Ex-Afghanistankorrespondent Hörstel: "Taliban sind keine Marsbewohner"
Die Amerikaner unterstützen die Taliban und afghanische Terroristen, sagt der frühere Auslandskorrespondent Christoph Hörstel. Ein Gespräch über die westliche Doppelmoral und Geheimdienste.
taz: Herr Hörstel, warum schaden Sie Ihrer Glaubwürdigkeit damit, dass Sie behaupten, der 11. September 2001 sei vom US-Geheimdienst CIA geplant gewesen?
Christoph Hörstel: Ich bezeichne mich nicht als Experten für 9/11. Ich meine allerdings, dass es in der anerkannten US-Literatur genügend Indizien für die Verwicklung von US-Geheimdiensten in die Attentate vom 11. 9. 2001 gibt. Ansonsten kümmere ich mich lieber um Dinge, zu denen ich Exklusives beitragen kann, weil ich mich - wie zum Beispiel in Afghanistan - zwischen den Fronten bewege. Ich bin mir aber sicher, dass ich auch in Bezug auf den 11. September recht behalten werde - so wie 1985, als ich entgegen dem deutschen Nachrichten-Mainstream in den Stuttgarter Nachrichten schrieb, dass und warum die Sowjets den Krieg am Hindukusch verlieren werden.
Zur Person: Der ehemalige ARD-Korrespondent und heutige politische Berater Christoph Hörstel (Foto), 52, wirbt seit Jahren für einen Abzug aus Afghanistan. Er hat sein Wissen über die Region in den Büchern "Sprengsatz Afghanistan" (2007) und "Brandherd Pakistan" (2008) aufgeschrieben. Vergangenes Jahr legte er auch einen Friedensplan vor, der mit führenden Aufständischen und der Kabuler Regierung abgesprochen war. Da Hörstel seine Thesen stets offensiv präsentiert, stößt er nicht überall auf offene Ohren. Zumal er stets auf Geheimdienstquellen verweist, die sich nun einmal schwer nachprüfen lassen. Doch ist seine langjährige Freundschaft mit dem afghanischen Kriegsfürsten Gulbuddin Hekmatjar belegt und der Grund dafür, dass Hörstel als einziger westlicher Journalist unmittelbar nach dem 11. September 2001 nach Kabul einreisen durfte. Er kennt die Taliban wahrscheinlich gut. Und inzwischen ist er ja nicht mehr der Einzige, der verlangt, mit ihnen zu verhandeln.
Zur Situation: Seit über sieben Jahren sind die USA und ihre Verbündeten - darunter Deutschland - mit inzwischen 70.000 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan. Erklärtes Ziel ist, das Land nach Sowjetbesatzung, Bürgerkrieg und Talibanherrschaft so zu stabilisieren, dass dort keine Terroristen ausgebildet werden. Einsatzkritiker haben schon früh bemängelt, dass das Ziel der Stabilisierung unglaubwürdig ist, wenn nicht die Entwicklungshilfe aufgestockt werde. Mittlerweile werden auch reihenweise Nato-Generäle damit zitiert, dass Afghanistan militärisch nicht zu befrieden sei.
Manchmal hat man auch zufällig recht.
Das stimmt. Ich war jedoch zuvor 600 Kilometer zu Fuß und auf dem Pferd in Afghanistan in Regionen unterwegs gewesen, wo sich nur wenige Journalisten hatten blicken lassen. Dort habe ich viele Widerstandskämpfer kennengelernt und gesehen, wie erfolgreich sie kämpften, und wie wenig die Sowjets dagegen ausrichten konnten. Damals habe ich mich mit Gulbuddin Hekmatjar angefreundet und bin der islamischen Bewegung, wie ich sie nenne, bis heute verbunden. Ich fand sie politisch interessanter als die säkulareren afghanischen Widerständler. Freundschaft ist für mich das Gegenteil von Komplizentum.
Die islamistischen Kriegsfürsten sind wahrscheinlich noch widerlichere Mörder als die säkularen.
Dazu gibt es keine Statistik. Keine 48 Stunden bevor die Taliban 2001 aus Kabul Reißaus nahmen, sprach ich mit ihrem Geheimdienstchef Nur Ali. Der fragte: Was haben wir falsch gemacht? Da habe ich ihm alles aufgezählt von der Unterdrückung der Frauen über das Verprügeln von Taxifahrern, die indische Kassetten gehört hatten, bis zu den Hinrichtungen im Fußballstadion - also alles, was mit Islam und dem ursprünglichen ethischen Anspruch der Taliban nichts zu tun hatte.
Von diesen Vorwürfen kann der Mann unmöglich zum ersten Mal gehört haben.
Stimmt. Der Unterschied bestand darin, dass er es zum ersten Mal von jemandem hörte, von dem er vermutete, dass er ein Grundverständnis davon hat, was diese Bewegung will. Die Taliban richteten damals ihre Ohren nicht nach draußen.
Sondern? Sie scheinen die Weltpresse sehr aufmerksam zu verfolgen.
Aber das bedeutet nichts für ihren Wertehorizont. Die Taliban achten nur darauf, was ihre politischen und religiösen Würdenträger sagen. Dies sind nicht grundsätzlich traditionelle oder hierarchische Führer, sondern oft auch respektierte Kämpfer. Taliban wollen nur ihrer eigenen Gesellschaft gefallen. Ihre Gesellschaft ist vor allem ihre islamische Szene.
Erklärt das ihre Brutalität?
Ein zweiter Faktor, der die Taliban zu dem machte, was sie heute sind, war der pakistanische Geheimdienst. An dessen Tropf hängen sie bis zum heutigen Tag. Der ISI ist in der Region allmächtig und wollte in den 90ern für seine US-inspirierte Unterstützung bestimmte Leistungen sehen. Wie weit diese Zusammenarbeit heute noch geht, ist den westlichen Medien nicht klar.
Dass der ISI die Taliban unterstützt, steht in allen Zeitungen.
Ja, aber meine Formel für das inoffizielle Vorgehen der USA heißt "Terrormanagement": Die CIA weiß nicht nur, dass der ISI die Taliban unterstützt. Sondern sie fördert das. Dies glauben übrigens auch die meisten Afghanen: dass die USA ihre Feinde nähren, damit sie nicht abziehen müssen.
Der Krieg in Afghanistan kostet die USA viel Geld, viele Menschenleben, und US-Präsidenten werden für schwierige Kriege abgewählt.
Bislang zählen wir 950 tote Soldaten des Antiterrorbündnisses insgesamt, das sind für amerikanische Verhältnisse nicht viele. Natürlich ist das für die US-Regierung ein Ritt auf Messers Schneide. Es mischen sich dabei große Fehler mit abenteuerlicher Politik. Möglicherweise haben die USA auch nicht damit gerechnet, dass die Taliban von Russland und China mit Waffen derartig umfassend beliefert werden. Wenn jetzt der zuständige Nato-Kommandeur wieder 20.000 Mann mehr fordert, ist das deshalb nicht mehr als ein Hustenbonbon.
Wofür also all die teuren Hustenbonbons?
Es gibt das geopolitische Interesse der USA, Russland, Iran und China einzukreisen. Und es gibt zwei wichtige Pipelines, die von US-Firmen durch Afghanistan gebaut werden sollen: etwa die lange geplante Ölpipeline aus Turkmenistan bis nach Pakistan und eine weitere für Gas bis nach Indien. Diese amerikanische Interessenlage war Teil meines Unterrichts bei der Bundeswehr, für die ich eineinhalb Jahre lang vor über 1.200 ausgewählten Isaf-Führungskräften Schulungsvorträge gehalten habe. Die deutschen Stellen - Bundesregierung, Bundeswehr und BND - sind mit diesen US-Interessen vertraut, die Pipelinekarten erhielt ich immerhin von der Bundeswehr selbst.
Unterstellen Sie, dass die Bundesrepublik williger Trottel der USA ist - oder die Interessen der USA teilt?
Deutschland hat sich von den amerikanischen Zielen inzwischen nahezu vollkommen abhängig gemacht. Doch auch die Bundesregierung muss begreifen, wie man die Taliban einbindet, statt zu fantasieren, dass die Nato sie vielleicht doch vernichtet. Das wird nicht klappen, weil man Ideen nun einmal nicht ausrotten kann. Man wird die Taliban aber nicht einbinden, indem man sie quasi als Marsbewohner oder andere Sorte Maus behandelt - dazu sind sie auch einfach zu stark. Für einen nachhaltigen Frieden müssen wir uns mit genau diesen Leuten an einen Tisch setzen und ihre wohlverstandenen Interessen wahrnehmen.
Welche Interessen?
Wohlverstandene Interessen können etwas anderes sein als das, was diese Leute machen. Das könnte sein, dass sie die Frauen fördern, statt sie zu unterdrücken. So etwas kann ich mit denen in Ruhe diskutieren.
Afghanische Fraueninitiativen können das nicht.
Ich habe einmal selbst einen Mädchenschulvertrag im Talibangebiet in der Provinz Paktika ausgehandelt. Ich hatte erklärt, dass die Mädchen doch später als Mütter ihre afghanischen Söhne unterweisen müssen. Man muss diese Leute bei ihrem kulturellen Ehrgeiz packen. Das gelingt bei den Taliban aber nur dann, wenn sie nicht das Gefühl haben, sie sitzen ihren Feinden gegenüber. Ich bin kein Parteigänger der Taliban. Aber ich habe verstanden, dass sie sich von uns nicht unsere Kultur aufdrücken lassen wollen.
Erst kürzlich war von einem Mädchen zu lesen, dem auf dem Schulweg Säure ins Gesicht geschüttet wurde. Viele der neuen Schulen stehen leer.
Genau, man liest von 35 Prozent. Und natürlich gibt es immer noch zu viele durchgeknallte Idioten, die wehrlose Mädchen angreifen. Aber es ist nun einmal Politik des afghanischen Widerstands, keine Entwicklungshilfe zu dulden, die nicht abgesprochen ist. Der ehemalige Militärarzt Reinhard Erös mit seiner Kinderhilfe Afghanistan und der Hamburger Verein Afghanistan-Schulen haben schon in der Talibanzeit Mädchenschulen gebaut. Auch die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) spricht mit den Taliban, wenn sie in Südafghanistan Projekte organisiert. Wer sich mit den Taliban abstimmt, bekommt keinen Ärger - solange er keine westlichen Sonderlocken dreht.
Sonderlocken?
Die Taliban wären dagegen, wenn Sie statt Koran- auch amerikanisch inspirierten Politikunterricht geben wollten. Sie würden Einspruch erheben, wenn wir das Fach Gemeinschaftskunde mit Schwerpunkt "Befreiung der Frau" einrichten würden. Aber Rechnen, Lesen, Schreiben sind nicht das Problem. Nach meiner Erfahrung sind die Auflagen am Ende von Diskussionen erstaunlich locker. Solange man sich an den für ganz Afghanistan verbindlichen Unterrichtsplan hält, kriegt man auch von den Taliban ein Okay. Wer das versäumt, riskiert leere Schulen.
Denen, die mich damit erpressen, dass sie Mädchen Säure ins Gesicht schütten, billige ich die Macht über meine Bildungsprojekte zu. Die Brutalsten bekommen Mitsprache und am Ende das ganze Land.
Das ist nicht meine Politik. Es ist schlicht sinnvoll, die Taliban bei der Planung konkreter Projekte, für die es auch eine Mehrheit im Lande gibt, mit an Bord zu nehmen.
Werden die jetzt offiziell zugegebenen Verhandlungen mit der Regierung Karsai zu irgendetwas führen?
Nein. Das weiß ich von den Talibanvertretern selbst, die an den informellen Gesprächen beteiligt sind. Karsai sagt: Ich beteilige euch an der Regierung. Die Taliban aber sagen: An deiner Regierung, die fremde Truppen ins Land lässt, beteiligen wir uns nicht, wir kämpfen dagegen. Vor dem Abzug fremder Truppen werden die Taliban keiner Lösung zustimmen. Gar keiner.
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