerstören. Das tut echt weh, akustisch vor allem, man hört es ätzend laut krachen, lange bevor man sieht, was geschieht.

Solche historischen Spiegelungen und Verschiebungen kennzeichnen fast alle Beiträge der Ausstellung „die stadt von morgen“. Dass die 13 Künstler oft mit den Bewohnern des Hansaviertels heute geredet haben, stellt sich dagegen nur sehr vermittelt dar. Die authentische Erfahrung ist oft versteckt, wie in einem kompliziert komponierten Hörspiel von E-Xplo, das vom Leben im Hansaviertel abhebt zu politisch brisanten Fragen von Raumordnung und Siedlungspolitik heute. Und so wird die Ideologiekritik von den meisten Künstlern des Projekts so groß geschrieben, dass sie den sinnlichen Reichtum des direkten Anschauungsmaterials vor Ort etwas verspielen.

Die Architektur des Hansaviertels ist durchsetzt von vielen Behauptungen von Transparenz, Offenheit, Durchlässigkeit, wie sie immer ins Wunschbild einer Demokratie gehören. Die Statistik weist eine niedrige Kriminalitätsrate auf, die Bewohner sind trotzdem besorgt. Dass die Angst vor Eindringlingen hier größer scheint als anderswo im urbanen Kontext, greift Mark Dion im lustigsten Beitrag der Ausstellung auf. Mit vielen erzählerischen Details hat er eine große Schaufensterdekoration am Schwedenhaus eingerichtet, die für das fiktive „Büro des Landesbeauftragten für Tierkriminalität – Abschnitt Hansaviertel“ wirbt. Man sieht jede Menge Tierfallen und lernt Spuren lesen, um Fuchs und Elster das kriminelle Handwerk zu legen. Denn sie markieren ja tatsächlich auch die Grenzen des Wunschbildes, möglichst viel Natur in der Stadt integrieren zu können, für die das Hansaviertel auch steht. Wie hieß es im 1. Planungsgrundsatz der „Stadt von morgen“? „Morgen sind vereint: urbane Dichte und ländliche Weite, städtische Bewegtheit und dörfliche Ruhe“.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Mo.–Fr. 15–20 Uhr, Sa./So. 12–20 Uhr, und rund um den Hansaplatz

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