Christian Meyer über die Agrarwende: „Die Reform hat Rückenwind“
Trotz Dauerkritik der Verbände sieht sich Niedersachsens grüner Landwirtschaftsminister mit seiner Reformpolitik nicht allein.
taz: Herr Meyer, wackelt Ihr Ministerposten schon so sehr, dass Sie Soli-Demos brauchen?
Christian Meyer: Wieso, gab es Protest-Demos gegen mich?
Das nicht. Aber wenn man sich anhört, was das Landvolk, also der Bauernverband, Schweinezüchter und Futtermittelhersteller so erzählen, könnte die Grüne Woche dazu geraten.
Das glaube ich nicht. Sicher, einige, die seit Jahrzehnten auf Massentierhaltung und industrielle Landwirtschaft gesetzt haben, merken, dass sie Verlierer der Agrarreform sind. Die Reform bekommt aber von der Mehrheit der Bevölkerung Rückenwind. Und auch von Teilen der Landwirtschaft, die heute für Saatgut-Souveränität vor dem Landwirtschaftsministerium in Hannover demonstriert haben - und vom Minister herzlich begrüßt wurden.
Dabei haben die Affäre und der Untersuchungsausschuss um den ehemaligen Staatssekretär Udo Paschedag Ihren Elan aber gebremst?
Das sehe ich so nicht. Wir haben ja schon große Schritte zur Agrarwende gemacht, von strikten Auflagen für Massentierhaltung bis hin zu den erfolgreichen Verhandlungen bei der nationalen Verteilung von EU-Geldern: Die Gelder der zweiten Säule sind der einzige EU-Topf, der in Niedersachsen wächst. Statt, wie ursprünglich geplant, zehn Prozent weniger, bekommen wir 15 Prozent mehr als in der vorherigen Förderperiode, nämlich 1,1 Milliarden Euro.
38, Diplomsozialwirt, Grünen-Mitglied seit 1994, ist niedersächsischer Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Zweite Säule nennt man die Subventionen, die für ländliche Entwicklung bestimmt sind.
Das ist das Geld, das früher auch unter der Rubrik Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit für die Agrarindustrie verwendet wurde. Jetzt steht es für die ökologische Agrarwende zur Verfügung. Wir haben die Förderung des Ökolandbaus fast verdoppelt und viele Anreize für Gewässer-, Landschafts- und Tierschutz bis hin zu Maßnahmen gegen das Bienensterben geschaffen. Und natürlich setzen wir den Tierschutzplan um …
… der von Ihrem CDU-Vorgänger stammt.
Die Junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft hat gestern anlässlich der geplanten Reform der EU-Saatgutgesetze vorm Landwirtschaftsministerium in Hannover demonstriert:
Von dort starteten zwei politische Treckerfahrten, eine nach Brüssel und eine nach Berlin zur "Wir haben es satt!"-Demo am 18. Januar ab 11 Uhr.
Anlass der Demo ist die Grüne Woche in Berlin, die weltgrößte Messe für Ernährung und Landwirtschaft vom 17. bis 26. Januar, die der veranstaltende Bauernverband als Machtdemonstration nutzt.
Auf dem Programm der Grünen Woche steht im diesjährigen UN-Jahr der bäuerlichen Landwirtschaft u.a. die Diskussion über verantwortungsvolle Agrarinvestitionen und das Kleinbauernthema. (18. 1., ab 14.10 Uhr, Halle 4.2)
Fragt sich bloß, wie ernst der gemeint war: Wenn jetzt Herr Ripke sagt, die Fristen des Plans seien zu kurz …
… Friedrich-Otto Ripke, der frühere CDU-Agrarstaatssekretär, ist jetzt aber auch der Chef des niedersächsischen Geflügelwirtschaftsverbandes.
Trotzdem hat er als Staatssekretär damals doch die Termine selbst festgelegt, die er jetzt unrealistisch nennt. Finden Sie das seriös? Von dieser Landesregierung wird jedenfalls der Plan eins zu eins umgesetzt. Die Erlasse sind raus. Seit dem 1. Januar ist in Niedersachsen als erstem Bundesland das Schnabelkürzen bei Enten verboten und wir werden es bis Ende 2016 auch bei Legehennen abschaffen.
Bloß die männlichen Legehennen-Küken werden weiter zermust. Dabei ließe sich das mit einem Federstrich verhindern.
So einfach ist die Rechtslage in Niedersachsen nicht.
Das Bundestierschutzgesetz verbietet auch in Niedersachsen das Töten von Tieren ohne vernünftigen Grund!
Stimmt. Allerdings ist hier, anders als in Nordrhein-Westfalen, noch keine Staatsanwaltschaft dagegen vorgegangen. Untersagt haben wir aber bereits, die männlichen Küken in Tierkörperbeseitigungsanstalten zu entsorgen. Sie werden verfüttert - etwa in Zoos.
Wenn das mal ein vernünftiger Grund ist.
Wir werden über den Tierschutzplan hinaus auch für diese Praxis ein Datum festlegen, wann damit Schluss ist.
Und zwar?
Das wird ein überschaubarer Zeitraum sein. Die Wirtschaft muss sich darauf einstellen. Das Wegwerfen von Eintagsküken ist ein ethisches Problem und wird vom Verbraucher immer weniger akzeptiert. Wir wollen daher Mehrnutzungshühner und Verfahren der Geschlechtserkennung im Ei fördern.
Zugleich sorgt sich das Landvolk, diese Auflagen würden das Höfesterben in Niedersachsen beschleunigen.
Ich glaube nicht, dass diese Behauptung der Überprüfung standhält. Wir wollen die 40.000 Familienbetriebe in Niedersachsen erhalten und haben unsere Politik daran ausgerichtet. Alle unsere Maßnahmen stärken die kleinen und mittleren Höfe, genau dazu dient auch unser neuer Gerechtigkeitsfaktor in den Argrarzahlungen. Es gibt einen erheblichen Zuschlag für die ersten Hektare, in Stufen bis 30 und bis 46 Hektar. Das stärkt in Niedersachsen 87 Prozent der Betriebe und wir kommen weg von der sozialistischen Einheitsprämie à la CDU …
… und vom Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes?
Ach was. Wir haben eine gleitende Progression eingeführt, wie beim Steuerrecht. Es ist ja auch gerecht, wenn ein Minister einen höheren Steuersatz zahlt als ein Geringverdiener.
Damit wollen Sie vermutlich gleichzeitig die Bodenspekulation eindämmen?
Genau. Dass die Pachtpreise so explodiert sind, ist ein Riesennachteil für die flächengebundene Landwirtschaft. Da kommen die Bauern oft nicht mehr hinterher. Deshalb führen wir auch eine Prämie für Grünland ein, die sich noch einmal erhöht, wenn es beweidet wird, sei es mit Schafen oder Rindern. Das ist gerade im Bereich der Milchviehhaltung wichtig, damit es nicht immer mehr 1.000er-Kuhställe gibt. Die haben nämlich nur wenig Akzeptanz. Kühe gehören auf die Weide!
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