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Der Ausbrecherkönig und der V-Mann

Vor dem Münchener Landgericht muß sich seit mehr als einem Jahr der angeblich gefährlichste Mann Bayerns verantworten. Im Lauf dieses Verfahrens – eigentlich hat es mehrere Banküberfälle zum Gegenstand – kommen die Machenschaften eines ebenso dubiosen wie skrupel-losen V-Mannes des Bundeskriminalamtes ans Licht. Sie reichen vom Versicherungsbetrug bis zum Engagement eines Killerkommandos. Bislang kann sich der Spitzel im Schutz der Behörde sicher fühlen.  ■ Bernd Siegler und Peter F. Müller haben die Hintergründe notiert.

Ich bin hier ein Opfer einer brutalen Polizeiintrige“, beschwert sich der 53jährige hagere Mann mit leiser Stimme. Seit mehr als einem Jahr drückt er jetzt schon die Anklagebank des Münchener Landgerichts. Mittlerweile weiß er, daß er dies einem V-Mann der obersten deutschen Polizeibehörde zu verdanken hat, und ihm schwant, warum seine Chancen minimal sind: „Das Bundeskriminalamt ist eben ein Staat im Staat.“ Aufgeben will er aber nicht.

Der Mann ist das, was die Kriminalpolizei einen „großen Fisch“ nennt. Schon als 15jähriger fiel der Sohn eines Bundesbahn-Beamten im heimatlichen Treuchtlingen auf. Nicht weil er aufgrund schlechter schulischer Leistungen seinen Traum, einmal Sportlehrer zu werden, nicht verwirklichen konnte. Wegen Diebstahls und unerlaubten Waffenbesitzes bekam er seine ersten Vorstrafen, später waren Tresoraufbrüche seine Spezialität. Viele Jahre seines Lebens verbrachte er in Haft, die Kripo jagte ihn um die ganze Welt. Die Medien nannten ihn in einer Mischung aus Bewunderung und Abscheu den „gefährlichsten Mann Bayerns“ und verliehen ihm den Titel eines „Ausbrecherkönigs“. Sein Name: Hermann Sterr.

In München muß sich Sterr derzeit wegen mehrerer Banküberfälle verantworten, doch eine Beteiligung daran leugnet er beharrlich. Knapp fünfzig Verhandlungstage haben Richter Poleck und seine Beisitzer von der 4. Strafkammer inzwischen hinter sich gebracht, und ein Ende des Verfahrens ist nicht abzusehen. Das liegt weniger an Sterr als vielmehr an den von der Staatsanwaltschaft aufgeführten Belastungszeugen. Es gibt keine Augenzeugen und auch keine Spuren vom Tatort, daher kommt diesen Zeugen vom Hörensagen eine besondere Bedeutung zu. Seit Monaten geben sich Kriminelle kleineren und mittleren Kalibers im Sitzungssaal B273 im Münchner Gerichtsbunker an der Nymphenburgerstraße die Klinke in die Hand. Ausgesprochenes Pech für die Anklagebehörde, daß diese dubiosen Zeugen durch äußerst widersprüchliche Aussagen auffallen. Einer tat sich dermaßen hervor, daß die Richter von seiner Glaubwürdigkeit inzwischen „ein so fragliches Bild gewonnen haben, daß sie sich derzeit auf seine Aussagen nicht stützen“ werden. Eine vernichtende Einschätzung für jeden Zeugen. Hier aber handelt es sich um einen Top-V-Mann des Bundeskriminalamtes. Sein Name: Helmut Gröbe oder, im BKA-Jargon, schlicht „VP572“.

„V-Personen stehen grundsätzlich dem kriminellen Milieu nahe“, legte das BKA gegenüber dem Plutonium-Untersuchungsausschuß im Bundestag dar. Der 52jährige Helmut Gröbe stand nicht nur dem Milieu nahe, der großgewachsene, stets braungebrannte Mann war und ist mittendrin. Einst war Gröbe bayerischer Amateurmeister im Radrennfahren, später absolvierte er eine Lehre als Großhandelskaufmann und trieb sich in der Münchener Schickeria herum. Im von einem Kumpel geliehenen Porsche beeindruckte Gröbe nicht nur die Frauenwelt, sondern auch Mitarbeiter der Bayerischen Staatskanzlei, sein erstes Opfer. Als Inhaber einer Agentur für Direktwerbung angelte er sich 1978 den lukrativen Auftrag für Vertrieb und Druck des staatseigenen Periodikums Blickpunkt Bayern – BY. 3,6 Millionen Exemplare binnen 14 Tagen unters Volk zu bringen schaffte er jedoch nicht. Kurzerhand druckte er eine Million weniger und kippte den Rest auf eine Altpapierhalde. Seine Rechnung über Vertrieb und Druck beglich die Staatskanzlei prompt. Dann flog der Betrug auf, und Gröbe wurde zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.

Im Juni 1984 saß er wieder in Stadelheim in U-Haft. Vorwurf: Heiratsschwindel. Am Porsche hatte es diesmal nicht gelegen. Die wohlhabende Münchener Unternehmergattin Christa B., deren Mann bei einem Helikopterunfall ums Leben gekommen war, fiel auf Gröbes Charme herein. Verbunden mit einem Eheversprechen, erleichterte er sie um mehrere 100.000 Mark. In der Untersuchungshaft diente sich Gröbe der Polizei als Informant in einer Falschgeldsache an. Bei einer Ausfahrt im Dienstfahrzeug der Münchener Sonderfahndung nutzte er den Halt an einer Ampel, flüchtete und setzte sich nach Brasilien ab.

Bevor seine Karriere als Vertrauensperson beim BKA beginnt, setzt Gröbe seine Betrügereien in Südamerika im großen Stil fort. Zunächst prellt er seine eigene Ehefrau und seinen Schwiegervater, einen schwerreichen Peruaner, um 400.000 Dollar. Dabei bedient er sich sogar einer gefälschten eidesstattlichen Erklärung seiner Gattin.

Seine nächsten Opfer sind die leibliche Tochter und deren Mann. Gröbe ordert bei der Firma seines Schwiegersohns Alexander B. für 230.000 Mark zahnmedizinische Geräte, um sie in Südamerika zu verkaufen. Anstatt zu bezahlen, inszeniert er jedoch einen Raubüberfall auf seine Tochter an der Copacabana. Nachdem er ihr vor der American-Express-Filiale eine Geldtasche übergeben hat, läßt er sie von einem gedungenen Mann überfallen. Das Manöver mißlingt peinlichst. Die Tochter schlägt mit ihren Stöckelschuhen auf den Mann ein, bis der von ihr abläßt. Beim Öffnen der Tasche findet sie statt der vereinbarten 230.000 Mark nur zerschnippeltes Zeitungspapier. Umgehend zeigt sie ihren Vater an. Erneut wird Haftbefehl gegen Gröbe erlassen. Jetzt bewirbt er sich aus Brasilien schriftlich als Spitzel beim Bundeskriminalamt.

Die steile Karriere des Helmut Gröbe als Vertrauensperson (VP) beim BKA nimmt ihren Lauf. Kriminalhauptkommissar Kurt Hertel, heute fünfzig Jahre alt, damals als BKA-Verbindungsbeamter in Peru und heute in gleicher Funktion in Argentinien tätig, läßt sich nicht davon abschrecken, daß Gröbe ein steckbrieflich gesuchter Krimineller ist. Hertel, ein sportlicher Typ mit modischer randloser Brille, nimmt Gröbes Angebot an und überträgt seiner VP572 den ersten großen Fall: Hermann Sterr.

Sterr war, nachdem er all seine Haftstrafen verbüßt hatte, wieder einmal in den Verdacht geraten, eine Bank überfallen zu haben. 880.000 Mark waren im Juni 1986 in Karlsfeld bei Dachau erbeutet worden. Wochen danach gerieten Sterr und sein Freund Karl-Heinz Egle in eine Routinekontrolle der Polizei. In ihrem Fahrzeug fand man unter dem Sitz von Egle 70.000 Mark. Als sich später herausstellte, daß sieben Scheine davon aus der Karlsfelder Beute stammten, waren Sterr und Egle längst über alle Berge. Egle ist bis heute nicht mehr aufgetaucht.

Die deutschen Behörden taten alles, um Sterr festzusetzen, schließlich hatte er schon öfter die Justiz genarrt. Einmal, in der JVA Bamberg, gelang ihm die Flucht mit einem ganz simplen Trick: Beim Hofgang wies er einen Wärter auf dessen offene Schnürsenkel hin. Der bückte sich, Sterr nahm Anlauf und sprang im hohen Bogen von des Wärters Rücken über die Mauer in die Freiheit. Ein Husarenstück.

Die Münchener Generalstaatsanwaltschaft setzte das BKA-Zielfahndungskommando auf Sterr an, das ihn schließlich in Brasilien ausfindig machte. In Rio lebte Sterr mit der Brasilianerin Nelma P. in einem nicht allzu noblen Apartment unweit des Strandes zusammen und hat mir ihr einen Sohn. Klein Hermann war damals knapp zwei Jahre alt. Pech für die deutschen Behörden, denn Brasilien lehnt in solchen Fällen eine Auslieferung strikt ab. Schon Ronald Biggs, der legendäre englische Posträuber, wußte dieses Gesetz zu nutzen und genießt seither Sonne und Meer am Zuckerhut.

Das ist die Stunde von VP572. Gröbe freundet sich mit Sterr in Rio an. „Helmut war immer dabei, wenn Hermann zum Strand oder zum Tanzen ging“, erzählt Sterrs Freundin. Unter dem Vorwand, günstige Geschäfte mit Dentalinstrumenten machen zu können, lockt Gröbe seinen „Freund“ Sterr im Februar 1989 nach Lima, wo er sofort von der peruanischen Polizei verhaftet wird. Vor Ort dabei: KHK Hertel. Er sei nur „zufällig dort im Urlaub“ gewesen, betont er später.

Fünf Monate nach seiner Verhaftung flüchtete Sterr zum Leidwesen der deutschen Behörden. Die hatten auf eine baldige Auslieferung gehofft. „Ich besuchte ihn im Gefängnis auf Anordnung, brachte Essen und Zeitungen“, berichtet Gröbe als Zeuge dem Münchner Gericht. Eine Mithilfe an Sterrs Flucht streitet VP572 jedoch vehement ab. Auch das BKA und die Bundesregierung betonen stets, der V-Mann habe mit Sterrs Entweichen mit einem falschem Paß aus dem Justizgebäude in Lima nichts zu tun. Sterr hingegen kann mehrere eidesstattliche Versicherungen, unter anderem der bestochenen Wärter, vorweisen. Demnach hat Gröbe die Flucht sogar organisiert und den Wärtern 20.000 Dollar gezahlt. Als Bezahlung für Gröbe, so sagt Sterr aus, waren 100.000 Dollar für die erfolgreiche Flucht vereinbart.

Kassierte Gröbe die doppelte Provision? Vom BKA für Sterrs Verhaftung und von Sterr für die folgende Flucht? – Warum dann nicht auch eine Provision für die erneute Verhaftung Sterrs? So geschah es. Sterr wohnte einige Zeit in Gröbes Apartment im luxuriösen Stadtteil Ipanema. Dort, wo sich alles um sehen und gesehen werden dreht, wo vor jedem Haus ein Mann des Security Service postiert ist, während sich die Bewohner am Pool aalen, fühlte sich VP572 am wohlsten. Um Gröbe auszahlen zu können, mußte sich Sterr jedoch auf den Weg nach Nizza machen. Dort wollte er einem Freund gestohlene Traveller-Schecks abkaufen. Gröbe hatte sich angeboten, sie in Südamerika einzulösen. An der Cote d'Azur jedoch wartete schon das BKA-Zielfahndungskommando. Bei Sterrs Verhaftung an der Uferpromenade ist auch KHK Hertel vor Ort. Mal wieder: „Zufällig im Urlaub.“

„Ausbrecherkönig in Nizza gefaßt“, lautete die Topmeldung am Abend des 20.September 1989.

Für Gröbe ist im Fall Sterr jetzt allerdings nichts mehr zu holen. Zusätzlich zu seiner Tätigkeit beim BKA dient er sich der amerikanischen Drogenpolizei DEA (Drug Enforcement Administration) als Spitzel an. Nach amerikanischen Gesetzen hätte er gar nicht angeheuert werden dürfen, aber die US-Behörde versichert, sie hätte vom BKA nie etwas über Gröbes kriminelle Vergangenheit erfahren. Gröbe bekommt einen für ihn idealen Führungsoffizier: Lee Lucas. Gerade 23 Jahre alt, ohne entsprechende polizeiliche Spezialausbildung und ohne Deutsch- oder Spanischkenntnisse, soll er den Drogenhandel aus Bolivien in die USA unterbinden.

Gröbe nutzt die Gelegenheit. Er liefert nun Opfer wie am Fließband. Unter dem Decknamen „Galetto“ fädelt er Drogengeschäfte ein und läßt seine Gegenüber, mal sind es kleine Geschäftsleute, mal ein hochrangiger bolivianischer Militär, verhaften.

Skrupel kennt er offenbar keine. Er liefert auch seine Freundin ans Messer: Helena A., eine wohlhabende, gutaussehende Witwe aus Santa Cruz. Sie kommt aus bester Gesellschaft und ist ein paar Jahre älter als Gröbe. Ihr imponiert der sportlich- dynamische Mann, der weiß, wie man das Leben angenehm gestaltet. Sie glaubt, in Gröbe den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Zweieinhalb Jahre ist sie mit ihm zusammen. Zweieinhalb Jahre, die sie später bitter bereut. Eine satte Belohnung im Visier, bringt Gröbe Helena dazu, die Rolle einer gewieften Geschäftsfrau im Umgang mit Schwarzgeld und Geldwäsche zu spielen. „Es ist keine gefährliche Sache für dich, mach dir keine Sorgen, ich liebe dich“, soll er ihr gesagt haben. Von den versteckten Kameras der Drogenfahnder ahnt Helena Abuawad nichts, als sie naiv von „money-washing“ redet. Vor den Augen Gröbes wird sie schließlich verhaftet. Mit den Worten „Das war's, viel Spaß noch“ verabschiedet sich der Mann ihrer Träume aus dem Leben der Helena A. Sie wird allein aufgrund der Aussagen Gröbes zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. „Er hat mich mißbraucht und mein Leben zerstört“, erzählt sie heute verbittert.

Gröbe kassiert in dieser Zeit satte Kopfprämien. Allein die DEA entlohnt ihn zwischen 1989 und 1993 mit knapp 500.000 Dollar. Was er vom BKA erhalten hat, wird aus „ermittlungstaktischen Gründen“ geheimgehalten. Es muß eine ganze Menge gewesen sein, denn die Münchener Finanzbehörden versuchten, beim BKA Gröbes Steuerschulden in Höhe von 600.000 Mark zu pfänden. Das BKA blockte jedoch ab.

Während Gröbe in Übersee fleißig Opfer produziert, sich nach Zeugenaussagen aber auch an Autoschiebereien und Versicherungsbetrügereien beteiligt und dem Kokain nicht abgeneigt ist, ist er in Europa ein gefragter Mann: als Zeuge vor Gericht gegen seinen „Freund“ Hermann Sterr. Laut Gröbe soll der eher verschwiegene und nicht sehr vertrauensselige Sterr ihm eine Vielzahl von Straftaten gestanden haben. Als Sterr sich im Februar 1993 in Innsbruck wegen verschiedener Banküberfälle verantworten muß, ist Gröbe Hauptzeuge der Anklage. Er erscheint jedoch nicht vor Gericht, da er dafür nicht eine entsprechende Belohnung ausgezahlt bekommt. Statt dessen tritt sein V-Mann-Führer, Kriminalhauptkommissar Hertel, im Prozeß gegen Sterr auf. Hertel bestätigt im vollen Umfang die Erzählungen seines V-Mannes, verheimlicht aber dem Gericht dessen kriminelle Vergangenheit. Darauf angesprochen, warum jemand eine Rolle wie VP572 übernimmt, gibt Hertel zu Protokoll: „Das ist eine professionelle Tätigkeit, er verdient damit seinen Lebensunterhalt.“ Die Innsbrucker Richter verurteilen Sterr zu zehn Jahren. Sie halten den Zeugen Gröbe aufgrund der Angaben des Kriminalhauptkommissars Hertel für vertrauenswürdig.

Zu einem ganz anderen Ergebnis kommt acht Monate später die 8. Strafkammer des Landgerichts München. In einer Rauschgiftsache sind Gröbe und Hertel die Hauptbelastungszeugen. Sie waren gegenüber zwei Versicherungsmaklern aus Innsbruck als Verkäufer von 20 Kilogramm Heroin aufgetreten. Das BKA- Gespann wollte die bislang unbescholtenen Bürger zum Kauf anregen, um sie hernach als Rauschgifttäter festnehmen zu lassen. Ein Paradebeispiel, wie Lockspitzel andere zu Straftaten überreden, um diese dann als Täter zu präsentieren und die Belohnung zu kassieren. Die beiden Innsbrucker ließen sich auf den Kauf von drei Kilo ein und wurden auch postwendend verhaftet. „Vorsichtig formuliert, sprechen die Tatsachen nicht überwiegend für die Darstellung der Zeugen Gröbe und Hertel“, heißt es später im Gerichtsurteil. Da Gröbes Honorar erfolgs-, also von der Größe des aufgedeckten Rauschgiftgeschäfts, –abhängig war, lasse dies eine „negative Beeinflussung der Wahrheitsliebe der VP durch Gewinnstreben als nicht fernliegend erscheinen“. Auch KHK Hertel bekommt sein Fett ab. Er vermöge offensichtlich „nicht in jeder Lage die für den Führer einer VP vom Zuschnitt Gröbes wünschenswerte kritische Distanz aufzubringen“.

Daß jetzt in München erneut Gröbe und Hertel als wesentliches Beweismittel präsentiert werden, darüber kann Sterrs Anwalt Hartmut Wächtler „nur den Kopf schütteln“. Nach einem Jahr Verfahren kommt der renommierte und erfahrene Strafverteidiger zu dem Ergebnis, daß er eine „solche Fülle von Merkwürdigkeiten noch nie erlebt“ habe.

So kam ans Licht, daß Gröbe seinen V-Mann-Führer Hertel für private Rachefeldzüge instrumentalisiert hat. Vertraulich war KHK Hertel schon im November 1988 bei der Münchener Kripo vorstellig geworden und hatte unter Berufung auf eine „zuverlässige“ Quelle zwei Münchener Polizeibeamte wegen „Entweichenlassens eines Untersuchungshäftlings“ angeschwärzt. Die Quelle war Gröbe und besagte Flucht Gröbes eigenes Entweichen aus Stadelheim 1984. Die beiden Beamten waren Gröbe ein Dorn im Auge, denn sie hatten es gewagt, akribisch gegen ihn zu ermitteln. Das Verfahren gegen die Polizisten wurde eingestellt.

Hertel versorgte die Kripo weiter mit solchen Tips. So gab er, vertraulich, im „Dezernat 61 – Rauschgift“ in München zu Protokoll, daß Gröbes Schwiegersohn Alexander B., der Gröbe seinerzeit zusammen mit seiner Tochter wegen Betrugs angezeigt hatte, in Drogengeschäfte, Versicherungsbetrug und Hehlerei verwickelt sei. Umgehend fand bei B. eine Hausdurchsuchung statt. Doch statt der erhofften Drogen fand man lediglich einen gestohlenen goldenen Kronleuchter. Alexander B. wurde wie ein Schwerstkrimineller per Hubschrauber ins BKA nach Wiesbaden transportiert und dort drei Tage festgehalten. Im Münchener Verfahren gegen Sterr sagte der sichtlich eingeschüchterte Mann später aus, daß das BKA ihm währenddessen unmißverständlich klargemacht hätte, er solle künftig den Mund über Gröbe halten. Auf Initiative von Hertel entgeht Gröbe im März 1992 sogar einer drohenden Gefängnisstrafe wegen fortgesetzten Betrugs. Gröbe weilt gerade in München, um das Rauschgiftgeschäft mit den beiden Innsbruckern über die Bühne zu bringen. Wie es der Zufall so will, trifft Christa B. auf der Straße „ihren“ Heiratsschwindler und geht sofort zur Polizei. KHK Hertel reagiert auf der Stelle. Er brauche den Mann für eine wichtige Polizeiaktion, interveniert er. Um nicht noch öffentlichen Wirbel auszulösen, wird das anhängige Verfahren wegen Heiratsschwindels und Betrugs in München auf die Schnelle abgewickelt. Als Wiederholungstäter hätte Gröbe eigentlich eine Haftstrafe zwischen drei und fünf Jahren bekommen müssen, er kommt aber mit einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung davon. Seine Sozialprognose bezeichnet das Gericht als gut. Wieder hatte Gröbe bei den Münchener Staatsanwälten die Mitleidstour geritten: „Geben Sie mir eine Chance der Wiedereingliederung in die deutsche Gesellschaft durch die Mitarbeit für das BKA!“

Gröbe bekommt seine Chance. Er ist ein freier Mann, und seine Verurteilung wegen Heiratsschwindels wird nicht – wie es den Vorschriften entsprechen würde – von der Staatsanwaltschaft München I dem Bundeszentralregister mitgeteilt. Doch schon nach drei Monaten kommt Gröbe den Bewährungsauflagen nicht mehr nach. Ein zweiter Haftbefehl wird in Kraft gesetzt, zusätzlich zu dem wegen Betrugs zu Lasten seiner Tochter und seines Schwiegersohns. Beide Haftbefehle bestehen noch heute.

Hartnäckig verneint jedoch die Bundesregierung deren Existenz. Der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Manfred Such erhielt zuletzt vor vier Wochen die Auskunft aus dem Bundesinnenministerium, daß dem BKA „nicht bekannt“ sei, ob derzeit Haftbefehle gegen die ehemalige VP572 bestehen. Interessant ist, daß laut Bundesregierung eine Überprüfung der polizeilichen Informationssysteme ergeben habe, daß eine Fahndungsausschreibung nicht existiere. Eine erstaunliche Antwort, hat man Gröbe doch erst im letzten Jahr für seinen Auftritt im Sterr- Prozeß wegen der Haftbefehle ausdrücklich freies Geleit zugesichert.

Such und seine Abgeordnetenkollegen haben das Bundesinnenministerium nach der Ausstrahlung der ARD-Reportage „Gesucht wird ... ein Rattenkönig“ im März letzten Jahres mit einer Fülle von Anfragen in Sachen Gröbe überzogen. Für Such repräsentiert Gröbe den „typischen V-Mann, der unter dem Schutz der Polizei persönliche Rechnungen begleicht und Leute seiner Wahl in die Pfanne haut“. Die Nichtbeantwortung vieler Anfragen ist für ihn nur die „logische Fortsetzung undurchsichtiger Polizeiarbeit, die Kriminalität erzeugt, statt sie zu bekämpfen“.

Manchmal hat Such aber auch Grund zur Freude. Im BKA hat man inzwischen eine disziplinarrechtliche Prüfung gegen Hertel veranlaßt. Der Grund ist eine Falschaussage des BKA-Mannes vor dem Landesgericht in Innsbruck. Damals behauptete Hertel, er hätte „keine Briefe oder Berichte von Gröbe“ erhalten. Der taz liegen allein fünf solcher Schreiben im Zeitraum vom 9.8. 1989 bis zum 20.10. 1991 vor. „Die nächste Verhaftung Sterrs muß also bestens organisiert und durchgeführt werden, um ja keinen Verdacht gegen mich aufkommen zu lassen“, weist VP572 darin seinen V-Mann-Führer an.

Doch Gröbe kann sich, allen Machenschaften zum Trotz, auf seine „Schutzengel“ verlassen. Neben den beiden Haftbefehlen hat zwar auch Sterrs Anwalt Wächtler gegen den V-Mann Strafanzeige wegen eines zweifelsfreien Meineids gestellt, den Erlaß eines weiteren Haftbefehls und seine Auslieferung nach Deutschland gefordert. Die Staatsanwaltschaft München, die stets dem BKA die Genehmigung für den Einsatz des polizeilich gesuchten VP572 gegeben hatte, glänzt jedoch durch Untätigkeit. Letzte Woche teilte die Staatsanwaltschaft Rechtsanwalt Wächtler mit, sie habe die Ermittlungen gegen Gröbe „wegen unbekannten Aufenthalts“ eingestellt.

Bei seiner Zeugenvernahme im April letzten Jahres in München hatte Gröbe noch den Mann von Welt gespielt. Einen Flug in die bayerische Landeshauptstadt in der Economy Class lehnte er wegen der „engen Sitzverhältnisse“ brüsk ab. Er forderte statt dessen für sich ein Ticket für die bequemere Business Class und bekam es auch. Am 3. Oktober feierte Gröbe noch auf Einladung des deutschen Generalkonsuls in Miami den Tag der deutschen Einheit. Jetzt aber hat er sein 200-Plätze-Restaurant im Touristengebiet von Nord-Miami Beach, den „Treffpunkt Biergarten“, verkauft und bereitet offensichtlich mit seiner vierten Ehefrau und den beiden Kindern sein Abtauchen vor. Die Tarnpapiere auf den Namen Ströbel hat er ja noch, obwohl er laut BKA schon seit dem Frühjahr 1993 nicht mehr als VP eingesetzt worden ist.

Zuvor will er wohl noch eine unliebsame Zeugin mundtot machen. Im Juni letzten Jahres hatte die 39jährige Carmen L. in Lima eine für Gröbe folgenschwere eidesstattliche Erklärung abgegeben. Die ehemalige Justizangestellte bestätigte darin nicht nur, daß Gröbe die Flucht von Sterr geplant hat, sondern bezichtigte ihn, selbst tief in Drogengeschäfte und Autoschiebereien verstrickt zu sein. Nachdem Gröbe im Oktober vergeblich versucht hatte, Carmen L. zum Widerruf zu bringen, heuerte er vier Männer an, zwei Amerikaner und zwei Bolivianer, die für ihn schon als Bodyguards gearbeitet haben.

Die wurden am 23. November vor dem Haus von Carmen L. verhaftet. Die Vernehmungsprotokolle des Militärgerichts in Lima liegen der taz vor. Darin geben die vier an, von Gröbe und dessen DEA-Führungsoffizier Lee Lucas geschickt und bezahlt worden zu sein. Für 150 Dollar am Tag sollten sie sich um Carmen L. „kümmern, sie beobachten und nicht mehr aus den Augen verlieren“. Die Mitnahme von Waffen, deren Seriennummern professionell ausgefeilt worden waren, deutet jedoch eher auf ein Killerkommando hin. Am 6. Dezember wurden die vier nach Bolivien abgeschoben. Carmen L. hält trotz dieser Einschüchterungsversuche an ihren Aussagen fest. Derzeit soll sich Gröbe selbst in Peru aufhalten.

Und Hermann Sterr? Er weiß immerhin in seinen Zweifeln am ordnungsgemäßen Ablauf des Prozesses die Richter auf seiner Seite. Fast resignierend machte der beisitzende Richter Biedermann deutlich, daß man in diesem Verfahren „sowieso nichts mit Bestimmtheit sagen“ könne. Und der Vorsitzende Richter Poleck registrierte erfreut den Beweisantrag, die Körpergröße Sterrs feststellen zu lassen: „Das ist eine der wenigen Sachen hier, die man objektiv feststellen kann.“

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