: Euthanasie im Fach Philosophie
■ Seminar mit deutlicher Schlagseite über „Praktische Ethik“ Singers an der Uni Duisburg geriet ins Kreuzfeuer / Seminarleiter Hartmut Kliemt machte angesichts massiven Protests Rückzieher
Duisburg (taz) - Die Essenerin Wilma Kobusch brachte den Stein ins Rollen. Sie verlangte vom Rektor der Duisburger Uni, Professor Gernot Born, das für das Wintersemester vom Philosophieprofessor Hartmut Kliemt angekündigte Proseminar zur „Praktischen Ethik“ von Peter Singer abzusetzen und informierte Studentenschaft und Öffentlichkeit: „Es ist ganz ungeheuerlich, daß wieder einmal auf dem Campus das Leben von Minderheiten zur Diskussion steht, ganz abgesehen davon, daß es für die betroffenen Gruppen entwürdigend ist.“ Die 53jährige, die sich nach 35 Jahren Berufstätigkeit als Pensionärin im Fach Philosophie einschreiben wollte, wurde selbst „mit einer im Dritten Reich verdammt lebensgefährlichen Behinderung geboren“.
Der heftig umstrittene australische Hochschullehrer Singer ist Euthanasie-Befürworter. Dabei meint er nicht den Sterbewunsch eines schwer leidenden Menschen, sondern rechtfertigt die Tötung von Behinderten und schwerkranken Neugeborenen durch Ärzte oder andere Personen, wenn sie bestimmte, mittels der „praktischen Ethik“ definierte Anforderungen an das Menschsein nicht erfüllen. Kritisiert wird er besonders in der BRD wegen der Nähe seiner Thesen zu nationalsozialistischen Euthanasie-Theorien, die den Massenmord an Behinderten rechtfertigten. Aber auch GegnerInnen von Gentechnologie, Embryonenforschung und Leihmutterschaft verurteilen die Singersche „Wissenschaft“, weil seine Veröffentlichungen über den - Gebrauchswert menschlichen Lebens „dem Hightech-Wahn das moralische Unterfutter“ liefern, so Wilma Kobusch in ihrem Brief an den Duisburger Uni-Rektor.
Die Antwort kam nicht von Born selbst, sondern vom Prorektor der Duisburger Uni und Gesamthochschule, Prof. D. -J. Löwisch: „Die Veranstaltung von Prof. Kliemt wird ohne Auflage stattfinden.“ Energisch wies er Kobuschs Ansinnen als „Aufforderung zur Zensur“ zurück und verwehrte sich im Namen des Rektorats gegen „jeden fremden Eingriff“ in die Freiheit der Wissenschaft. Wilma Kobusch hatte vor allem kritisiert, daß Singers „Praktische Ethik“ alleinige Grundlage des Kliemt-Proseminars sei.
Die Studentenschaft polarisierte sich. Nach einer Veröffentlichung des AStA: Philosophie als Wegbereiter für faschistisches Ideengut? stellte sich die Fachschaft Philosophie hinter Professor Kliemt und forderte die „sachliche Auseinandersetzung“. Kliemt selbst zeigte sich von der „Haltlosigkeit des gegen Singer erhobenen Faschismusvorwurfs“ überzeugt und forderte die KritikerInnen auf, sich selbst ein Bild zu machen. Das taten sie. GEW -VertreterInnen, Graue Panther und Eltern behinderter Kinder besuchten das Seminar und protestierten aufs schärfste dagegen, „daß die Thesen zur - Tötung unwerten Lebens - in einem Seminar wertfrei diskutiert werden sollen“. Kliemt selbst sorgte für neuen Sprengstoff mit Äußerungen wie: „Ich stimme der utilitaristischen Ethik von Singer zu, denn sein Grundsatz, Leiden zu vermeiden und Glück zu schaffen, ist doch eine gute Sache.“ Stellungnahmen kamen von Professoren aus allen Fachbereichen; unter dem öffentlichen Druck begann Kliemt, sich von Singers „Praktischer Ethik“ zu distanzieren.
Uni-Rektor Born setzte unterdessen auf „offene Auseinandersetzung“ und unterrichtete Wilma Kobusch am Mittwoch von einer für den 15. Dezember geplanten Podiumsdiskussion, zu der auch sie aufs Podium geladen sei. Am gleichen Tag jedoch sagte der zuständige Dekan, Dankwart Danckwerts, die Veranstaltung wieder ab. Als Dekan, so Danckwerts zu Wilma Kobusch, könne er nicht die Verantwortung dafür übernehmen, daß Kliemt auf dieser Veranstaltung massiver öffentlicher Kritik ausgesetzt werde.
Bettina Markmeyer
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