Filmstart „Room 237“: Kubricks Mittelfinger an King
Ins Kraut zielende Thesen, überkonstruiert wirkende Argumente: In „Room 237“ geht es um verborgene Zeichen im Werk eines großen Regisseurs.
Stanley Kubricks Filme sind faszinierende Vexierspiele: Auf den ersten Blick zwar Genrefilme, beginnen sie schon bei näherem Hinsehen eigenartig zu schillern. Rätsel im Großen (etwa der Lichttunnel am Ende von „2001 – Odyssee im Weltraum“), wie im Kleinen (etwa die in jedem Film versteckten Anspielungen auf den vorangegangenen) tun sich auf. Daneben finden sich zahlreiche philosophische, kunst- und kulturhistorische Verweise.
Ähnlich wie im Feld der Literatur bei Thomas Pynchon schart sich daher auch um Kubricks Werk eine eingeschworene Gemeinde auf der Suche nach dem Schlüssel, der den Code seiner Filme endgültig aufschließt. Die Prämisse dabei: Die Filme des Regie-Eremiten handeln stets von weit mehr als ihre Plots zu erkennen geben.
Macht Kubricks rätselhaftes Science-Fiction-Epos „2001“ diesen interpretatorischen Aufwand schon deshalb notwendig, um überhaupt zu einem ersten Verständnis zu gelangen, bietet sich der rund zehn Jahre später nach einem Roman von Stephen King entstandene Horrorfilm „The Shining“ für kryptologische Dechiffrierungen zwar nicht von vornherein an.
„Room 237“. Regie: Rodney Ascher. Mit: Bill Blackmore, Geoffrey Cocks, u.a. USA 2013, 102 Min.
Doch umso beherzter sind die Tiefenbohrungen, mit denen passionierte Kubrickianer dem Film auf den Grund gehen. Einige besonders esoterische Vertreter davon hat Regisseur Rodney Ascher nun für seinen Essayfilm „Room 237“ versammelt: Mit grenz-paranoidem Eifer sind sie gewillt, auch dort noch versteckte Zeichen und Signale zu erkennen, wo der gesunde Menschenverstand sich gar nicht erst lange aufhält.
Buchstabenverdrehungen als Beweis
Der Film über eine in einem entlegenen Berghotel eingeschneite Familie, deren Vater (Jack Nicholson) einem womöglich von Geistern induzierten Wahnsinn anheim fällt, wird mit viel Kreativität und Fleiß unters Mikroskop gelegt. Beeindruckend sind die oft waghalsig konstruierten Theoriegebäude allemal, doch bleibt ein gehöriger Rest Skepsis: Ist die klischierte Indianerdarstellung auf einer im Bildhintergrund arrangierten Suppendose schon ein Hinweis darauf, dass es in „The Shining“ eigentlich um den Genozid an den amerikanischen Ureinwohnern geht?
Ab wann sind Bildanschlussfehler tatsächlich als willentliche Flüsterpost eines berüchtigten Perfektionisten zu verstehen? Bilden eine deutsche Schreibmaschine und die (nach einigen numerologischen Stunts) allgegenwärtige Zahl „42“ bereits einen Verweis auf die Shoah? Oder ist „The Shining“ im Gesamten gar, wie ein ganz besonders versponnener Mumpitz glauben machen will, das höchst verklausulierte Geständnis eines Regisseurs, die TV-Übertragung der Mondlandung gefakt zu haben, wie wiederum eine besonders populäre Verschwörungstheorie aus dem Milieu der Mondlandungsskeptiker besagt?
Kurz: Ins Kraut zielende Thesen und oft überkonstruiert wirkende Argumente reihen sich in „Room 237“ aneinander. Einige wirken schon in ihrer Begründung hochgradig unplausibel. Zu haben sind sie nur, wenn man gewillt ist, noch absurde Buchstabenverdrehungen ad infinitum als gültigen Beweis zu erachten.
Ein geschrotteter roter Käfer
Dennoch stecken in „Room 237“ viele bestrickende, in ihrer Freude am Detail überraschende Beobachtungen: Und wenn es nur der gecrashte rote VW-Käfer ist, den Kubrick beiläufig in einer Einstellung zeigt. Mit einem solchen, allerdings intakten Wagen ließ King seinen Roman beginnen, während bei Kubrick eine andere Verwendung fand.
Der geschrottete rote Käfer – ein dezenter Mittelfingerzeig Kubricks an Kings Adresse, ein Beleg dafür, was der Meisterregisseur insgeheim von der literarischen Vorlage hielt? Der Horrorliterat jedenfalls weist die in vielerlei Hinsicht sehr freie Romanadaption bis heute gekränkt zurück.
Zwischen „Room 237“ und den darin präsentierten Thesen passt unterdessen kein Blatt Papier. Die Kryptologen sind allein per Voiceover präsent, Ascher collagiert (nicht nur) Szenen aus Kubricks Filmen, was das Zeug hält: Illustrierende Evidenzproduktion im Sekundentakt, unterlegt von suggestiv-irisierender Musik. Etwas mehr Distanz, etwas weniger Faszination hätte dem Film im Großen und Ganzen gut getan. Spaß macht er zwar zuweilen durchaus. Nur ernst nehmen sollte man diese Einflüsterungen um Kubricks Willen nicht in völliger Konsequenz.
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