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Ein Meter einundsechzig Populismus

Bremerhaven hat gewählt, die DVU ist im Parlament. Und weil das schon seit zwölf Jahren so ist, regt sich auch niemand mehr so richtig darüber auf. Und das freut Siegfried Tittmann  ■   Von Jens Rübsam (Text) und Kay Michalak (Fotos)

Der Mann, den seine Feinde gern „Laufender Meter“ nennen, wächst am späten Sonntagabend über sich hinaus. „Wir sind und bleiben die Hochburg der DVU in Deutschland“, jubelt Siegfried Tittmann (1,61 Meter) in einer Baracke im Bremerhavener Ortsteil Grünhöfe, der Zentrale der Nordsee-Rechtsextremen. Wieder über fünf Prozent! Wieder drei Abgeordnete der DVU im Stadtparlament! „Sieg“, „voll zufrieden“, „gute Stimmung“, jauchzt Herr Tittmann, 45.

Kein Aufschrei – wie kürzlich in Brandenburg – zieht an diesem Wahlabend durch Bremerhaven. Keine protestierende Masse – wie kürzlich vor dem Potsdamer Landtag – versammelt sich vorm Rathaus. Keinen Politiker – wie kürzlich Stolpe und Hildebrandt – treibt schwer die Sorge. DVUler im Bremerhavener Stadtparlament sind so normal wie Krabben- und Heringssalat auf den örtlichen Frühstückstischen. Seit zwölf Jahren fahren die Rechten in der westdeutschen Seestadt regelmäßig kommunale Wahlsiege ein. 1987: 5,31 Prozent; 1991: 10,26 Prozent; 1995: 5,73 Prozent; 1999: 5,19 Prozent. „Unser Erfolgsmodell“, heißt es stolz aus der Münchner Parteizentrale.

Wer in Bremerhaven DVU wählt, sagt es gerade heraus. Wer dazugehört, braucht sich nicht mehr zu tarnen. Geduldig geben Sympathisanten auf Wochenmärkten Auskunft. Einer sagt: „Ich wähle bewusst Protest. Es gibt viel zu viele Ausländer hier.“ Am Ende eines Tages setzen die DVUler sich unter Gerhard-Frey-Porträt und Landkarte („Die deutschen Siedlungsgebiete“) zusammen und ziehen entspannt Resümee. „Anderswo ist es sicher nicht so einfach, Wahlkampf für unsere Partei zu machen.“

Anderswo hätten die DVUler nicht in einem Wohngebiet ungestört drei Stunden Parolen schmettern können – nebenan ein Stand der Grünen, der Sozial-, der Christdemokraten. Anderswo hätte nicht ein Frey-Funktionär ungehindert Laternenmasten mit „Istanbul den Türken. Bremerhaven den Deutschen“ zupflastern können. Anderswo hätte man nicht gut gelaunt in einer Geschäftsstelle, an der ein DVU-Schild klotzt, klönen können: „In Bremerhaven gehört die DVU zur Normalität.“

„Bremerhaven“, sagt der Bremer Bürgerschaftspräsident, „ist anfällig für die DVU“. „In Bremerhaven“, sagt ein Verfassungsschützer, „gibt es keine Antifa-Szene.“ „In Bremerhaven“, sagt ein Grüner, „hat die Hochschule keine politische Außenwirkung.“ In Bremerhaven haben sich die Parteien an Tittmann und Co. gewöhnt.

Gern bittet Siegfried Tittmann in seinen Wagen. Wie Hans Moser einst im Film einen Fiaker durchs beschauliche Wien lenkte, so kurvt DVU-Landeschef Tittmann heute mit seinem VW durchs gebeutelte Bremerhaven, genüsslich und allseits winkend. Um mit einem Farbigen plauschen zu können, tritt er scharf auf die Bremse. „Hallo Siggi“, grüßt dieser aufs Herzlichste. „Tittmann“, sagt selbst der Verfassungsschützer, „ist ein Original. Er hat in Bremerhaven einen hohen Bekanntheitsgrad.“ Erst im Juni holte er hier 5,99 Prozent – und zog als einziger DVUler in die Bremer Bürgerschaft ein.

Und nun wieder ein Erfolg. Fast ehrfurchtsvoll geben Bremerhavener Linke zu Protokoll: „Die DVU ist Tittmann.“ Und niemand weiß so recht, wie mit dem „Laufenden Meter“ – wahlweise auch „Napoleon“, „Giftzwerg“ und „kleiner Wicht“ – umzugehen ist. Sich mit ihm und seiner Polemik auseinandersetzen? Oder einfach gewähren lassen? Weil die Rechten mittlerweile zum Alltag gehören?

Im Wagen frohlockt ein „armes Hascherl“ (Tittmann über Tittmann). „Die Märtyrer-Rolle spiele ich gern“, sagt der Landeschef, „die kommt bei den Leuten gut an.“ Einmal springt er aus dem Auto: „Hallo Dicker“, ruft er einem Taxifahrer zu. „Hallo, mein Führer“, schallt es lustig zurück. An einem Kiosk lässt er einen Zehner (Bier und Flachmann) für einen Penner springen. Verdienen tut Tittmann nicht schlecht. Bürgerschaftsdiäten: monatlich 4.600 Mark; Entgeld eines Bremerhavener Stadtverordneten: 840 Mark. „Davon aber“, sagt Tittmann sorgenvoll, „gehen Steuern, Rente und Sozialversicherung runter, und zehn Prozent an die Münchner Parteikasse.“ Seit der Kampfsportler (Ju-Jutsu, Kickboxen, Karate) und Sammler handsignierter Fotos von Ritterkreuzträgern Berufspolitiker ist, hat er sich beurlauben lassen. Zwanzig Jahre fuhr er davor Zeitungen aus.

Statt Frau mit Herz und Goldenes Blatt trägt er nun Anträge „die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen“ zu Markte. Mal will er „unseriöse Haushaltspolitik“ abstrafen, mal polemisiert er gegen „die doppelte Staatsbürgerschaft“, mal fürchtet er sich vor „Gewalt an Bremerhavener Schulen“, mal sorgt er sich um die „Hundesteuer“. Die örtlichen Grünen haben schon vor vier Jahren in einer Studie der DVU-Rathausfraktion Rassismus, Hetze, verbale Brandbomben und Inkompetenz nachgewiesen – und darauf aufmerksam gemacht, dass der Lohn aus vier Jahren „Kommunalpolitik“ immerhin 570.000 Mark beträgt, finanziert aus dem städtischen Haushalt. „Eine immense Summe, die ihnen laut Entschädigungsgesetz zwar zusteht, aber in keinem Verhältnis zur geleisteten Arbeit steht“, befanden die Grünen 1995. Die Bremerhavener jedoch wählten wieder DVU.

Gelangweilt schaut der Grüne Michael Frost, 32. Sich mit der DVU auseinandersetzen? „Nein“, sagt er, „unsere Ansätze, die wir früher hatten, sind gescheitert.“ Demos gegen die DVU hätten diese noch gestärkt. Kampagnen würden das rechte Wählerpotential erst recht mobilisieren. Schlagworte wie Multikulti haben die Grünen mittlerweile aus ihren Wahlkampfreden gestrichen – „damit erreichen wir niemanden mehr.“ Versagt gegen rechts? „Das müssen wir uns eingestehen“, sagt Michael Frost.

Ihre goldenen Zeiten erlebten die Bremerhavener Rechten, als die Zukunft der Stadt düster aussah. Schiffbau, Fischverarbeitung und Hafendienstleistung wurden Mitte der 80er-Jahre zu Reizworten. Werften schlossen, wie Ende 1983 die AG „Weser“ – 2.000 Arbeiter standen auf der Straße. Die Verkündung monatlicher Arbeitslosenzahlen ähnelte immer mehr einer Begräbnisrede, schon am 4. Januar 1984 musste eine Quote von 15,2 Prozent bekanntgegeben werden. Ein neugebildetes Werftenkonglomerat, der Vulkan-Verbund, wurde mit dem Superlativ „Größter Werftenverbund Europas“ ausgestattet – zu einer Zeit, da von einem anderen Superlativ, „Größter Fischereihafen der Welt“, schon längst nicht mehr die Rede sein konnte. Und auf das, worauf die Bremerhavener stolz waren, wurde nun mit Häme geblickt: Auf die „tätige Stadt im Nordseewwind“, auf die „Brücke nach Übersee“, auf den „Bahnhof zum Meer“. Was den Bremerhavenern blieb, waren lediglich die schönen Erinnerungen: Dass sie im 19. Jahrhundert Europas größten Auswandererhafen hatten – acht Millionen Menschen brachen von hier in eine neue Welt auf; dass Kaiser Wilhelm II. hier am 27. Juli 1900 seine „Hunnenrede“ hielt und deutsche Truppen nach China verabschiedete; dass Lale Andersen hier 1905 geboren wurde; dass Elvis hier 1958 von Bord eines amerikanischen Truppentransports ging; dass hier Anfang der 60er-Jahre von 209 deutschen Fischdampfern 103 ihren Heimathafen hatten; dass hier die ersten Öltanker gebaut wurden, einer, der 1968 Bremerhaven verließ, hieß „Good Hope I“. Good Hope?

Ihre goldenen Zeiten erleben die Bremerhavener Rechten noch immer, weil die Zukunft der Stadt noch immer düster aussieht. Die 11.000 hier stationierten Amerikaner sind abgezogen. Der Vulkan-Verbund ging 1996 in Konkurs, mehr als die Hälfte der 9.000 Arbeitskräfte im Stadtstaat wurden entlassen. Die beiden noch in Bremerhaven ansässigen Werften beschäftigen heute rund 500 Festangestellte. Die Arbeitslosenquote erstarrt konsequent bei 19 Prozent. Und wer kann, der zieht weg. Zählte Bremerhaven 1970 noch 142.700 Einwohner, waren es Ende Juli diesen Jahres nur noch 122.600. „Eine andere Zeit“, hört man die Bremerhavener in den Kneipen stöhnen oder „Untergangsstimmung“. Ende des Jahres Jahr wird auch das Kaufhaus „Horten“ schließen. Good Hope?

Wissenschaftler, die sich mit dem Phänomen „DVU Bremerhaven“ auseinandergesetzt haben, erklären: Die DVU stelle „betroffene Bürger in den Vordergrund, naiv und abgegrenzt gegenüber Politprofis“. Und: „Sie besetzt Problemfelder“. Wo Sozialdemokraten jahrzehntelang ein Abo aufs Stadtparlament hatten (Parteizeitung: Unser Bremerhaven), vor Hochmut vergaßen, an Strukturpolitik zu denken, und nicht erkannten, dass Schiffe in Fernost und Osteuropa bei gleicher Qualität längst billiger produziert werden, wo SPDler ein fremdenfeindliches Klima schafften und Flüchtlinge rigoros abschoben, und wo ein FDP-Oberbürgermeister Pressemitteilungen im Boulevardstil verfassen ließ: „Die kriminelle Karriere der 'Libanesen-Familie‘“ und „Das Maß ist voll“, da haben es Populisten mit Goldkettchen, Boxhandschuh-Anhänger und Karate-Tattoo auf dem Arm leicht. Tittmann stellt sich vor Werkstore und fordert: „Weniger Geld ins Ausland“, „EU-Zahlungen radikal kürzen“, „das Geld nutzen, um Bremerhavener Werften zu sanieren“, „kriminelle Ausländer sofort abschieben“ – der Beifall ist sicher. Da spielt es keine Rolle, was er im Stadtparlament zustande oder nicht zustande bringt.

Wie auch sollte der gemeine Bremerhavener davon erfahren? Die Nordsee-Zeitung, einziges Blatt am Ort, ignoriert die DVU seit Jahren. „Wir beschränken uns auf die Parteien, die demokratisch legitimiert sind“, lässt Chefredakteuer Jung wissen. Das heißt: DVU nicht erwähnen, PDS nicht erwähnen. „Ich bezweifle, ob eine andere Strategie erfolgreicher wäre“, sagt Jung. Erfolg hatten wieder einmal die Rechten.

Meist spricht Siegfried Tittmann in Stadtverordnetenversammlungen und Ausschusssitzungen im forschen Ton, nie den Deutschen vergessend. Die anderen schweigen. „Ich bin kein Redner“, sagt einer von ihnen. Einmal hat die DVU der CDU geholfen, einen Kandidaten für das Bauressort durchzubringen. Als „Zünglein an der Waage“ durften sich die DVUler des öfteren fühlen, als mächtig, als gesellschaftsfähig. Siegfried Tittmann dürfte jedes Mal gewachsen sein – um „einen halben Meter mindestens“ scherzt ein Abgeordneter.

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