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Mit sanfter Ironie

■ Wolfgang Engel inszeniert am Wiener Burgtheater „König Ottokars Glück und Ende“

Wolfgang Engels eklektizistischer Regiestil, der sich nach eigener Einschätzung dem Text gegenüber assoziativ verhält, steckt die meisten Figuren in Gehröcke des 19.Jahrhunderts, die Soldaten in Monturen des 20.Jahrhunderts, den Böhmenkönig Ottokar, Margarethe und Kunigunde, seine erste und zweite Frau, in Kostüme eines historischen Mittelalters. Rudolf von Habsburg — der überraschend anstelle des mächtigen Ottokars zum deutschen Kaiser gewählt wurde und diesen als seinen nunmehrigen Lehnsmann energisch, aber nicht rücksichtslos in die Knie zwingt — erklärt seinem Gegenspieler, daß sie „am Eingang einer neuen Zeit“ stünden, die Zeit der Drachen und der Helden sei dahin. Dies mag für Engel Argument gewesen sein, Peter Fitz zum Bürgerkaiser, Franz Moraks Ottokar hingegen zur sagenhaft unbestimmten Figur zu machen.

Peter Fitz, der Glücksfall eines Schauspielers, dem man jede Rolle glaubt und verzeiht, spielt Rudolf als grauen, aber gar nicht ungefährlichen Bürgersmann. Wenn Fitz mit eigener Hand am Helm herumbessert, schlägt er mit dem Hammer nochmals leicht darauf, nachdem er ihn bereits auf den Kopf gestülpt hat, und liefert damit gleich die Metapher für Wolfgang Engels gesamtes Regiekonzept mit: Dieser paßt sich Grillparzers Vorlage mit Ironie an, aber ohne den eigenen Kopf feige (aus der Schlinge?) zurückzuziehen.

Alle Figuren agieren in einem von Jochen Finke aus rostbraunen Metallplatten zusammengesetzten ovalen Halbrund, das für jedes Shakespearsche Königsdrama taugen würde. Der Regisseur versucht derart, der formalen Uneinheitlichkeit von König Ottokars Glück und Ende gerecht zu werden, entzieht sich so aber auch dem Risiko, einer Interpretation den Vorzug zu geben — etwa das gesamte Stück aus der Sicht seiner bürgerlichen Moral zu erklären.

Hinweise dafür gäbe es genug: Ottokars Scheidung von Margarethe, die ihm keinen Erben gebar, und seine Heirat mit der jüngeren Kunigunde von Ungarn etwa ist in Grillparzers Trauerspiel kein dynastisches Problem der Notwendigkeit der Erbfolge, sondern das bürgerlich-moralische Problem des Ehebruchs. Oder wenn Ottokar auf Kunigundes Verhöhnung mit einer Kriegserklärung an den deutschen Kaiser reagiert, um zu beweisen, daß er kein Schwächling ist — dann wird Weltgeschichte zum Privatkrieg. Therese Affolter gelingt es, diese heikle Rolle — deren Unabhängigkeitsdrang in dem Maß in Frage gestellt wird, in dem sie ihren Mann unbarmherzig im Stich läßt — vor der Denunziation zu bewahren, weil sie die Figur mehr mit theatralischem Kalkül als mit psychologischem Raffinement ausstattet.

Gerade diese Geschichten, in denen sich das Private mit dem Politischen durchdringt, oft auch komisch in die Quere gerät, inszeniert Engel nicht als bürgerliches Moralstück. Vielmehr erzählt er sie aus der Perspektive Zawischs, den Markus Boysen als Fallensteller anlegt, der mit weit ausholenden Gesten und raschen Bewegungen sein intrigantes Spiel gegen Ottokar inszeniert und sein Liebesspiel mit Kunigunde treibt — alles zu Theater macht, ständig aufs Theater verweist. Selbst der Bühnenvorhang geht auf seinen Fingerzeig in die Höhe.

Dieses Konzept funktioniert, solang Zawisch in Grillparzers Stück eine Rolle spielt. Sobald er aber nach seiner Flucht mit Kunigunde kaum noch auftritt, gelingt es dem Regisseur nicht, einen Ersatz für diesen Spielleiter zu finden.

Die sanfte Ironie so mancher Szene und die Verweise auf den Spielcharakter der Intrige hält König Ottokars Glück und Ende bis zum dritten Akt am Leben. Dann wird die ganze Verantwortung gewissermaßen auf den Darsteller des Ottokars abgeladen. Doch Franz Morak kann die zunehmende Isolierung, das Aufbäumen gegen den drohenden Machtverlust und die schleichende Bewußtwerdung seiner Schuld nur in Ansätzen begreiflich machen. Der Verfall Ottokars wird bei Grillparzer kaum dramatisch rational erklärt. Des Königs Abstieg hat jedenfalls traumatischere, alptraumhaftere Züge, als sie in der Burgtheateraufführung sichtbar werden.

Urs Heftis Aufgabe kann es wohl nicht sein, dafür Verständnis einzufordern — auch wenn sein Kanzler im schwarzen Mantel und mit Aktentasche Ottokar kopfschüttelnd, aber doch verständnisvoll bis zum Ende begleitet. Hefti erscheint wie das Alter ego Grillparzers, der seiner Titelfigur mit ähnlich beunruhigender Sympathie gegenübergestanden haben dürfte. Dieter Bandhauer

Franz Grillparzer: „König Ottokars Glück und Ende“, Regie: Wolfgang Engel, Bühne: Jochen Finke; mit Therese Affolter, Peter Fitz, Walter Reyer, Franz Morak, Markus Boysen, Urs Hefti. Burgtheater Wien. Aufführungstermine im Februar: 5., 6., 7., 8., 13., 15., 20. und 26.

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