Literatur von Paulo Coelho: Lebenshilfe als Belletristik getarnt
Die Romane des brasilianischen Schriftstellers Paulo Coelho sind äußerst erfolgreich. Sein neues Buch „Untreue“ gibt dennoch Anlass für Kritik.
„Untreue“ heißt das gerade erschienene neue Buch des brasilianischen Erfolgsautors Paulo Coelho. Es ist ungefähr das 25. und es wird sich wie die meisten seiner Vorgänger millionenfach verkaufen. Die Geschichte ist schnell zusammengefasst: Frau ist in der Ehe unzufrieden, betrügt ihren Mann, beendet Affäre, alles gut.
Das Buch wird in der deutschen Fassung mit einer Startauflage von 200.000 Stück auf den Markt geworfen, und angesichts der üblichen Verkaufszahlen ist das für den Verlag vermutlich kein Risiko. Denn die Bücher von Paulo Coelho verkaufen sich wie geschnitten Brot. Allein „Der Alchimist“ wurde weltweit 65 Millionen Mal verkauft. Im Ein- bis Zweijahresrhythmus veröffentlicht Coelho seine Romane, dazu kommen diverse Zitatsammlungen.
Aber warum sind diese Bücher dermaßen erfolgreich? An literarischen Kriterien kann es nicht liegen. Denn „Untreue“ ist ein sehr schlechter Roman. Ich-Erzählerin Linda, 31, ist Journalistin und lebt mit ihrem reichen Mann und zwei Söhnen in Genf. Erzählt wird in der Gegenwartsform. Würde sie ihre Geschichte rückblickend erzählen, wären die vielen Wertungen ihres eigenen Verhaltens etwas flüssiger zu lesen. Denn es ist kein Stream of Consciousness, sondern eine Aneinanderreihung von Erklärungen und Fragen, wie sie kein normaler Mensch je denken oder sagen würde. Linda langweilt sich und hat keine Lust mehr auf Sex mit ihrem Mann, vielleicht kündigt sich eine Depression an.
Blutleere Nichtigkeiten
Paulo Coelho: „Untreue“. Aus dem Brasilianischen von Maralde Meyer-Minnemann. Diogenes, Zürich 2014, 320 Seiten, 19,90 Euro.
Der größte Teil der 300 Seiten gibt Lindas Überlegungen zu ihrem inneren Zustand wieder, mit Sätzen gefüllt wie: „Wir sind nicht die, die wir gern sein wollen. Wir sind das, was die Gesellschaft verlangt“ oder „In einer gesunden Beziehung ist der Sex für die Stabilität der Ehe viel wichtiger als Zukunftspläne oder Gespräche über Kindererziehung.“ Das ist misslungen, weil blutleer und voller Wiederholungen und Nichtigkeiten. Bei den vielen Logik- und Anschlussfehlern würde man bei raffinierteren Autoren vielleicht an eine unzuverlässige Erzählerin denken.
Das Buch ist im „Tell, don’t show“-Stil verfasst: Es wird behauptet, dass Linda ihren Mann liebt, aber sie nennt keinen Grund dafür. „Wir haben zwei Söhne, die (wie meine Freundinnen sagen würden) ’mein ganzer Lebensinhalt‘ sind“, steht auf der ersten Seite. Ein typischer Satz, der Fragen stellt, die nie beantwortet werden: Sind die Söhne nun Lebensinhalt oder gerade nicht? Soll das Ironie sein? Was haben die Freundinnen damit zu tun? Freundinnen, das sei verraten, tauchen nicht auf, und die Söhne werden auf den folgenden 300 Seiten nur erwähnt, wenn sie auf ihren iPads nichtaltersgerechte Ballerspiele daddeln.
Als Linda aus Frust vermehrt einkaufen geht, macht sie „eher Verlegenheitskäufe, wie zum Beispiel etwas für den Haushalt“. Wie viel Mühe hätte es dem Autor gemacht, ein paar konkrete Gegenstände hinzuschreiben, damit der Leser irgendetwas hat, was er sich vorstellen kann?
Frage nach dem Erfolg
Die Erklärung für den Erfolg des Autors liegt also nicht in der literarischen Qualität der Romane. Aber wie erklären die Leser ihre Liebe zu Titeln wie „Der Alchimist“, „Veronika beschließt zu sterben“ und „Der Zahir“? Die zahlreichen 5-Sterne-Rezensionen bei Amazon oder in Social-Reading-Portalen gleichen sich zum Teil aufs Wort: „Regt zum Nachdenken an“ taucht fast in jeder auf.
Und immer wird die „Botschaft“, die „Lebensweisheit“, die „Philosophie“ gepriesen, die Coelho in „wunderbar einfacher Sprache“ vermittele: „Eine Geschichte, die Mut macht, seine Träume zu verwirklichen“ – „Jeder ist seines Glückes Schmied“ – „Man muss sein Leben bewusst leben, im Jetzt“. Um literarische Qualitäten, um Spannung, die Entwicklung der Figuren, geht es allenfalls in den wenigen Verrissen, in denen deren Fehlen bemerkt wird.
Den Hintergrund für Coelhos Romane bieten ganz unterschiedliche Epochen und Weltgegenden. „Der Alchimist“ reist auf Schatzsuche von Andalusien nach Ägypten, „Veronika beschließt zu sterben“ führt in eine psychiatrische Klinik in Slowenien, „Elf Minuten“ handelt von einer brasilianischen Prostituierten, die in die Schweiz kommt. Aber Coelho schreibt über Orte, an denen er sowieso schon selber war, und auf Details kommt es nicht an. Die Protagonisten haben auch keine je eigene Sprache. Die Informationen über das politische System der Schweiz, die Coelho in „Untreue“ eingebaut hat, waren im Original übrigens völlig falsch und wurden erst nach Übersetzung ins Deutsche vom Lektorat korrigiert.
Geschichten als Verpackung
Denn das Setting spielt bei Coelho keine große Rolle. Die Geschichten sind nur die Verpackung für formelhafte Verheißungen wie „Wenn man etwas ganz fest will, dann wird das ganze Universum darauf hinwirken, dass du es erreichen kannst“ („Der Alchimist“). Diese Formeln legt der Autor den Protagonisten in den Mund, die reden und denken wie Motivationscoaches oder Kalenderblätter, oder sie werden von spirituellen Botschaftern überbracht, von Priestern, Hexen, Schamanen, Gurus.
Das Muster der Romane ist schlicht: Jemand sucht etwas (einen Schatz, einen Engel, Sinn, ein Schwert) und findet am Ende etwas, was als Liebe bezeichnet wird. Dazwischen liegen Prüfungen und Begegnungen. Wie im Märchen. Der Leser preist die „positive Stimmung“ und kann gar nicht enttäuscht werden: Wenn sich das Finden in seinem eigenen Leben noch nicht eingestellt hat, dann befindet er sich eben noch auf dem langen Weg dorthin. Schließlich ist der Weg das Ziel, oder – in der Coelho’schen Langfassung: „Wenn man auf ein Ziel zugeht, ist es äußerst wichtig, auf den Weg zu achten. Denn der Weg lehrt uns am besten, ans Ziel zu gelangen, und er bereichert uns, während wir ihn zurücklegen“ („Auf dem Jakobsweg“).
Wer Bücher von Paulo Coelho kauft, verrät Amazon, kauft auch Bücher mit Titeln wie „Das Engel-Orakel für jeden Tag“ oder „Heilung aus der Mitte. Werde der, der du bist“. Die Leser suchen also keine guten Romane, sondern unterhaltsame, niedrigschwellige Lebenshilfe. Das ist das genial einfache Konzept von Paulo Coelho: Wenn man esoterische Lebenshilfebücher in Romane packt, genügt eine schlichte Geschichte, und auf die Glaubwürdigkeit der Charaktere kommt es nicht an.
Das scheint auf den ersten Blick harmlos, was soll daran falsch sein, „seinen Träumen zu folgen“? Doch es geht immer nur um Selbstverwirklichung, Selbsterhöhung, nie um eine Gemeinschaft. Coelhos „Botschaft“ ist nie sozial. Und auch Linda, die frustrierte Icherzählerin in „Untreue“, ist eine durch und durch egoistische Figur.
Reaktionäres Frauenbild
„Untreue“ könnte aber auch Hardcore-Coelho-Fans enttäuschen. Denn schlichte optimistische Botschaften gelingen Coelho dieses Mal nicht. Außerdem dürfte es auch gutwilligen Lesern schwerfallen, sich mit Linda zu identifizieren. Die ist verwöhnt, unsympathisch und langweilig. Sie ist unemanzipiert („… ich kann mich dank der Großzügigkeit meines Mannes so attraktiv und teuer kleiden, wie ich will“) und an nichts interessiert. Ein kubanischer Schamane rät ihr schließlich zum Ausleben der Affäre.
Nach 200 Seiten kommt es zu Geschlechtsverkehr, nach 300 Seiten ist alles wieder in Ordnung: Ein Wochenende in Interlaken mit dem Ehemann bringt Linda auf den allerletzten Seiten zurück ins häusliche Glück: „Ich begriff, dass von allem das Mächtigste meine Liebe zum Leben, zum Universum war.“ Die Entwicklung zu diesem Punkt hin ist ebenso wenig nachvollziehbar wie die Bedeutung des Satzes.
Das größte Ärgernis an „Untreue“ aber ist das Frauenbild, das Coelho völlig ungebrochen vermittelt: Linda öffnet ihrem Jugendfreund gleich beim ersten Wiedersehen, einem Interview in seinem Büro, die Hose zum Blowjob. Obwohl es sie selbst erklärtermaßen nicht befriedigt, beflügelt sie das. Bei den späteren Treffen im Hotel vergewaltigt Jacob Linda anal oder unterwirft sie auf andere Weise. Es kann nur Coelhos Sexfantasien zu verdanken sein, dass seine Hauptfigur, obwohl sie während des Aktes nur Schmerz, keine Lust empfindet, immer mehr davon will: „Im Stillen beschimpfe und hasse ich ihn, aber ich überspiele es mit einem Lächeln.“
Sie gibt sich selbst die Schuld dafür, dass sie es nicht genossen hat („ich war zu schüchtern“), und kommt mit ihren eigenen erwachenden erotischen Fantasien niemals zum Zuge. Will Coelho seinen Millionen Lesern wirklich sagen, dass frustrierte Frauen nur mal richtig rangenommen werden wollen?
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