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Sterben für das Poesiealbum

■ Robert Wilsons „La maladie de la mort“gastiert im Thalia

Die Bühne, ein schönes Bild. Dreiecke aus Licht und Schatten, schraffiert oder ausgespart, wie aus einem expressionistischen Stummfilm. Und mittendrin ein dunkler Kegel, Michel Piccoli im schwarzen Mantel. Wie Dr. Caligari, der Dirigent der Somnambulen, steht er da und wartet auf die Willenlose. Er hält ein Buch in fahles Licht und beginnt, während sich Lucinda Childs langsam rückwärts auf die Bühne schiebt, das lange Lied vom alten Leid zu buchstabieren. Von den Unmöglichkeiten zwischen den Geschlechtern, von großspurigen Liebesvisionen und kleinmütigen Arrangements, von gespielter Gleichgültigkeit und zutiefst empfundener Gefühlsstarre, von dem Schmerz„Frau“und von der Tumbheit „Mann“, eben von der Krankheit Tod (La maladie de la mort), die Marguerite Duras beschrieb.

Robert Wilson, der Zeremonienmeister des Schweigens, hat diesen eher geschwätzigen Text bereits 1991 für eine Inszenierung an der Berliner Schaubühne ausgesucht. In seinem Remake, einer Produktion des Théatre Vidy aus Lausanne, steht neben dem hier heiter-morbiden Piccoli die Tänzerin und ehemalige Wilson–Mitarbeiterin Lucinda Childs auf der Thalia-Bühne.

Die Übersetzung von Peter Handke wird bei Piccoli zu einer seltsamen Textur aus Ironie und Bitterkeit. Er könne nicht lieben, prahlt er. Die Bezahlte soll ihn das Gegenteil lehren, hofft sie und scheitert qualvoll damit. Die Frau, die Wunde, das Bett, der Mann. Ausgeleierte Empfindsamkeiten, die die Schmerzreichen und Lustarmen ungerührt hinter sich fallen. Jeder Satz ist für ein Staunen gemacht und gleicht jenen flachen, glatten Steinchen, die man ins Wasser wirft, um zu sehen, wie weit sie auf der Oberflächenspannung hüpfen. Artig, auch böse gesprochen, liturgisch zubereitet und alles mit dem Heiligenschein der Poesie und der Statik kalter Form versehen.

Manchmal kokettiert Piccoli um die Gunst des Publikums, der sich ein Souveräner wie er immer gewiß sein kann. Er unterwandert die Grausamkeit und Larmoyanz seiner Bühnenfigur mit geckenhaften Fratzen, reckt ein Bein, gähnt. Auch das bleibt folgenlos. Und wenn sich die Perspektiven ausbalancieren, Linien und Balken sich in der Bühnenmitte harmonisch treffen, bereitet das keine Pointe, keine Verbindlichkeiten vor. Routiniert schafft Wilson seinen Raum und gießt sein Licht hinein. Das ist dann einfach hübsch, selig mit sich selbst, ärgerlich leer. Schönheit kann auch anöden. Und so bleibt dieses Wilson-Theater eines, das zwischen die Deckel eines Poesiealbums paßt. B. Glombitza

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