: Feige Balkongucker
■ Magdeburg: Warum die Demonstation ein Flop war
Vorurteile und Klischees erleichtern das Leben, verhindern das Denken. Nach der Demonstration in Magdeburg fühlt sich manch Erwachsener in seiner vorgefertigten Meinung bestätigt: Jugendliche können nicht friedlich demonstrieren. Außer Scherben hat die Demo gegen rechte Gewalt nichts gebracht. Wie gut, daß man selbst nicht hinuntergegangen ist. Jugend und Gewalt gehören eben unabdingbar zusammen. So ist die Welt.
Mit den Erwachsenen ist nichts los. Keine Haltung, kein Rückgrat. Sie stehen oben auf ihren Balkonen und schauen zu, wie sich ihre Kinder unten Trauer und Verzweiflung über den Mord an einem Freund aus dem Leib prügeln. Manch ein Balkonzuschauer mag betroffen sein, daß die Städte einem riesigen Kampffeld gleichen. Doch Betroffenheit genügt nicht. Sie erschöpft sich in Schuldzuweisungen und Jammern. Weder Bagatellisieren noch der Ruf nach harten polizeilichen Mitteln wird den Trend zur jugendlichen Randale stoppen.
Täglich drangsalieren in Magdeburg-Olvenstedt glatzköpfige, Baseballschläger schwingende, junge Männer ihre Mitmenschen. Sie demonstrieren Macht und Willkür. Das macht angst. Ein 17jähriger wurde von einem 17jährigen erstochen. Das macht fassungslos. Was aber muß eigentlich noch passieren, damit Tausende Magdeburger auf die Straße gehen? Ein breites Bündnis, von der einflußreichen PDS bis hin zur Kirche, hatte eingeladen, gemeinsam stop! zu sagen. Es kamen zu wenige. Auf diesem Hintergrund lösen die Balkongaffer immense Beunruhigung aus. Bestenfalls stehen sie bestürzt neben ihren ausrastenden Kindern. In ihrer Verwirrung suchen sie schnelle Erklärungen und Deutungen für die Gewalt. Kaum einer fragt, was haben wir Erwachsenen damit zu tun? Rasche Erklärungen nach dem Motto: rechts schlägt links und umgekehrt, dienen hauptsächlich der eigenen Entlastung.
Angst, in den Spiegel zu gucken, läßt sie gaffen. Balkongucker haben Angst zu sehen, wie sorglos sie mit faschistoidem Haß und jugendlicher Randale umgehen. Die feige, schweigende Mehrheit duldet die Gewalt. Nicht nur in Magdeburg. Die Magdeburger aber haben eine Chance vertan, dagegen anzugehen. Sie hätten bloß ihre Pantoffeln gegen Straßenschuhe tauschen müssen. Annette Rogalla
Bericht Seite 4
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen