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Der Meßgesang der Raketen

■ Kaugummi und Körper: Ike Hobbs und Bradley Rubenstein im Künstlerhaus Bergedorf

Zuckersteuer wollte der Zoll für die Bilder von Ike Hobbs. Nicht daß es Kunst sei, überzeugte die Beamten, sondern die Versicherung, die Collage werde nach Ausstellungsende nicht aufgegessen, sondern wieder nach Amerika ausgeführt. So stellen sich den Organisatoren von Künstleraustauschprogrammen ungeahnte Schwierigkeiten in den Weg. Allerdings ist es zugegebenermaßen selten, daß die importierten Bildwerke ganz aus verpacktem und unverpacktem Kaugummi gearbeitet sind wie bei einem der Künstler aus Chicago, die im Künstlerhaus Bergedorf zu Gast sind.

In quadratischem Rahmen bilden gleichmäßig zusammengesetzte Chewing-Gums einen rötlichen Plafond für mittig notierte Wörter wie „prophet“und „profit“. In sanfter Kritik an den kapitalistischen Verwertungszusammenhängen werden aus den religiösen Begriffen auf dem unverpackten Kaugummi über der originalverpackten Ware eher aggressive Dinge: Als einziges Wortspiel, das auch im Deutschen funktioniert, wird der Prophet zum Profit, dann missal (Meßgesang) zu missile (Raketengeschoß) oder pray (Gebet) zu prey (Jagdbeute).

Was diese Bild-Objekt-Tafeln so bemerkenswert macht, ist die extreme, fast schon überdeterminierte Kombination sonst getrennter künstlerischer Ansätze: Im Farbraster klingt die Konkrete Malerei an, im Kaugummi eine minimalisierte Materialdemonstration, die gleichlautend gesprochenen Wörter zehren von der US-typischen Sprachanalyse des Art-and-Language-Ansatzes, und die Trivialität des Bildträgers steht in der Tradition der Alltagscollage. Dazu kommt noch ein „politisch korrekter“Seriengedanke: Die Arbeiten enthalten eine Soziographie der 52 US-Staaten. Denn die Verwendung von hellem, rotem und dunklem Kaugummi entspricht den demographischen Proportionen in der Verteilung von weißen, schwarzen und sonstigen Bürgern der jeweils einzelnen Bundesstaaten und Territorien der USA.

Ike Hobbs arbeitet auch als Kurator: Vor zwei Jahren organisierte er den Austausch zwischen dem Künstlerhaus Hamburg in der Weidenallee und dem „Near Northwest Arts Council Chicago“. Es gibt also ohne großes Spektakel tatsächlich auch im Kunstbereich ein gewisses Leben in der transatlantischen Städtepartnerschaft.

Der andere in Bergedorf gezeigte Künstler ist Bradley Rubenstein. In Digital-Drucken und Zeichnungen kombiniert er Körperteile zu merkwürdigen Formen, deren Verstörung eher darin liegt, daß die drastischen Schnitte solcher Cyber-Montagen unser Körpergefühl schon gar nicht mehr stören. Dem virtuellen sozialen Körper gibt er Gestalt durch die Zeichnungen von Kindergesichtern. Dabei sind die Schüler einer Klasse jeweils hälftig mit einem Kameraden zu niedlichen, jungen Frankensteins verschmolzen. In anderen Kinderbildern hat Rubenstein die Augen digital durch Kaninchenaugen ersetzt oder Mamas Liebling den treuen Blick von Lassie einmontiert: Die „Neue Welt“imaginiert den Alltagshorror der zukünftigen „Brave new world“.

Hajo Schiff

nur noch dieses Wochenende. Künstlerhaus Bergedorf, Möörkenweg 18 b-g, Sa + So 15-18 Uhr oder nach Vereinbarung, Tel. 7218480 + 7213779.

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