: Einfallslosigkeit auf dem Tisch dominiert die Spielemesse
Gute Unterhaltungsspiele sind rar — auch auf den diesjährigen Essener Spieletagen ■ Aus Essen Peter Huth
Seit Donnerstag letzter Woche ist Essen wieder Treffpunkt aller Spielefans: Unter dem Titel „Spiel 91“ öffente die mittlerweile größte europäische Publikumsmesse für Familien-, Erwachsenen- und Gesellschaftsspiele ihre Pforten. Was vor etlichen Jahren als Familienspielabend anläßlich der Verleihung des Kritikerpreises „Spiel des Jahres“ in der Essener Volkshochschule begann, hat sich zu einem Spielespektakel mit an die 100.000 BesucherInnen gemausert. Das Geheimnis dieses Aufschwungs liegt im Grundgedanken der Messe: Die an Spielen interessierte BesucherInnen können auf den internationalen Spieletagen jedes der dort ausgestellten Spiele ausführlich einem Spieltest unterziehen.
Veranstalter Friedhelm Merz hat die Messe im Laufe der Jahre immer stärker professionalisiert, mit Wettbewerben ergänzt und so zu einem Muß für die großen deutschen Spieleverlage gemacht. In diesem Jahr kann der ehemalige „Vorwärts“- Verleger mit 378 Ausstellern aufwarten, die an die 200 Spieleneuheiten präsentieren. Doch die Mehrheit der Neuerscheinung sind nicht gerade ein Hit. Nach dem Motto „Das Brett vor dem Kopf auf den Tisch bringen“ zeigt sich die Einfallslosigkeit vieler Verlage und SpieleerfinderInnen an der anhaltenden Adaption von Fernsehquizsendungen wie zum Beispiel Bingo oder dem mißglückten Versuch, Sex auf das Spielfeld zu bannen. Positiv fällt auf, daß in der Fülle der angebotenen Spiele und trotz gesalzenen Standpreise, es auch Kleinverlagen gelingt, ihre Produkte dem spielwütigen Publikum zu präsentieren.
Der Trend, wie die Messe zeigt, geht zum Zielgruppenspiel. Die Verlage versuchen, ihre Marketingstrategien auf Basis der Marktforschung immer weiter zu verfeinern, um die Spiele an das ausgewählte Zielpublikum zu bringen. Hauptopfer dieser Anstrengungen sind in diesen Jahr 12- bis 16jährigen Mädchen mit Englischkenntnissen. Spiele wie Girl Talk oder Girls, Girls, Girls sollen sie animieren. Die Spiellust der BundesbürgerInnen scheint keine Grenzen zu kennen. Der Gesellschaftsspielmarkt boomt ungebrochen. 1990 wurden runde 720 Millionen Mark umgesetzt. Die diesjährige Steigerungsrate liegt bei 12 Prozent.
Die Spielemesse wartet mit einer wahren Preisinflation auf. Dabei sind gute Spiele dünn gesät. Im vergangenen Jahr wurde erstmals ein „Deutscher Spielepreis“ vergeben. Zudem verlieh die Stadt Essen die „Goldenen Feder“ für vorbildhafte Spielanleitungen. Außerdem holte Merz die Vergabe des jährlichen LeserInnenpreis der von ihm herausgegebenen 'Pöppel-Revue‘, den „Goldenen Pöppel“, von der Nürnberger Spielwarenmesse nach Essen. Was die neuen Preise sollen, bleibt ein Rätsel — gibt es es doch mit dem Kritikerpreis „Das Spiel des Jahres“ bereits eine bei Verlagen und Publikum gleichermaßen anerkannten Ehrung. Hinzu kommt, daß im letzten Jahr die Preisträger beider Auszeichnungen identisch waren. Diesen Fehler wollte man nicht wiederholen und erkor Das Labyrinth der Meister von Max J. Kobbert zum Preisträger. Das Spiel ist lediglich eine leicht veränderte Neuauflage des vor drei Jahren ebenfalls bei Ravensburg erschienenen sehr erfolgreichen Verrückten Labyrinthes. Der diesjährige Preisträger des Kritikerpreises, das amüsante Spiel Drunter & Drüber von Klaus Teuber, landete bei der Merz- Jury dagegen nur auf Platz drei. Klaus Teuber konnte nach Barbarossa und die Rätselmeister und Adel verpflichtet damit bereits zum dritten Mal den begehrtesten Preis einheimsen.
Die bereits zu den Göttinger Autorentagen angekündigte Gründung einer „Spiel-Autoren-Vereinigung“ ist in Essen glücklich vollzogen worden. Präzisere Gründe als „Satzungsfragen“ waren dem ersten Vorsitzenden SpielautorInnen, Hajo Bücken, zu der Verschiebung nicht zu entlocken. Der Verein, der sich jetzt „Spielautoren-Zunft“ nennt, spiegelt mit seinem Namen ein Stück patriachalisches Verhalten der Verleger gegenüber den Autoren wider. Hauptanliegen der Autorenvereinigung wird es sein, einen Mustervertrag und Mitspracherechte bei der Spielproduktion zu erstreiten. Einige Autoren strotzen denn auch vor neuem Selbstbewußtsein. Waren bislang auf den Spieletagen immer Klagen über das selbstherrliche Verhalten der Großverlage im Spielegeschäft zu hören, gab es diesmal auch kämpferische Stimmen.
Der Messeveranstalter Merz ist derweil weiter im Kommen. Der Verleger, der verschiedene Spielezeitschriften herausgibt und einen recht umfassenden Spielekalender präsentiert, liebäugelt neuerdings mit der Spielautomatenbranche, deren Handbuch er bereits herausgibt. Im November dieses Jahres wird er in Leipzig zum ersten Mal in den neuen Bundesländern die „Internationalen Spieletage“ im Kleinformat veranstalten.
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