Rudolf-Heß-Briefmarken im Umlauf: Der klebrige Nazi
Mit dem Plusbrief-Individuell können Postkunden Briefmarken personalisieren. Neonazis verschickten erfreut Briefe, auf denen Rudolf Heß klebt.
Diese Überraschung kann schon einige rechte Kameraden erfreut haben. Im Briefkasten fanden sie vielleicht bereits nette Post vom braunen Gesinnungsfreund: Hübsch verziert mit dem Konterfei von Rudolf Heß. Ein neues Angebot der Deutschen Post AG macht es möglich: Der Plusbrief Individuell. Im Internet können Kreative und Geneigte mit wenigen Klicks auf www.plus brief-individuell.de die Briefe selbst mit der gewünschten Bildbotschaft herstellen. "Ja, wir haben diese Briefe mit einem Konterfei von Rudolf Heß ausgeliefert", räumt Dirk Klasen, Pressesprecher der Deutschen Post AG, ein, und betont: "Leider, trotz Kontrollmechanismen".
In der aktuellen Ausgabe der NPD-Monatszeitung Deutsche Stimme weist der Autor Hannes Natter auf diese Propagandaoption hin. "Kurz vor dem 114. Geburtstag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß am 26. April", schreibt er, hätte die Post AG "eine Briefmarke mit seinem Antlitz" gedruckt. Als ein Kamerad ihm davon berichtete, dachte er erst, es wäre ein verspäteter Aprilscherz, führt er weiter aus. Doch Natter versichert: "Historisch interessierte Menschen nutzen offenbar gern das neue Angebot. Und so entstanden im Frühjahr auch die bei Sammlern inzwischen sehr begehrten Rudolf-Heß-Briefmarken." Ab zirka 30 Euro für 20 Plusbriefe sei man mit dabei.
"Natürlich haben wir Prüfstellen für diese sehr personifizierte Produkt", erklärt Pressesprecher Klasen, auch um sittenwidrigen und kinderpornografischen Motiven nicht "dieses Forum" zu geben. Nach der Auswahl des Motivs für die Marke im Internet werden die Briefe von der Post AG gedruckt und an den Besteller verschickt. Hier überprüften Postmitarbeiter die vom Kunden ausgewählten Motive. Natter beklagt so auch in der Deutschen Stimme, dass "jüngst eine harmlose Abbildung des Hermannsdenkmals im Teutoburger Wald verweigert" wurde. "Wir versuchen unseres Bestes", sagt Klasen, betont aber gegenüber der taz selbst: "Ein hundertprozentige Kontrolle ist nicht gegeben." Nicht nur wegen der starken Nachfrage. "Die Möglichkeiten der Gestaltung sind sehr groß", hebt er hervor, die Chance der Kontrolle sei gering. Allein die in der rechten Szene sehr beliebten Zahlen- und Buchstabencodes seien für die Prüfstellen nicht leicht zu erkennen. Aber auch Kinderbilder von späteren NSDAP-Größen seien ihnen schon untergekommen.
Der Clou mit dem Heß-Motiv überrascht wenig. In den vergangenen Jahren nutzen NPD und "Freie Kameradschaften" (FK) verstärkt Medien außerhalb ihrer Szene, um ihre Propaganda breiter streuen zu können. Für die öffentliche Idealisierung des Hitler-Stellvertreters war ihnen schon lange jedes Mittel recht. Zum Todestag des verurteilten NS-Kriegsverbrechers pilgerten NPD und FK nach Wunsiedel. In der kleinen bayrischen Stadt liegt Heß begraben. 2001 war es nach einer langen Pause dem Neonazianwalt Jürgen Rieger, heute NPD-Bundesvorstandsmitglied und Hamburger Landeschef, vor Gericht gelungen, die Märsche durchzusetzen. Erst erneuter Protest und richterliche Entscheidungen bremsten die Aufmärsche, zu denen mehrere tausend Kameraden kamen.
Vor seinem Tod taugte Heß nicht als Symbolfigur. Sein Flug nach England 1941, seine Neigung zur Esoterik schafften in der Szene noch Verwirrung. Erst nach seinen Selbstmord 1987 im Kriegsverbrechergefängnis Berlin-Spandau machte die Szene ihn zum Märtyrer. Sie feiern ihn als unbeugsamen Gesinnungskameraden, der für seine Ideale "46 Jahre unmenschliche Gefangenschaft auf sich nahm". Der Flug nach England wurde längst zu einen "Friedensflug" verklärt, in zahllosen Rechtsrockliedern huldigen Bands und Fans diesem "Friedensflieger" - er wollte doch angeblich nur einen Separatfrieden aushandeln. Vor allem seine letzten Worte vor dem Internationalen Militärgericht in Nürnberg 1946 gefallen den Rechtsextremen: "Ich bereue nichts. Stünde ich wieder am Anfang, würde ich wieder handeln wie ich handelte." Die Wahrheit geht verloren wenn Heldenmythen entstehen. So schreibt Natter in der Deutschen Stimme von einem "vermutlich gewaltsamen Tod" des NS-Kriegsverbrechers.
Mit einer Flut von Briefen mit dem Bild des NS-Verbrechers muss jedoch nicht gerechnet werden. "Im März wurde die Bestellung ausgeliefert, 20 Briefe", sagt Klasen und versichert: "Wir haben die Prüfer erneut auf diese Möglichkeit des Missbrauchs hingewiesen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten