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Peymann. Ein Königsdrama

Damit Theater auch hier wieder glamourös und skandalös werde, soll der scheidende Burgtheaterdirektor Claus Peymann nach Berlin kommen. In Wien aber gab es statt Streitkultur nur Kleinkriege. Und Peymann läuft der Zeit auch künstlerisch immer mehr hinterher  ■ Von Uwe Mattheiß

Hier floß einst der Schampus in Strömen. Des Kaisers Kameraden in ihren schneidigen Offiziersuniformen genossen das Leben und die schöne Aussicht auf den Vorplatz und die prächtige Ringstraße – unbehelligt vom Pöbel, der dort unten seinen hektischen Geschäften nachging. Zwischen dem Hotel „Imperial“ und dem monumentalen Ehrenmal der Roten Armee ist das Wiener Kasino am Schwarzenbergplatz ein Objekt in denkbar bester Lage. Viel zu schade für eine Probebühne, selbst fürs Burgtheater.

Nachdem Claus Peymann der österreichischen Bundesbürokratie andernorts funktionierende Probeninfrastruktur abgetrotzt hat, bietet die Nobelimmobilie am Schwarzenbergplatz dem größten Theaterbetrieb des Kontinents neben Burg- und Akademietheater eine dritte Spielstätte, ein Stück Peymann in Wien, das seine Intendanz überdauert.

Vier Monate Konklave, und der mondäne Ballsaal sollte wieder in altem Glanz erstehen, Peymann brütete über einem neuen Königsdrama, die Informationen flossen spärlich, selbst in einer Peymann sehr gewogenen Illustrierten gab es nur ein paar Bilder und die Mär vom Regieberserker, dem ein paar Schauspieler das Handtuch geworfen haben, den die Personalvertretung auf seine alten Tage noch ans Gängelband legen will, auf daß er nett sei zu Schauspielern, statt ihnen brüllend Höchstleistungen abzufordern. Geplänkel vor einer entscheidenden Theaterschlacht. Marlowes „Edward II.“ sollte wieder ein Bravourstück Peymanns werden, wie jene epochalen Vertragsverlängerungsinszenierungen, mit denen er auf feindlichem Terrain und oft verlorenem Posten die Schlacht um Wien immer wieder für sich entschied.

In Wien hat Peymann nichts mehr zu verlieren. „Edward II.“ soll nichts anderes sein als das erste Hauptstück einer Berliner Dramaturgie. Darum schaut auf diese Stadt, auf diesen Ballsaal, in dem Karl-Ernst Herrmann eine rhombenförmige Tafelrunde für zweihundert erlesene Gäste gebaut hat, auf das ihnen „Die unselige Herrschaft und der klägliche Tod Edwards des Zweiten, König von England“ vorgetragen werde „mit dem tragischen Sturz des stolzen Mortimer“. In der Mitte eine stahlvertäfelte Spielfläche, darin wütet, heult, greint und schmachtet ein König, der zugleich sein eigener Narr ist: Edward (Thomas Thieme), das Weichei, der machtvergessene Träumer und zum Gaudium Marlowes für sein Publikum die lächerliche Schwuchtel. Wer den Hintern nicht zusammenkneift, wie die lamettabehängten Offiziere dieses Kasinos, der wird vom Thron gestoßen und stirbt.

Und trotzdem hat diese semipornographischen Spottgeburt etwas Anrührendes, ja Visionäres. Mitten in waffenstarrenden dunklen Zeiten schert sich einer nicht um Reich und Krone, nicht um Kirche, Heer und Flotte, sondern einzig um sein persönliches Glück. Wenn er nur seinen „süßen Gaveston“ (Johannes Krisch) bei sich hat, soll ihm alles recht sein. Mortimer (Nicholas Ofczarek), Lancaster (Florentin Groll) und Warwick (Martin Schwab), die finsteren Barone des Ancien régime, werden die wabbelige Wunschmaschine das Realitätsprinzip lehren. Mit Feuer und Schwert, das glühende Pfahleisen wird ihn später in der Kloake ereilen.

Hier ist der Punkt, an dem eine strategische Entscheidung fällt. Nimmt man Marlowes Dramen als Staat und Kirche, Macht und Moral verhöhnende Grusicals, wie zuletzt in Wien Stefan Bachmann mit der „Tragödie der Rächer“, macht daraus ein blutiges Kasperle-Theater, im dem das Meucheln abstrakt bleibt und gleichsam nur musikalischen Gesetzen folgt, oder sucht man hinter all dem schönen Schund des 16. Jahrhunderts doch das verborgene, bislang unerkannte Königsdrama? Claus Peymann will offenbar beides. Er sucht den Anknüpfungspunkt an glücklichere Tage, an die Wut, die Spielfreude, die Prägnanz der achtziger Jahre. Er zitiert sich, genauso wie er auf die kruden Spielformen der jüngeren Regiegeneration schielt. Peymann prägt nicht mehr seine Zeit, er läuft ihr hinterher – von Thomas Bernhard verlassen, in Wiener Kleinkriegen zerrieben, kann's nur noch heißen: „Nach Berlin!“

Tastend, unschlüssig, nur nichts verschenken wollend, pendelt Peymann bei „Edward II.“ zwischen den Polen seiner Interpretationsansätze. Er liebt diesen kleinen schwachen Träumer, möchte ihn väterlich umarmen und schützen gegen all die Pfaffen und Provinzler, die ihm in der Wiener Wirklichkeit so sehr zusetzen. Mit Herzblut, aber dennoch halbherzig. Der wortgläubige Protestant unter den Regisseuren flüchtet sich immer wieder in die Macht der Bilder, die Cromwellschen Tugendbolde sind aus dem Kupferstich entlaufen, das Böse formiert sich in allegorischen Bildern zu Alpträumen des Königs. Das wechselnde Schlachtenglück bedeuten vier Trommler mit Totenmasken. Mal „stompen“ zwei gegen zwei, mal alle gegen alle. Wenn Krieg ist, tut eben keiner gewinnen.

Peymann ante portas, die westdeutsche Großkritik nutzt die Kasino-Premiere für ein Empfehlungsschreiben nach Berlin. Es ist weniger „Edward II.“ als ein Wechsel auf die Zukunft, die solches verbürgt. Die Deutschen neiden Peymann und Wien die Wellen, die Theater hier noch zu schlagen vermag. Vom hauptstädtischen Glanz der Burg und dem konfliktgestählten Charisma ihres Intendanten will man einfach etwas abhaben. Doch fallen Nah- und Fernsicht merklich auseinander. Worum wird in Wien tatsächlich gefochten seit dem Tode Thomas Bernhards? Unterm Strich bleiben die Reprisen eines Freund- Feind-Verhältnisses aus den achtziger Jahren. Peymann hat hier den zweifelhaften Vorteil, daß sich im Wiener Provinzialismus die Filbinger-Jahre bis in die Neunziger als Operettenscherz fortgesetzt haben.

Die alten Mittelschichten haben auch hier den Kampf um die kulturelle Hegemonie verloren, aber längst nicht aufgegeben. Mit den beckmessernden Studienräten im Wiener Feuilleton läßt sich trefflich um die letzten Reste eines tradierten Bildungstheaters streiten. Die Frage ist nur, was die Kunst des Theater davon hat. Im urbanen Niemandsland von Berlin könnte dieser Streit nicht um des Kaisers Bart, aber um des Kaisers Theater bald verpuffen. Was die Berliner „Zigeunerbarone“ (so Peymann einmal über den Berliner Kultursenator Peter Radunski) von Peymann erwarten, ist das Kunststück einer von oben verordneten Streitkultur. Aber was betreibt Peymann in Wien wirklich, außer die Aufrechterhaltung der Schlachtreihen. Von Händel zu Händel hat er's billiger gegeben. Zuletzt war es sogar das rabulistische Geschwätz und die zum reinen Stalinismus verkommenen Kunsttheorien des Otto Mühl, die dem Burgtheater die Erinnerung an alte Zeiten bescherten.

Als Fanal für Peymann hat sich ausgerechnet ein Theatermann erwiesen, den er den Wienern als Danaergeschenk zugedacht hat: Einar Schleef. Gegen alle Erwartung liegt Wien Schleef seit dessen Inszenierung von Elfriede Jelineks „Sportstück“ zu Füßen. Konfliktlinien lösen sich wundersam auf. War es am Ende der Deutsche Peymann, der Wien von Umbrüchen des Theaters in Deutschland fern gehalten und damit zur Provinz gemacht hat? Mit dem Premierenskandal um den gewerkschaftlich verordneten Vorstellungsschluß (taz vom 26.1.) hat Einar Schleef ein Ereignis provoziert, das an Signal- und Symbolwirkung dem Salzburger Notlichtskandal (bei Bernhards „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ wollte Peymann 1972 auch das Notlicht ausschalten) nahekommt. Nur saß Claus Peymann diesmal auf der anderen Seite.

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