piwik no script img

blues in schwarz weiss

May Ayim, 36 Jahre alt, afrodeutsche Lyrikerin, Mitbegründerin der „Initiative schwarze Deutsche“, hat sich umgebracht. Heute findet eine Gedenkfeier statt  ■ Ein Porträt von Ute Scheub

Sie hat nur noch schwarzgesehen. Brigitte Sylvia Gertrud Opitz, Künstlername May Ayim. 36 Jahre alt, Vater Ghanaer, Mutter Deutsche. Am 9. August hat sie den sicheren Tod gesucht. Den Sturz vom 13. Stockwerk eines Hochhauses in Berlin-Kreuzberg.

Schwarzgesehen? Sie hätte diese Wortwahl abgelehnt. Für sie war Schwarz keine Farbe des Negativen. Nicht mehr. Nie wieder.

In ihrer Kindheit war sie unglücklich, weil sie nicht weiß war wie die anderen. „Ich erinnere mich an einen Traum, in dem ich ein schwarzes Röckchen und eine weiße Bluse anhatte. Ich bin rumgehüpft wie im Halmaspiel. Ich weiß genau, daß ich weiß war und einen Pferdeschwarz hatte.“* Doch als Erwachsene kehrte sie die herrschende Farbenlehre um. Sie schlang sich afrikanische Tücher um den Kopf und wollte „schwarz“ sein, „einfach so“. Hatte sie zu weiß gesehen vor ihrem Tod?

Orlanda Frauenverlag, Berlin- Schöneberg. In allen Ecken der Altbauwohnung stehen Sonnenblumen. In der Küche haben die Verlagsmitarbeiterinnen ein Gedenktischchen aufgestellt: eine Kerze, ein Foto von May, ihr hier entstandener Gedichtband „blues in schwarz weiss“**, in gelbem Kontrast dazu die Sonnenblumen. Lebensblumen, keine Totenblumen. Sie passen zu May Ayim. Die Verlagsfrauen Dagmar Schultz und Ika Hügel beschreiben ihre Freundin: Lebenlustig. Witzig. Sanft. Ihre ironischen Spitzen manchmal von überraschender Schärfe.

May Ayim war das große Nachwuchstalent des Verlags. Sie las in Schulen, in Veranstaltungen, sie wurde zur „Literatur im Römer“ eingeladen, in die Schweiz, in die Niederlande, in die USA, nach Kanada, nach Südafrika, sie trug ihre Gedichte in der WDR-Fernsehsendung „b.trifft“ vor, stehend, mit weicher Stimme und sprechenden Händen, als gelte es, jede Silbe einzeln zu den ZuschauerInnen zu tragen. „Jedes Gedicht war ein Schauspiel“, schrieb ihr eine Zuschauerin. „Sie strahlen so viel Wärme und Menschlichkeit aus“, eine andere. „May hätte eine große Karriere machen können, sie war kurz davor“, sagen ihre Freundinnen. „Zwei Tage nach ihrem Tod wurde ihr eine Gastprofessur in Minnesota angeboten.“

Warum dann dieser Sturz in die Tiefe? Auch ihre Wahlfamilie im Orlanda Verlag weiß keine endgültige Antwort. Vieles, zu vieles sei zusammengekommen: eine Gegenwart, in der ihr Kampf gegen Rassismus und Sexismus ihre Kräfte aufgezehrt habe. Eine Vergangenheit mit einer traumatischen Kindheit, in der es keinen Halt gegeben habe. Eine Zukunft, für die ihr die Ärzte mitten in einem psychotischen Schub und ohne psychische Beihilfe multiple Sklerose vorausgesagt hätten.

Sie wurde 1960 in Hamburg geboren. Dort „habe ich meine „Kindheit nur knapp überlebt“, lächelt May Ayim in die WDR-Fernsehkamera. Ihre deutsche Mutter gab sie in ein Heim, ihr in Ghana lebender Vater besuchte sie nur alle paar Jahre, als „schwarzer Nikolaus, vor dem ich Angst hatte“. Das charmante Lächeln wird dünner, hörbar sitzt ihr ein Kloß im Hals. Mit anderthalb Jahren sei sie als Pflegekind von einer gutbürgerlichen Familie in Nordrhein-Westfalen aufgenommen worden. „Meine Eltern haben mich aus Liebe, Verantwortung und Unwissenheit besonders streng erzogen, geschlagen und gefangengehalten“, schreibt sie.* „Im Wissen um die Vorurteile, die in der weißen deutschen Gesellschaft bestehen, paßten sie ihre Erziehung unbeabsichtigt diesen Vorurteilen an. Ich wuchs in dem Gefühl auf, das in ihnen steckte: beweisen zu müssen, daß ein ,Mischling‘, ein ,Neger‘, ein ,Heimkind‘ ein vollwertiger Mensch ist.“

Die Lebensangst direkt neben der Lebenslust, die hat sie nie wieder verlassen. „Angst gab es genug. Wahrscheinlich Platzangst. Oder Angst zu platzen. Angst, unter Schlägen und Beschimpfungen zu zergehen und sich nicht mehr wiederfinden zu können. Nicht aufmucken, lieber schlucken.“ „Meine Eltern sagen so oft, daß ich nichts kann, nichts bin und alles zu langsam mache. Ich nehme heimlich eine Rasierklinge von meinem Vater und verstecke sie unter meinem Kopfkissen. Die Angst und die Sehnsucht nach Selbstmord. – ,Das Kind spielt mit Rasierklingen im Bett! Du bist wohl total verhaltensgestört.‘“ Die kleine Brigitte Opitz ißt Seife, damit sie so weiß wird wie andere Kinder. Sie will nicht mehr häßlich, weil schwarz sein, sie möchte die „Negerkuß!“- Rufe der anderen Kinder nicht mehr hören, sie mag nicht mehr beim ersten Theaterstück in der Grundschule das schwarze Teufelchen spielen. Die Eltern verbieten ihr, Freunde ins Haus zu bringen. Das Kind könnte sich schmutzig machen, auf dumme Gedanken kommen, schwanger werden. Als sie mit 19 Jahren einmal zu spät nach Hause kommt, brechen ihre Eltern mit ihr. Brigitte Opitz packt ihre Sachen.

May Opitz beginnt 1979 in Regensburg ein Pädagogikstudium. 1984 geht sie nach Berlin und schließt ihre Diplomarbeit ab, eine wissenschaftliche Arbeit, die sich als erste in der Bundesrepublik mit der Geschichte der Afrodeutschen befaßt und die zum Haupttext des 1986 erschienenen Buches „Farbe bekennen“ wird. Sie zeichnet die verdrängte Geschichte der afrodeutschen Kinder nach, die im Ersten Weltkrieg nach der alliierten Besetzung des Rheinlandes gezeugt und im Dritten Reich zwangssterilisiert wurden, oder der „Besatzerkinder“ nach 1945. Das Buch macht Furore, es führt zur Gründung der „Initiative schwarze Deutsche“ und zu vielerlei politischen Aktivitäten.

May Ayim immer mittendrin. Ihr afrikanischer Künstlername signalisiert neues Selbstbewußtsein: nicht mehr weiß sein, schon gar nicht grau, sondern schwarz. Sie läßt sich zur Logopädin ausbilden, hält Seminare als Lehrbeauftragte ab, arbeitet als Studienberaterin an der Alice-Salomon-Fachhochschule. Sie liest, schreibt, organisiert, diskutiert. Gegen das Schwarz-Weiß-Denken, für ein neues Weiß-Schwarz-Denken. Euphorie und Angst immer dicht beieinander: Die rassistischen Anschläge nach der deutschen Einheit gehen ihr haut-nah.

Ende 1995 beginnt sie, den alljährlichen „black history month“ zu organisieren. „Sie hat wochenlang ununterbrochen gearbeitet“, sagt Dagmar Schultz vom Orlanda Verlag. „Sie hat kaum noch gegessen, getrunken und geschlafen.“ Ein zunächst noch euphorischer psychotischer Schub setzte ein. May Ayim sei zunächst in die geschlossene, dann in die offene Abteilung der Psychiatrie gekommen und unter Medikamente gesetzt worden. Weil sie über frühere Sehstörungen berichtete, habe man sie auf multiple Sklerose untersucht, dann in eine neurologische Abteilung verlegt und die Medikamente abrupt abgesetzt. Schließlich habe man ihr, ohne Vorbereitung und ohne psychische Unterstützung, die Diagnose MS mitgeteilt. „Sie bekam einen Rückfall. Danach war sie wie gebrochen. Sie schrieb nichts mehr, sie konnte ihre Gedichte nicht mehr vortragen. Es war ein extremer Schwächezustand. Sie sagte selbst, ihr Lebensfaden sei gerissen, sie fühle eine unendlich tiefe Leere.“

Im April kam sie aus dem Krankenhaus, im Mai, nach einem Suizidversuch mit Tabletten, wieder hinein. Zwei Wochen habe sie dort gelegen, ohne daß die Ärzte sich auf eine therapeutische Perspektive einigen konnten. „Was ist mit schwarzen Menschen, auch jüngeren, die in psychiatrischen Einrichtungen leben?“ fragte May Ayim, als habe sie ihr Schicksal vorausgeahnt. „Für Menschen afrikanischer Herkunft und schwarze Deutsche, die sich in akuten Krisensituationen befinden, gibt es keinen Ort, der von Rassismus frei ist.“

Sieben Monate sahen die Frauen vom Orlanda Verlag und andere FreundInnen fast täglich nach ihr. Sieben lange Monate versuchten sie, ihr den Halt zu geben, den andere ihr verweigert hatten. „Es war entsetzlich, mit anzusehen, wie jemand Stück für Stück zerbröckelt, ohne etwas dagegen machen zu können“, sagt Ika Hügel. „Jetzt müssen wir versuchen, ihren Entschluß zu akzeptieren.“

Ihre FreundInnen trauern in Schwarz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen