: Spiel auf Zeit: die Aussitzer von Magdeburg
■ Walter Remmers / Antonius Stockmann / Johann Lottmann
Walter Remmers
Noch bevor der Polizeibericht vorlag, hatte sich der Innenminister Sachsen-Anhalts festgelegt: „Die gesamte Leistung der Polizei ist für mich beeindruckend“, verkündete der oberste Dienstherr der Ordnungskräfte. Und hielt damit, was er versprach: „Ich stehe hinter meiner Polizei.“ Eine Haltung, auf die er sich trotz Versagens der Einsatzleitung versteifte — sehr zur Überraschung vieler Kollegen. Denn der 60jährige hatte sich von 1982 bis 1990 als niedersächsischer Justizminister den Ruf eines Liberalen erworben. Er setzte sich 1989 für die Zusammenlegung der Celler RAF-Gefangenen ein. 1990 wurde er Justizminister in Sachsen-Anhalt, übernahm im Dezember 93 zusätzlich das Innenressort. Eine Doppelbelastung, die ihn offenbar überfordert und zum Rechtsausleger machte. Nun kann er nicht verstehen, warum sein Rücktritt gefordert wird. Immerhin dient der Eklat doch Remmers' neuem Lieblingsziel: der Strafgesetzverschärfung.
Antonius Stockmann
Antonius Stockmann wurde im Juni 1992, einen Monat nach dem Skinhead-Überfall auf die Magdeburger Elbterrassen, bei dem der Punk Torsten Lamprecht totgeschlagen wurde, Polizeipräsident der Landeshauptstadt. Und deckte sofort die Beamten. Bis heute ist kein einziges Verfahren gegen die Einsatzleitung eröffnet worden, obgleich die Polizisten nicht eingegriffen hatten. Als am „Herrentag“ 1994 Ausländer durch die Straßen gejagt wurden, erholte sich der 59jährige Polizeipräsident im Kurzurlaub – trotz der Vorwarnung des Verfassungsschutzes und der Ausschreitungen, die bereits 1993 am Himmelfahrtstag stattgefunden hatten. Von der Einsatzleitung informiert, leitete Stockmann nicht die erforderlichen Maßnahmen ein. Unerfahrenheit kann es nicht gewesen sein: Als Leiter des Dezernats Polizeirecht in Darmstadt beriet er über die Polizeieinsätze an der Frankfurter Startbahn West. Stolz verkündet er heute: „Ich bin durchaus Einsatz-erfahren.“
Johann Lottmann
Als Innenminister Remmers und Polizeipräsident Stockmann vor dem Innenausschuß zum Rapport erscheinen mußten, blieb Johann Lottmann vor der Tür. Man wollte den Polizeichef möglichst draußen lassen, wenn es um die Vorwürfe gegen die Einsatzleitung ging. Denn der leitende Polizeidirektor – der wie Remmers aus Hannover geholt wurde – hatte schon einmal versagt: Er war im Mai 1992 verantwortlicher Leiter des Einsatzes Elbterrassen. Torsten Lamprecht starb, von Skinheads erschlagen. Lottmann blieb. Auch am Himmelfahrtstag 1994 hatte der seit März 1991 agierende Polizeichef das Kommando übernommen: Um 18.55 Uhr erschien er höchstpersönlich im Lagezentrum. Und ordnete an, „Raumschutzstaffeln zu fahren“. Hernach lobte er den „mutigen Einsatz“ seiner Polizisten: „Die haben sogar riskiert, selbst attackiert zu werden.“ Wahrlich ein Fortschritt, denn das hatten sie bei den Elbterrassen noch nicht getan.
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