Projekt Heimwegtelefon: „Die Angst ist einfach da"
Mit einer kostenlosen Hotline will Frances Berger Menschen helfen, die sich auf dem Weg durch die nächtliche Stadt unsicher fühlen. Ausfinanziert ist das Projekt noch nicht.
taz: Frau Berger, Sie bieten ein „Heimwegtelefon“ an, durch das sich Menschen sicherer fühlen sollen. Wie geht das?
Frances Berger: Wir wollen mit dem Heimwegtelefon die Berliner sicher nach Hause bringen. Wenn Sie nachts alleine unterwegs sind und dabei ein mulmiges Gefühl haben, können Sie unsere Hotline anrufen. Ich frage Sie dann, wo Sie gerade sind und wohin Sie unterwegs sind. Dann unterhalten wir uns, und ich frage immer wieder Ihren Standort ab. Sie können sich dadurch ein bisschen sicherer fühlen, und wenn tatsächlich etwas passiert, kann ich sofort die Polizei rufen.
Ist es potenziellen Angreifern nicht ziemlich egal, ob ich gerade telefoniere oder nicht?
Das glaube ich nicht. Wenn ich versuche mir vorzustellen, dass ich selbst jemanden angreifen wollte, würde das für mich einen Unterschied machen. Mein „Opfer“ wäre dann nicht vollkommen alleine, sondern würde im selben Augenblick mit jemandem interagieren, sodass ich als Täterin schneller erwischt werden könnte.
Und wie helfen Sie, wenn trotzdem etwas passiert?
Dann versuche ich, die Person zu beruhigen, falls sie noch mit mir reden kann, und in jedem Fall sofort die Polizei anrufen.
31, hat Wirtschaftsinformatik und BWL studiert und arbeitet bei einer Unternehmensberatung. Das Heimwegtelefon (0 30/12 07 41 82) ist am 27. und 28. 12. von 22 bis 2 Uhr erreichbar. Das Crowdfunding findet auf betterplace.org statt.
Wie kamen Sie auf die Idee, so eine Hotline anzubieten?
Die Idee hatten meine Freundin Anabell Schuchhardt und ich zusammen. Irgendwann unterhielten wir uns darüber, dass wir beide nachts telefonieren, um uns sicherer zu fühlen. Sie hat sogar einen Notrufknopf am Handy, der einen Anruf simuliert. Und ich rufe meist meinen Freund an. Mit dem gab es dann schon manchmal Diskussionen, weil er müde oder genervt war. Aber er will ja auch, dass ich sicher nach Hause komme. Anabell erzählte mir, dass es in Schweden eine Hotline gibt, die einen solchen Service anbietet. Wir haben uns dann gefragt, wieso es das in Deutschland nicht gibt.
Ist Ihnen denn nachts schon einmal etwas passiert?
Nein, eigentlich nicht.
Woher dann die Angst?
Ich habe einfach den Eindruck, dass nachts viele Übergriffe passieren. Vielleicht wird dieser Eindruck auch durch die Berichterstattung in den Medien beeinflusst oder sogar verfälscht. Aber ich glaube schon, dass die Gewaltbereitschaft gestiegen ist.
Die Medien machen die Angst?
Ich weiß es nicht. Sie ist einfach da.
Ist die Angst in einer Großstadt wie Berlin besonders groß?
Nein. Ich bin in einem Dorf im Harz mit knapp 2.000 Einwohnern groß geworden. Und auch damals habe ich nachts unterwegs telefoniert, mit meiner Mutter. Dabei hätte ich dort jeden potenziellen Täter mehr oder weniger gekannt.
Könnte das Angebot einer solchen Hotline nicht den Eindruck verstärken, dass man überhaupt Angst haben muss?
Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Kann sein. Aber ich kenne viele Leute, meistens Frauen, die diese Angst ohnehin schon haben.
Wann genau wird das Heimwegtelefon erreichbar sein?
Wir sind noch in der Testphase. Am kommenden Wochenende sind wir Freitag und Samstag von jeweils 22 bis 2 Uhr zu erreichen.
Für viele Partygänger dürfte das ein bisschen früh sein.
Wenn wir weitere Helfer finden, werden wir bestimmt einen längeren Zeitraum abdecken können. Aber jetzt am Anfang telefonieren nur Anabell und ich. Sie lebt jetzt in Hamburg, aber das macht nichts, sie könnte genauso gut in Timbuktu sitzen, wir nutzen eine Callcenter-Software.
Wie kann man denn mithelfen?
Man braucht wirklich nur die Software für den Computer. Die kostet nichts. Gut wäre natürlich, wenn man sich ein bisschen in Berlin auskennen würde. Das ist aber keine Bedingung. Im Endeffekt kann ja jeder im Internet einen Stadtplan öffnen und weiterhelfen.
Wie viel kostet ein Anruf?
Jetzt am Anfang noch so viel wie ein ganz normaler Anruf ins Festnetz. Viele haben dafür ja eine Flatrate. Wenn das Projekt gut läuft, wollen wir uns aber um eine kostenfreie 0800-Nummer bemühen.
Sie wollen mit dem Service kein Geld verdienen?
Nein.
Und was ist Ihre Motivation? Sie arbeiten als Unternehmensberaterin und Fotografin, Sie haben einen kleinen Sohn. Langweilig dürfte Ihnen nicht sein.
(Lacht) Ich persönlich wünsche mir auch eine Welt, in der alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Dafür muss es aber Menschen geben, die Dinge anpacken und etwas dafür tun. Ich möchte wirklich Leuten helfen, nachts mit einem besseren Gefühl durch die Stadt zu kommen.
Wie geht es nach dem Testlauf konkret weiter?
Wir werden zunächst mal ein paar Informationen aus der Praxis haben: Wie viele Leute haben angerufen, wie lange hat ein Gespräch im Schnitt gedauert, wann kamen die meisten Anrufe, welche Hilfestellung wurde von uns genau erwartet? Diese Ergebnisse müssen wir auswerten und dann das Angebot entsprechend anpassen.
Wie lange wird das dauern?
Genau kann ich das noch nicht sagen. Wir geben bei Facebook und Twitter bekannt, wann und wie es bei uns weitergeht.
Dort kann man auch sehen, dass das Projekt seit über zwei Jahren in Planung ist. Warum hat es so lange gedauert?
Recherche und Geldbeschaffung. Von der Möglichkeit dieser kostenlosen Callcenter-Software haben wir erst durch Anabells neuen Job in Hamburg erfahren. Und wir brauchen Geld für einen Anwalt, der uns beim Aufsetzen einiger Verträge unterstützen soll. Ich möchte abgesichert sein und nicht haftbar gemacht werden können, sollte tatsächlich einem Anrufer oder einer Anruferin etwas passieren. Wir versuchen es immer noch mit Crowdfunding, aber leider haben wir das Geld noch nicht zusammen.
Das heißt, es fehlt immer noch Geld? Wieso werden Sie dann schon aktiv?
Nach einem ersten Pressebericht über uns haben wir so viel positives Feedback bekommen, dass wir dachten: Okay, wir wollen dieses Jahr auf jeden Fall noch in die Testphase starten. Und wenn die gut läuft, läuft es vielleicht auch mit den Spenden besser.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Bestürzung und erste Details über den Tatverdächtigen
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!