Stadtentwicklung in Hamburg: „Wir haben die Leute geschützt“
Saskia Sassen war Kuratoriumsmitglied der Internationalen Bauausstellung in Hamburg. Die Veränderung im Stadtteil Wilhelmsburg habe mit Gentrifizierung nichts zu tun, sagt sie.
taz: „Eine Stadtplanung, die kein ideologisches Ziel hat, gleicht einem Schneider, der Maßanzüge macht, ohne zu wissen, wer sie tragen soll“, hat der Schriftsteller Max Frisch gesagt. Welches ideologische Ziel hatte denn die Internationale Bauausstellung in Hamburg (IBA), Frau Sassen?
Saskia Sassen: Die „Ideologie“ der IBA in Frischs Sinne – nicht im klassischen Sinne des Wortes – ist Aufwertung ohne Gentrifizierung. Und die Idee, die Biosphäre in den städtischen Raum zu bringen, damit sie von sich aus das machen kann, was wir jetzt nur mit in Fabriken hergestellten Chemikalien erreichen.
Zeigt die IBA denn nicht vor allem, wie sich ein „Problemstadtteil“ aufwerten lässt?
64, geboren in den Niederlanden, ist Professorin für Soziologie an der Columbia University, New York. International bekannt wurde sie mit ihrer Forschung zu Migration und "Global Cities". Als Kuratoriumsmitglied der IBA 2013 kommt sie seit sechs Jahren regelmäßig nach Hamburg. Zuletzt veröffentlichte Sassen 2012 eine überarbeitete Neuausgabe ihres Buches "Cities in a World Economy" (1994), 2014 erscheint "Expulsions: When complexity produces brutalities".
Ich würde diese Sprache nicht benutzen. Ich bin erst dazu gekommen, als das Kuratorium bereits ein Jahr mit der Arbeit begonnen hatte, war bei der ursprünglichen Planung also nicht dabei. Die Sprache der Aufwertung – es besser zu machen, ist natürlich ein Teil aller IBA-Projekte, sonst hätte die Regierung vielleicht aufgehört, sie zu finanzieren. Aber das ist nicht das Gleiche wie Gentrifizierung. Ein erklärtes Ziel war, sicherzustellen, dass die ansässigen Bewohner nicht vertrieben werden und dass sie von der IBA direkt oder indirekt profitieren.
Gibt es noch alternative Modelle zu einer Stadtentwicklung durch Aufwertung?
Immer wenn es einen Eingriff gibt, in einer so schicken Stadt wie Hamburg, ist Gentrifizierung leicht eine Hauptkonsequenz. Das war für das Kuratorium ein anerkanntes Thema. Wir haben sehr viel Energie eingesetzt, um die Leute zu schützen, die in Wilhelmsburg wohnen. Glauben Sie mir: Ich habe Gentrifizierung in ihrer vollen Brutalität in New York gesehen – wenn jemand denkt, dass Wilhelmsburg gentrifiziert wurde, hat er nicht viel von der Welt gesehen. Ich forsche zu Bauern und Landarbeitern, die von ihrem Land geworfen wurden, damit Unternehmen es nutzen können. Das ist auch eine Form von Gentrifizierung. Die Welt ist überzogen von brutalen Vertreibungen. Die IBA sollte als ein komplexes Vorhaben untersucht werden, das ziemlich verschieden ist zu Gentrifizierung.
Was genau hat die IBA denn anders gemacht?
Es gab da sehr heruntergekomme Mietwohnungen und wir haben den Leuten gesagt, wir werden alles renovieren, neue Bäder, Küchen und kleine Balkone bauen und mehr Platz schaffen, dafür müsstet ihr aber ausziehen – und später könnt ihr wieder einziehen. Die Entscheidung war freiwillig. Man kann sich vorstellen, wie die Reaktionen waren: Am Anfang wollten die meisten das Angebot nicht annehmen, weil sie dachten, wir wir ziehen sie über den Tisch.
Sie sprechen vom sogenannten „Weltquartier“, einer Siedlung mit Mehrfamilienhäusern. Wie viele der dortigen Bewohner haben schließlich mitgemacht?
Einige mutige Seelen haben uns vertraut. Das waren etwa 40 Prozent der Einwohner. Wir haben garantiert, dass die Miete nur ein paar symbolische Cent pro Quadratmeter steigt. Wir haben einen Wettbewerb gemacht, der auf die armen Familien ausgerichtet war. Die Wohnungen sollten nicht schick werden, damit sie sich damit identifizieren können. Dann haben weitere 20 Prozent der Bewohner gesagt, dass sie das auch wollen. Einige haben sich schon fast aus einer politischen Haltung heraus geweigert – und jetzt bedauern sie das, wie wir gehört haben. Weil sie nun realisiert haben, dass sie eine Chance verpasst haben.
Haben Sie auf die Proteste reagiert?
Es gibt junge Leute aus der Anti-Gentrifizierungsbewegung, die sagen: Immer wenn etwas aufgewertet wird, führt das zur Gentrifizierung. Das ist schon eine Tendenz, das würde ich auch sagen. Aber nicht alle Aufwertungen müssen Gentrifizierung sein. Die IBA hat sehr hart gearbeitet, um die Vertreibung der ansässigen Bewohner mit niedrigem Einkommen zu vermeiden.
Heiner Baumgarten, Chef der parallel im selben Stadtviertel ausgerichteten Internationalen Gartenschau, hat kürzlich in der Zeitung Die Welt eingeräumt: Die Gentrifizierung war gewollt.
Die Gartenschau ist ein ganz anderes Projekt. Sie bringt Leute von überall her – die nicht die Ärmsten sein können. Das Klientel ist sehr verschieden zur IBA. Es hilft nicht, beide Projekte zu generalisieren. Natürlich sind die meisten Hamburger, so zeigen die verfügbaren Statistiken, noch nie auf der Elbinsel gewesen, sie sprechen darüber in sehr groben Kategorien.
Der Stadtsoziologe Andrej Holm hat bei einem Besuch in Wilhelmsburg gesagt, IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg wisse eigentlich, wie das geht, Aufwertung ohne Verdrängung: aus seiner Zeit bei der Bauausstellung 1984 in Berlin, die den Schwerpunkt behutsame Stadterneuerung hatte. Allerdings gebe ihm heute niemand mehr Geld für sowas.
Ich sehe das anders. Herr Hellweg hat sich unglaublich für das Recht der Bewohner engagiert. Ich habe selten einen Planer mit einem solchen Einsatz erlebt: Er steckte endlose Stunden in Verhandlungen und Gespräche – wenn jeder gegen das Projekt ist: die Bewohner, die Hamburger, die nie da waren, die Politiker … Von außen ist es leicht zu sagen: Ah, das ist Gentrifizierung. Ideologie macht es einfach zu sagen: Es war vielleicht ein vergifteter Müllhaufen, aber wenigstens war er nicht gentrifiziert. Eine solche Position ist faul, sie ist zu einfach. Wer meine Bücher liest, weiß, dass ich Vereinfachungen nicht mag. Die massive Gentrifizierung, die man heute in der Welt sieht, ist einfach: Da werden die Bewohner, die Bauern oder andere Betroffene einfach rausgeworfen. So war die IBA nicht.
Einige Vorhaben konnten Sie am Ende nicht durchsetzen.
Es gab ein bestimmtes Gebiet, in dem es uns erlaubt war, unsere Projekte zu machen. Wir wollten zum Beispiel mehr Parks machen, aber die Leute von der Gartenschau haben es uns nicht erlaubt. Und der Hafen ist sehr mächtig, es gibt eine starke Bewegung in der Stadt, die sagt, dass der Hafen viele Flächen mit Containern besetzen soll. Auch hatten wir in Hamburg mit einem Regierungswechsel zu tun und mit einer Wirtschaftskrise, die uns gebremst hat. Die Politiker glaubten am Anfang nicht an die IBA, aber dann haben sie gesehen, dass wir einiges auf die Beine gestellt haben. Es war eine Herkules-Aufgabe: wenig Geld, politischer Widerstand und jener der Bewohner, jahrelange Verhandlungen. Das hat Zeit gekostet und am Ende musste die Insel ein bisschen dafür bezahlen: Weniger war getan, als hätte getan werden können. Aber das meiste haben wir geschafft.
Inzwischen sind die steigenden Mieten in Wilhelmsburg ein großes Thema. Ist nicht genau das eingetreten, was die Kritiker befürchtet haben?
Ein Punkt sind die Experimental-Häuser der IBA: Ich weiß nicht, ob viele der alten Bewohner bereit wären, in das Wasser- oder das Algenhaus einzuziehen. Aber warum? Muss es Gentrifizierung sein, wenn man ein kleines experimentelles Haus hat, das die Biosphäre nutzt? Auch dass die Stadtentwicklungsbehörde (BSU) nun nach Wilhelmsburg zieht, kann gentrifizieren. Aber es bringt auch Jobs in den Stadtteil – und eine Mischung von Menschen und Arbeitskulturen.
Die viel beschworene „soziale Mischung“ also. Ist die Idee, dass Leute mit Geld es schon richten werden, nicht allmählich überholt?
Ich bin mir nicht sicher, wer gesagt hat, Leute mit Geld sollen es richten. Ich habe es nicht gesagt und ich habe es nie von Leuten der IBA gehört. Lassen Sie uns wieder zur Realität kommen: Ich sehe an den Statistiken, dass viele der Angestellten der BSU keine Gentrifizierer sind. Die haben bescheidene Einkommen. Auch das Putzpersonal, die Restaurant-Angestellten, die Elektriker und alle anderen, die mit den neuen Gebäuden kommen, haben bescheidene Einkommen. Viele von denen wollen nicht unbedingt auf der Elbinsel wohnen.
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