: Die weibliche Fontäne
Prickelnd wie lauwarmes Wasser, von der Medizin lange Zeit verschwiegen – Sabine zur Nieden ist der weiblichen Ejakulation auf die Spur gekommen ■ Von Uta Bollow
Hippokrates und Aristoteles waren sehr vertraut mit ejakulierenden Frauen, wie Sabine zur Nieden in ihrer Untersuchung „Weibliche Ejakulation. Variationen zu einem uralten Streit der Geschlechter“ zeigt. Kurz, prägnant und auch für Laien verständlich führt die Medizinerin in ihrer Dissertation vor, wie ein über Jahrhunderte selbstverständliches Wissen verschwindet, um es dann in die Gegenwart zurückzuholen.
In der Antike gab es noch keinen Zweifel darüber, daß eine Frau auf dem Höhepunkt ihres sexuellen Genusses einen „Saft absondert“ oder daß bei ihr „der Samen hervorbricht“. In den Schriften wird die Menge der Flüssigkeit betont, die die des männlichen Samens bei weitem übertreffe, wie Aristoteles geradezu neidisch konstatierte. Bis ins 18. Jahrhundert wird über die befruchtende Kraft des weiblichen Samens gerätselt. Für die katholische Kirche war der nährende Charakter des weiblichen Samens unantastbar, drum verbat sich die katholische Moraltheologie des Mittelalters auch eine willentliche Unterdrückung dieses wertvollen Wässerchens. Mit der Entdeckung des „Dierkens“, des „Samentierchens“ im Ejakulat der Männer Ende des 17. Jahrhunderts ist es mit dem Neid auf sprudelnde Frauen so gut wie vorbei. Dabei ist die Bezeichnung des männlichen Spermas als Samen keineswegs korrekt. In der Pflanzenwelt ist ein Samen die Keimzelle, die bereits den männlichen und den weiblichen Anteil enthält und, einmal zu Boden gefallen, selbständig sprießen kann. Männliches Sperma dagegen hinterläßt höchstens Flecken.
Die Flüssigkeit, die sich in der medizinischen Debatte verliert, spritzt zwar in den Erzählungen bei de Sade genauso weiter wie in der pornographischen Literatur des viktorianischen Englands, und auch in populärwissenschaftlichen Aufklärungsbüchern des 17. und 18. Jahrhunderts wird weiterhin auf die Flüssigkeit der Frau hingewiesen, die sei beim Beischlaf vergießt, allein aus dem Allgemeinwissen und den Köpfen vieler Frauen verschwindet dieser Samen. Zur Nieden zeichnet eindrucksvoll nach, wie bis heute Wissen aus der Embryologie vergessen und verleugnet wird, um diesen Schwund zu manifestieren. Nach wie vor erklären Aufklärungsbücher die Sexualorgane der Frau als etwas Besonderes, von dem allgemein männlichen, quasi ursprünglichem, Abstammendem. Obwohl aus der Embryologie längst bekannt ist, da die menschliche Entwicklung – wie bei allen Säugetieren – umgekehrt verläuft: der Mensch ist ursprünglich weiblich, die männlichen Sexualorgane bilden sich beim Embryo erst nach Stimulation durch Hormone, die Androgene, als Abweichung. Männliche Sexualorgange können danach gar nichts haben, was nicht auch bei Frauen vorhanden ist. Insofern spricht nichts gegen eine weibliche Prostata. Trotzdem mußte John Huffmann, ein Mediziner, der 1950 für das starke Drüsengeflecht um die weibliche Urethra den Begriff „weibliche Prostata“ eingeführt hatte, diesen wieder zurückziehen. Obwohl nachgewiesen wurde, daß Frauen aus diesen Drüsen ejakulieren. Egal. Lange vor ihm hatte schon Virchow 1853 auf diese Drüsen und deren Homologie zur männlichen Prostata verwiesen – eine Tatsache, die Galen im zweiten Jahrhundert bereits bekannt war. Der holländische Anatom und Physiologe de Graaf beschrieb bereits 1672 die weibliche Prostata und fertigte Zeichnungen an, mit denen er nach zur Nieden die weiblichen inneren und äußeren Sexualorgane „differenzierter und genauer beschrieben und abgebildet hat als heute“. Und selbstverständlich heißt es bei ihm „prostata mulierum“, also Prostata der Frau.
Der Streit um die Existenz einer solchen Prostata ist entscheidend, da diese auch beim Mann den größeren Teil der Ejakulationsflüssigkeit liefert – das Sperma selbst macht weniger als ein Prozent davon aus.
Den spritzenden Frauen selbst ist dieser Streit ziemlich egal. Genauso wie, daß weder die genaue Konsistenz noch die Herkunft der weiblichen Ejakulation wissenschaftlich geklärt ist. Zur Nieden hat für ihre Arbeit über 300 Frauen nach ihren sexuellen Erlebnissen befragt. Über ein Drittel von ihnen erleben Ejakulationen, weitere 30 Prozent „waren sich nicht sicher“. Sie spritzen in solchen Mengen, daß man große Handtücher drunterlegen muß, um das Bett nicht zu durchnässen, es fühlt sich für sie an „wie lauwarmes, ganz, ganz leicht prickelndes Wasser“ und sie sagen, daß es „wunderbar riecht“, wenn sie „fontäneartig losspritzen“. Sie genießen es und haben Spaß daran – offenbar genauso wie zur Nieden beim Schreiben ihrer Abhandlung, mit der sie nicht nur ein Tabu niederreißen wollte, sondern auch den Frauen die Scham bei diesem lustvollen Vorgang nehmen wollte. Und sie hat diese Fontäne wieder klar benannt. Sie heißt weibliche Ejakulation.
Sabine zur Nieden: „Weibliche Ejakulation. Variationen zu einem uralten Streit der Geschlechter“, Reihe Beiträge zur Sexualforschung, Organ der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung hg. v. Martin Danecker, Gunter Schmidt. Volkmars Siegusch, Bd. 70, Stuttgart 1994.
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