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Gefühlsneurodermitis: „Hautnah“ in den Kammerspielen

Wer liebt, lügt. Auch die Figuren in Patrick Marbers Hautnah tun das. Wahre Liebe ist eben doch nur etwas für Narzißten und Egomanen. Für Geschöpfe eben wie die Protagonisten in Hautnah, das derzeit in einer Inszenierung von Gerd Böckmann an den Kammerspielen läuft. Selbst der Titel des Stückes ist schon Schwindel. Denn: So richtig nah kommen sich die vier Thirtysomethings, deren Leben in den Neunzigern auf der glatten Oberflächlichkeit von Vernissagen und Designerwohnungen dem Älterwerden rasant entgegenschlittert, eigentlich nie. Sicher, sie schlafen miteinander. Mal Anna mit Larry, mal Dan mit Anna, mal Larry mit Alice, mal Alice mit Dan und wieder von vorne. Hier ein Mitleidsfick dort eine Vergeltungsmaßnahme. Ein Körperkontakt, nicht mehr. Man merkt dem Stück an, daß sein Autor früher Stand-up-comedien war: Hautnah ist oft brüllend komisch. Zum Beispiel, wenn Larry und Dan sich beim Chatten im Internet treffen, Dan sich als „Anna“ (“Dreißigerin Dunkles Haar Dreckiger Mund Epische Titten“) ausgibt und beide ihre Sexphantasien austauschen. Hautnah ist auch rasend schnell, mit Dialogen, die an verbale Ping-Pong-Matches erinnern: Hart, treffend, verletzend. Ein wenig wirkt die 90er-Jahre-Großstadt-Welt der Vier wie eine partnertauschfreudige Riesen-WG in den 70ern. Nur: Statt tiefenpsychologischer Diskussionen bei Mate-Tee führt man hier zynischen Small-Talk beim Sekt. Man ist eben abgeklärt.

So wie Anna, die blonde, schlagfertige Superfrau (Leslie Malton), vor der sowohl der selbstmitleidige Dermatologe Larry (Rudolf Kowalski) als auch der überschwengliche Nachrufschreiber Dan (Marcus Bluhm) um Liebe oder wenigstens einen „Gnadenfick“ winseln, während Anna selbst schon längst den Glauben an die eine, die große Emotion verloren hat: „Männer sind Schrott...Sie ficken ihr Leben lang und wissen nie zu lieben.“

Die einzige, die noch ans Gefühl glaubt, ist Alice, die prompt von allen nur benutzt wird. Doch gerade sie, die einzige wahrhaftig und ehrlich Liebende, entpuppt sich am Ende als der größte Betrug des ganzen Stücks „Alles ist Lüge“ sagt sie einmal. Wie wahr. Kristina Maroldt

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