Oberlandesgericht in Köln hat entschieden: Broder siegt im Antisemitismus-Streit
Der Publizist Henryk M. Broder darf weiter behaupten, die Tochter des langjährigen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden gebe antisemitische Statements ab.
KÖLN taz In seinem heftig geführten Verbalinjurienwettkampf gegen Evelyn Hecht-Galinski hat Henryk M. Broder einen Punktvorsprung erringen können. Am Dienstag entschied das Oberlandesgericht Köln, dass der Berliner Journalist und Buchautor ("Hurra, wir kapitulieren") weiter publizieren darf, die Tochter des 1992 verstorbenen, langjährigen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, gebe antisemitische Statements ab. Damit hob das Gericht ein anderslautendes Urteil der Vorinstanz auf.
Gegenstand des in der Domstadt verhandelten Falles ist ein offener Brief, den Broder im Mai vergangenen Jahres unter der Überschrift "Tolle Tage mit jüdischen Experten" in das von ihm mitbetriebene Blog "Die Achse des Guten" eingestellt hatte. Hier kritisiert er, dass Evelyn Hecht-Galinski in die WDR-Radiosendung "Hallo Ü-Wagen" zum Thema "Reden über Israel" eingeladen worden war: "Jeder kölsche Jeck mit zwei Promille im Blut würde sogar an Weiberfastnacht erkennen, dass Frau EHG eine hysterische, geltungsbedürftige Hausfrau ist, die für niemanden spricht außer für sich selbst und dabei auch nur Unsinn von sich gibt." Ihre "Spezialität" seien "antisemitisch-antizionistische Gedankenlosigkeiten". Diesen Vorwurf hatte Hecht-Galinski, Mitglied der European Jews for A Just Peace und bekannt als scharfe Israel-Kritikerin, nicht auf sich sitzen lassen wollen. Bezogen auf das Attribut „antisemitisch“ erwirkte sie eine einstweilige Verfügung gegen Broder.
Im September entschied das Kölner Landgericht noch zugunsten Hecht-Galinskis: Broders Vorwurf habe die Grenze zur Schmähkritik überschritten, weil "im konkreten Kontext der Äußerung die Diffamierung der Klägerin, nicht die Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund" gestanden hätte. Das jedoch sah das Oberlandesgericht jetzt anders und hob die einstweilige Verfügung auf. Auch wenn hier alles dafür spreche, dass Broder eine „überzogene bis ausfällige Kritik“ geäußert habe, so erachtete sie der 15. Zivilsenat trotzdem „letztlich vom Grundrecht auf Meinungsäußerung als gedeckt“. Denn die inkriminierte Äußerung Broders in seinem "durchaus polemisierend und ausfällig zu nennenden Brief" an die WDR-Intendantin lasse einen hinreichenden Bezug zu der Diskussion über die Regierungspolitik und zur Einordnung der unter anderen von deutschen Juden hierzu geäußerten Kritik erkennen. „Als Beitrag zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage“ entferne sie sich daher von einer rein persönlichen Diffamierung Hecht-Galinskis, befanden die Richter. Broder könne sich daher auf die Zulässigkeit der freien Rede berufen, der gegenüber das Persönlichkeitsrecht der Klägerin zurücktreten müsse.
Mit seinem Erfolg in Köln gelang Broder die Revanche für die Klatsche, die er vor eineinhalb Monaten vor dem Berliner Landgericht einstecken musste. Ende November wies es eine Klage des streitlustigen Publizisten ab, mit der er Hecht-Galinski hatte verbieten wollen, ihn als „Pornoverfasser“ zu bezeichnen. Mit Bezug auf seine in Köln verhandelten Äußerungen konstatierten die Hauptstadt-Richter, Broder scheue sich nicht, „in Auseinandersetzungen, auch wenn sie in erster Linie politische Themen betreffen, zu persönlich diffamierenden Mitteln und Bezeichnungen zu greifen“. Dies schränke seinen eigenen Persönlichkeitsschutz gegenüber potentiell unsachlichen und herabsetzenden Äußerungen „deutlich herab“.
Hinzu käme, so die Berliner Richter, dass Broder „eine besondere Vorliebe für eine Ausdrucksweise mit sexuell drastischen und dem Genitalbereich entstammenden Begriffen hat, die er auch benutzt, wenn es gar nicht um sexuelle oder verwandte Themen geht, so dass auch politische und andere Diskussionen immer wieder mit sexuellen Konnotationen aufgeladen werden“. Auch dies hat ihm schon so manchen Prozess eingebracht: So verlor Broder im Mai 2008 vor dem Dortmunder Landgericht gegen eine transsexuelle Autorin, über die er geschrieben hatte, sie sei "ein antisemitischer Schlamperich und ein weiterer Beweis dafür, dass man einem Antisemiten brain and balls wegoperieren kann". Auch die Formulierung, sie sei jemand, "der/die nicht weiß, ob er/sie sich zum Pinkeln hinstellen oder hinhocken soll", fand das Gericht weniger witzig als Broder - und untersagte sie ihm bei Androhung eines Ordnungsgeldes von 250.000 Euro. Erwartungsgemäß hat Broder sowohl gegen das Berliner als auch das Dortmunder Urteil Berufung eingelegt: "Wer zuletzt lacht, lacht am besten."
Auch der Kölner Streit ist noch nicht beendet. Beim Landgericht an der Luxemburger Straße ist bereits das Hauptsacheverfahren anhängig. Die mündliche Verhandlung ist für Mitte Februar terminiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste