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Adidas, Daimler und Co. geben aufPleitewelle in "Second Life"

Noch vor ein, zwei Jahren konkurrierten große Konzerne noch darum, wer die schönste Dependance in der Onlinewelt errichtet. Inzwischen haben sie sich sang und klanglos verzogen.

Es war einmal: Mercedes-Präsentation in Second Life. Bild: dpa

Schrumpfende Städte und Firmenpleiten gibt es nicht nur im Osten, auch in der virtuellen Welt machen immer mehr Geschäfte ihre Pforten dicht. In "Second Life", dem Tummelplatz für Leute, die ihr erstes Leben lieber vor dem Rechner verbringen, hat die Pleitewelle nun Dimensionen angenommen, die der an der Wall Street in nichts nachsteht: Neun von zehn Online-Ablegern von Unternehmen haben ihre ersten achtzehn Monate nicht überstanden. Das berichtet aktuell das Magazin Wirtschaftswoche.

Dabei klang im vergangenen Jahr noch alles nach Goldrausch und Expansion. Zahlreiche große Markenunternehmen von Adidas bis Vodafone gründeten Ableger in der Cyber-Welt. Alle wollten ihre Produkte an den Avatar bringen - das sind jene digitalen Doppelidentitäten, in die ein "Second Life"-Nutzer schlüpft.

Daimler etwa baute eine virtuelle Rennstrecke, auf der Interessierte die Fahreigenschaften der neuen C-Klasse testen konnten. Die Deutsche Post eröffnete eine Pixel-Filiale, von der aus sich Postkarten in die reale Welt verschicken ließen. Beide Firmen haben in diesem Frühjahr ihr Engagement wieder eingestellt.

Auch andere Global Player wie Adidas, Vodafone oder der PC-Hersteller Dell mussten mittlerweile erfahren, dass auf einem virtuellen Markt dieselben Regeln gelten wie im echten Leben: Wenn kein Geld zu verdienen ist, wird der Delete-Knopf gedrückt.

Wird die idyllische Inselwelt nun zur Servicewüste?

Mark Kingdon, Vorsitzender des Second Life-Erfinders Linden Lab, sieht die Schuld für den massenhaften Exodus im Medienhype, der um die Web-Welt entstanden war. Für einen echten Belastungstest sei Second Life noch unausgereift. "Ich empfehle Geschäftsleuten, eher abzuwarten", vertraute er dem Focus an. "In naher Zukunft wird es einen Zeitpunkt geben, an dem sie zurückkommen können, um dem Zweiten Leben eine zweite Chance zu geben." So kann man das natürlich auch darstellen.

Eines der größten Probleme für die realen Second Life-Unternehmen: Von den weltweit 15 Millionen registrierten Nutzern besuchen nur ein Bruchteil regelmäßig die bunte Inselwelt. Die meisten User melden sich kostenlos an, sehen sich in der optisch eher reizarmen Umgebung um, kommen mit der komplizierten Steuerung nicht zurecht und verabschieden sich auf Nimmereinloggen.

Dazu kommt, dass die Software hinter Second Life so programmiert ist, dass sich nicht mehr als 50 Avatare auf einmal am gleichen Ort aufhalten können: da setzt die nur scheinbar unbegrenzte virtuelle Welt Limits, die sich ein Unternehmen in der echten Welt niemals gefallen lassen würde. Oder wird Adidas vor seine Filialen demnächst Türsteher postieren?

Außerdem bekommt der Platzhirsch Second Life zunehmend Konkurrenz. Sony plant eine eigene 3D-Online-Welt, auf die von der Playstation aus zugegriffen werden kann und die eine virtuelle Welt in bislang ungekannter grafischer Qualität verspricht. Andere Konkurrenten von Second Life heißen "Moove", "Active Worlds", "There" oder, wie ein deutsches Unternehmen, "Twinity".

Bei "Twinity" wurde Anfang des Monats unter Mitwirkung eines digitalen Wowereit-Doubles eine 3D-Nachbildung von Berlin eingeweiht. Statt selbst gebastelter Phantasie-Inseln und fantastischen Doppelgängern mit Flügeln oder Ritterrüstung sehen Bewohner und Gebäude des virtuellen Berlin fast genauso aus wie in der realen Hauptstadt. Nur sind die Straßen um einiges sauberer.

In seiner kurzen Ansprache vor einer Nachbildung des Roten Rathauses lobte der Wowereit-Avatar das Projekt, das sich noch in der Beta-Phase befindet, warf aber auch die eigentlich entscheidende Frage auf: "Wie kann man das mit einem praktischen Nutzen verbinden?"

Die Antwort auf diese Frage liegt auf der Hand: So wie das überflüssige Engagement großer Konzerne ließen sich auch städtebauliche Missgriffe mit einem simplen Knopfdruck beseitigen.

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