Montagsinterview zum Comeback von DAF: "Wir waren eine Zukunftsvision"
Durch einen Autounfall hat Robert Görl, die Menschmaschine von Deutsch-Amerikanische Freundschaft (DAF), zum Buddhismus gefunden. 30 Jahre nach ihrer Gründung gehen die Wegbereiter des Techno wieder auf Tour.
Robert Görl, 53, wuchs im Waisenhaus auf und begann mit sechs auf Waschmittelpackungen zu trommeln. 1978 gründete er mit Gabi Delgado-López in Düsseldorf die Deutsch-Amerikanische Freundschaft (DAF). Beeinflusst von Punk, aber auf elektronischer Grundlage entwickelten sie einen radikalen Entwurf, der Techno musikalisch und körperpolitisch vorwegnahm.
Delgado gab den Sänger und Eintänzer, Görl dazu die stoische Rhythmusmaschine. Mit militärischem Schick, exakten Frisuren, geschicktem Spiel mit faschistischer Symbolik und bewusst missverständlichen Songs wie "Der Mussolini" (dessen Text auffordert, neben dem "Mussolini" den "Adolf Hitler" und den "Jesus Christus" zu tanzen) stellten sich DAF gegen alle Modeströmungen und Jugendkulturen, erreichten aber trotzdem Mainstreamerfolg - nicht nur in Deutschland, auch in England.
Seit der ersten Auflösung von DAF im Jahr 1982 versuchte sich Görl als musikalischer und privater Partner von Annie Lennox und später mit Erfolg auch als Technoproduzent. Immer wieder aber kehrt er zurück zu Delgado und damit zu DAF, so auch nun anlässlich der 30-jährigen Gründung des Projekts. Nach Auftritten im vergangenen Sommer folgt nun die Tour unter dem Titel "Der 30-jährige Krieg - als wärs das letzte Mal", die am 7. Januar in Berlin beginnt. Der Auftritt im K17 ist ausverkauft.
taz: Herr Görl, Sie haben als Treffpunkt die Weltzeituhr am Alex vorgeschlagen. Warum?
Robert Görl: Gerade weil ich zurzeit keinen Bezug mehr habe. Keinen mehr haben will. Zeit zerhackt, Zeit macht einen zum Sklaven.
Dafür waren Sie aber sehr pünktlich.
Ja, pünktlich bin ich. Das ist eine Frage der Höflichkeit. Und mir ist natürlich klar, dass auch ich in Zeit eingespannt bin. Die Zeit ist ja auch etwas Natürliches, die Sonne geht auf und wieder unter, und das kann man bis auf die Sekunde errechnen. Aber arbeiten nach einer Stechuhr, das ist doch Unterdrückung. Wenn überhaupt, dann lebe ich in einer anderen Zeit.
In einer anderen Zeit?
Ja, ich lebe nicht im Jahr 2009, sondern im Jahr 2551 nach Buddhas Zeitrechnung.
Sie sind Buddhist seit einem schweren Autounfall 1989.
Ich war fast tot. In der Kurve war Glatteis, und wenn man mit überhöhter Geschwindigkeit, mit mehr als 100 Stundenkilometern, kerzengerade auf einen Baum drauffährt, dann holen sie die Leute normalerweise tot aus dem Auto raus.
Erleuchtung durch Nahtoderfahrung?
Das war ein bisschen schräg. Ich hab es geschafft aus dem Auto rauszurobben, saß dann halbtot auf dieser vereisten Straße, und plötzlich hat sich mein Schädel geöffnet. Ich hatte das Gefühl, ich spüre das ganze Universum. Ich habe wirklich ganze Galaxien gesehen, völlig abgefahren. Im Krankenhaus dann, nach den Notoperationen, haben die mich gefragt, ob ich fernsehen will. Und als die Krankenschwester den Fernseher über mir anschaltet, erscheint da ein buddhistischer Mönch. Genau in dem Moment läuft eine Sendung über Buddhismus im deutschen Fernsehen. Dann bin ich nach Asien gegangen und wollte wissen, was es damit auf sich hatte. Fast drei Jahre war ich dann in Klöstern unterwegs, in Thailand, Indien und hauptsächlich in Nepal. Ich bin von Kloster zu Kloster gewandert und habe viel über mich erfahren.
Wollten Sie selbst Mönch werden?
Wollte ich eine Zeit lang, ja. Aber dann habe ich festgestellt, dass der Buddhismus mittlerweile auch zur Kirche geworden ist. Und das ist für mich Antibuddhismus. Den Buddhismus, den ich lebe, der ist eine ursprüngliche Form. Eine Aussage des historischen Buddhas ist: Keine Rituale. Die meisten Mönche aber folgen Ritualen sklavisch. Aber ein wirklicher Buddha sprengt Traditionen.
Haben Sie Kontakt zur buddhistischen Gemeinde hier in Berlin?
Nein, ich bin ein gemeindeloser Mensch. Ich bin auch ein staatenloser Mensch. Ich habe zwar einen deutschen Pass, aber ich fühle mich nicht deutsch. Mit Zugehörigkeit, mit Traditionen, mit Ritualen, damit kann ich nichts anfangen. Ich habe festgestellt: Ich kann überall hingehen und fühle mich überall gleich. Egal, ob ich in München bin, in Paris, New York, Bangkok, Katmandu oder momentan eben in Berlin.
Trotzdem leben Sie schon sieben Jahre hier.
Ja, ich bin hier hängengeblieben. Das war eher Zufall. Ich wollte 2001 eigentlich nur ein halbes Jahr bleiben, um mit Gabi [Delgado-López, die andere Hälfte von DAF, d. Red.] unsere letzte Platte "Fünfzehn neue DAF-Lieder" vorzubereiten und aufzunehmen. Hotel wäre zu teuer gewesen, und immer nur bei Freunden auf der Couch schlafen, das geht auch nicht, also hab ich mir ein Apartment gemietet. Und jetzt bin ich eben immer noch hier.
Warum sind Sie geblieben?
Berlin ist schon eine schöne Stadt. Ich geh gern durch die Stadt. Denn auch wenn ich ein Buddhist bin und gelernt habe, meine Sinne komplett auszuschalten, arbeite ich als Musiker ja auch noch mit meinen Sinnen. Ich nehme Dinge auf und verarbeite sie. Aber ich fühle mich nicht zugehörig, zu nichts mehr. Dass ich jetzt sieben Jahre hier bin, das ist Zufall. Ich hänge an nichts.
Außer an Gabi Delgado.
Nein, auch an dem nicht. Deshalb trennen wir uns ja auch so oft.
Aber Sie kommen immer wieder zusammen.
Der Gabi Delgado und ich, wir haben halt auch ein paar richtig gute Sachen zusammen gemacht. Aber immer, wenn wir ein paar Jahre zusammenwaren, dann streiten wir uns ziemlich kräftig. Jeder Streit verblasst wieder. Es ist ja auch nicht gesund, jemandem zu lange böse zu sein. Und deshalb gibt es halt schon das dritte DAF-Comeback.
Das ist der einzige Grund?
Der andere ist, dass wir uns 30 Jahre kennen, dass es DAF 30 Jahre gibt. Das ist doch ein gutes Date, um zurückzukommen.
Finanzielle Gründe gibt es nicht?
Doch, auch, natürlich. Da bin ich ehrlich: DAF ist meine beste Geldquelle. Mit meinen Solo-Aktivitäten verdiene ich auch Geld, aber da muss ich mehr strampeln, um meine Miete zu zahlen. Aber es wäre nicht fair, das aufs Finanzielle zu reduzieren. Wir wurden gefragt, ob wir was zum 30-Jährigen machen wollen, und deshalb haben wir angefangen im vergangenen Sommer wieder aufzutreten und gehen nun auf Tour. Und das wird auch eine reine Hittour. Wir wollten nicht auf die Schnelle ins Studio, was Neues aufnehmen und raushauen, egal wie die Nummern sind. Nein, wir spielen nur die ganzen Klassiker. Das wird: Greatest Hits von DAF.
Erklären Sie mal einem jungen Menschen, warum er sich heute wieder DAF anhören soll. Was war so einzigartig an DAF?
Da komme ich wieder zurück zur Zeit, von der ich mich nicht abhängig machen will. Denn Musik ist ja auch Mathematik. Mit DAF haben wir immer versucht, die Strukturen von Musik, ihren zeitlichen Ablauf zu sprengen. Wir gehörten zu den ersten, die damals in den frühen 80er-Jahren dafür gekämpft haben, sich nicht mehr sklavisch Songstrukturen zu unterwerfen. Intro, Strophe, Refrain, das war bis dahin ein Muss in der Rock- und Popmusik. Ganz kann man die Zeit natürlich nicht aufheben, aber wir haben zumindest gewisse Strukturen aufgehoben, wir haben diese Konventionen gesprengt. Wir waren nicht die Erfinder der freien Komposition, da gab es vor uns elektronische und moderne Musik. Aber DAF waren die Ersten, die versucht haben, die freie Komposition in den Popsektor zu bringen. Das hat vor uns tatsächlich niemand versucht, diese Freiheit im Pop durchzusetzen.
Eine Freiheit, die Techno später aufnahm.
Ja, Techno funktioniert genauso wie eine DAF-Nummer. Die fängt an und kann wohin auch immer gehen, kann drei Minuten dauern oder zehn.
Als sie Anfang der 90er-Jahre, zurück aus Asien, dann Techno entdeckt haben, war das ein Gefühl wie nach Hause zu kommen?
Das war ein zwiespältiges Gefühl. Wir hatten den Samen in die Welt gelegt und der ging auf. Wenn andere deine Ideen übernehmen, wenn die Blumen blühen, dann ist das erst einmal ein tolles Gefühl: Endlich wird man verstanden. Aber auf der anderen Seite ist es mir halt auch passiert, dass ich in Clubs gegangen bin und dort Bands gehört habe, die genauso klangen wie DAF. Dass die große Zeit der Kopisten ausbricht, das muss man dann halt auch akzeptieren, aber komisch ist es erst mal.
Haben Sie das Gefühl, Ihre Pionierarbeit wird - im Gegensatz zu Kraftwerk etwa - nicht angemessen gewürdigt?
Es kann sein, dass es mehr Ahnengalerien gibt, in denen Kraftwerk einen höheren Stellenwert hat als DAF. Aber in einigen Ahnengalerien haben wir schon den Platz, der uns zusteht. Das sind zwei verschiedene Linien. Wir wollten keine Fortsetzung von Kraftwerk sein, wir waren Anti-Kraftwerk. Kraftwerk, das waren Söhne reicher Eltern, deren Synthesizer hunderttausende von Mark gekostet haben. Das war elitär. Wir hatten überhaupt kein Geld, aber dann hat uns die technologische Entwicklung geholfen. Parallel zur DAF-Gründung 1978 kamen die ersten billigen japanischen Synthies von Korg für 1.000 Mark auf den Markt. Die haben wir uns sofort gekauft, und damit konnten wir unsere Visionen umsetzen. Kraftwerk klangen viel zu schön, das war uns viel zu steril. Bei uns mussten die Maschinen schwitzen. Deshalb haben wir ja die elektronischen Klänge gemischt mit dem Schlagzeug, das ich spiele.
Der Körper wurde zum Rhythmusinstrument degradiert?
Einerseits. Andererseits aber haben wie den Körper dadurch auch verherrlicht. Wir wollten seine Kraft zeigen, seine Muskeln, das aber dann koppeln mit puristischer, mechanischer Musik. Der Körper und die Maschinen sollten zusammen schwitzen. In Wirklichkeit waren DAF das, was Kraftwerk immer nur behauptet haben: Wir waren die echte Menschmaschine. Wir waren eine Zukunftsvision, wir waren Cyborgs.
Einige fanden das faschistisch.
Ja, wir haben provoziert. Wir haben mit Symbolen gespielt, auch mit faschistischen. Wir wollten mit gewissen Images die Leute ganz bewusst schockieren. Wir wollten Tabus brechen.
Schockieren nur um des Schocks willen?
Wir haben uns schon als Aufklärer gesehen. Heute glaube ich, dass ich schon immer den Buddha-Weg gegangen bin, denn der ist ein aufklärerischer Weg. Der Buddhismus sprengt genauso gesellschaftliche Tabus, wie es DAF gemacht hat. Auch im Buddhismus geht es darum, eingefahrene Denkstrukturen aufzubrechen, die Fesseln der eigenen Kultur zu sprengen.
DAF wurde vorgeworfen, politisch verantwortungslos umzugehen mit gewissen Symbolen.
Wir waren doch gar nicht politisch. Viele wollten uns so sehen, und wir haben natürlich auch mit politischen Motiven gespielt. Ein Lied wie "Der Sheriff" hat ja keine konkrete Aussage, es benutzt nur politische Schlagworte, genauso wie "Der Mussolini". Ich bin auch kein politischer Mensch, ich finde Politik blöd. In der Politik hängen lauter Machtmenschen rum, da will ich nichts mit zu tun haben. Aber es ist nun mal ein Thema, und wir haben uns solche Themen genommen und Keile reingehauen. Wir haben angegriffen, wir haben gesagt: Wir haben die RAF in unserer Jugend bewundert. Zu sagen, das waren tolle Menschen in der RAF, die hatten ihre Gründe für das, was sie getan haben, das ist doch heute noch ein Tabu.
Das Schockieren funktioniert also noch?
Das funktioniert immer noch. Wir haben es jetzt nur schon so oft getan, dass die Leute nur zum Feiern zu uns kommen. Aber grundsätzlich ist das Brechen von Tabus immer noch aktuell und wichtig. Die Gesellschaft ist lange nicht so aufgeklärt, dass es keine Tabus mehr gäbe. Es gibt immer noch Politik und Religion, es gibt immer noch Unterdrückungssysteme, die funktionieren. Deshalb gibt es auch immer noch einen Kampf dagegen.
Das klassische DAF-Konglomerat allerdings, schwule und faschistische Ästhetik mit Punk zu vermengen, das provoziert heute nicht mehr.
Das stimmt. Das ist fast schon Mainstream. Wir konnten Leute noch schockieren mit einem Lied, das "Verehrt euren Haarschnitt" hieß. Heute ist das Schwule sogar in der Politik angekommen.
Wie passen Schockstrategie und militärisches Image mit dem Buddhismus zusammen?
Der Buddhismus ist ja nicht auf Weichheit festgelegt. Buddhist zu sein bedeutet ja nicht, dass man nur zu Hause rumsitzt, mit einem Holzschlegel eine Messingschale zum Erklingen bringt und "Om" singt. Der Buddhismus stellt sich unbedingt allen weltlichen Dingen.
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