■ „Die Serben“ und die Abgründe deutscher Geschichtspolitik: Milosevic ist nicht Hitler
Ob Saddam oder Slobodan, Adolf Hitler ist immer dort, wo der Westen hinbombt. Das Thema Kosovo wird in Begriffen beschrieben, die mit dem Nationalsozialismus verknüpft sind: Völkermord, Deportation, Konzentrationslager. Im Februar erinnerte der Verteidigungsminister deutsche Soldaten in der Gedenkstätte Auschwitz an die besondere deutsche Verantwortung in aller Welt. Im Bundestag werden Kriegsgegner als Weißwäscher des Faschismus bezeichnet. Der Außenminister setzt „Serben“ und „SS“ in eins.
Gerade unter den Serben hat die SS Blutbäder angerichtet. Aber solche Gleichsetzungen sind nicht nur in dieser Hinsicht absurd. Miloevic ist nicht Hitler. Im Kosovo wird vergewaltigt, gemordet und vertrieben – es ist Krieg. Eine NS-Vernichtungsmaschine jedoch gibt es nicht. 1982 lag Auschwitz nicht in Israel, 1991 nicht im Irak, es liegt auch heute nicht in Jugoslawien. Die Opfer der Nazis haben sich nie in einer separatistischen Guerilla organisiert, den Staat in Frage gestellt und sich zu diesem Zweck mit dem stärksten Militärapparat der Welt verbündet.
Politische Klasse und veröffentlichte Meinung der Republik machen sich einen alten Fehler der Linken zu eigen: „Hitler“ sagen zu müssen, wenn etwas böse ist. Unbewußter Zweck dieses Reflexes war schon immer die Relativierung der Nazibarbarei und die heimliche Entlastung.
Die „Instrumentalisierung des Holocaust zu gegenwärtigen Zwecken“ entdeckte Martin Walser in seiner Paulskirchen-Rede – und beschuldigte absurderweise jene, die sich anläßlich rassistischer Gewalt in Deutschland an den braunenTerror erinnert fühlen. Heute dient die regierungsoffizielle Instrumentalisierung dazu, die Heimatfront für den gerechten Krieg moralisch aufzupeppen.
Weil es so viele Hitler gibt, fällt mit jeder Bombe auf Belgrad dem kollektiven Gedächtnis der Deutschen ein Stein vom Herzen. Velten Schäfer
arbeitet derzeit als Praktikant in der taz-Redaktion
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen