Jobcenter mit neuem Programm: Miniförderung für Langzeitarbeitslose
Die Bundesagentur für Arbeit will ein neues Projekt für Arbeitslose auflegen. Davon können in den nächsten drei Jahren aber nur 40 Personen profitieren.
BERLIN taz | Es klang nach einem großen Wurf. Anfang Mai verkündete Heinrich Alt, Mitglied im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA), man wolle Langzeitarbeitslose durch die direkte Vermittlung in Betriebe wieder in Arbeit bringen. Bis zu 50.000 Personen kämen dafür in Frage.
Doch das Vorhaben fällt viel bescheidener aus: Maximal 40 Personen sollen in den nächsten drei Jahren erst mal in einer Testphase das Programm „Perspektiven in Betrieben“ durchlaufen. So die Antwort der Bundesregierung auf eine Nachfrage der Grünen, die der taz vorliegt. Das sei ein „homöopathisches Angebot“ und „der Problemlage nicht angemessen“, sagte Brigitte Pothmer, Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik der Grünen-Fraktion.
Es wäre nicht das erste Programm, das Arbeitslose, die ununterbrochen länger als ein Jahr ohne Stelle sind, in den Fokus nimmt. Doch die Bürgerarbeit, die zurechtgestutzten 1-Euro-Jobs oder der mittlerweile ausgelaufene Kommunalkombi setzen nicht darauf, Menschen in reguläre Stellen zu bringen. Vielmehr wurden öffentlich geförderte und marktferne Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen. Arbeitslose pflegen Grünanlagen oder lesen in Altenheimen vor.
Diesen Versuchen, schwer vermittelbaren Menschen eine „dauerhafte Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen“, sei jedoch „kein durchschlagender Erfolg beschert gewesen“, schreibt die BA in einem Papier vom März, in dem sie das neue Projekt vorstellt. Sie hält öffentlich geförderte Beschäftigung zwar für wichtig, aber nicht für ausbauwürdig, will lieber „neue, konkrete Perspektiven in Betrieben“ schaffen, statt Arbeitslose „in geschlossenen Betreuungsräumen abzuschirmen“.
Die Stellen sollen in Unternehmen entstehen, die bereit seien, „gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen“, so die BA. Die Arbeitslosen kämen für „einfache“, „niederschwellige Arbeiten“ in Betracht, sollten sozialversicherungspflichtig angestellt, ortsüblich oder nach Tarif entlohnt und gut betreut werden. Im Gegenzug könnte die BA bis zu 75 Prozent des Gehalts bezahlen. Sie hat für das Projekt vor allem über 35-Jährige im Blick, die seit zwei Jahren arbeitslos sind, keinen Berufsabschluss, aber gesundheitliche Einschränkungen oder negative Integrationsprognosen hätten. Getestet werden soll das Ganze in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz sowie dem Saarland.
Streit um sozialen Arbeitsmarkt
„Eine Testphase mit 40 Personen ist ein Witz. Wissenschaftlich kann man da nichts vernünftig evaluieren“, so Pothmer. Zudem gebe es mit dem Beschäftigungszuschuss seit Jahren die Möglichkeit, Löhne für schwer vermittelbare Arbeitslose zu subventionieren. „Was muss da noch getestet werden“, fragt Pothmer.
Die BA erklärte der taz, es sei nicht einfach, Arbeitgeber zu finden und diese intensiv zu begleiten. „Insofern ist die angestrebte Zahl von 20 bis 40 Teilnehmern anspruchsvoll und wird uns wesentliche Erkenntnisse bringen.“
In dem Streit geht es um die Frage, ob öffentlich geförderte Beschäftigung für schwer vermittelbare Arbeitslose ausgebaut werden soll. SPD und Grüne plädieren mit Konzepten für einen sozialen, parallelen Arbeitsmarkt dafür, auch der Paritätische Wohlfahrtsverband hält das für sinnvoll. Statt mit 40 solle ein Programm allerdings mit 50.000 Menschen starten, so Pothmer. Die Grünen veranschlagen dafür rund 210 Millionen Euro pro Jahr. Insgesamt gelten 200.000 Menschen als schwer vermittelbar.
„Es ist sehr fragwürdig, dass die BA in ihrem Papier das Miniprojekt sogar zur ’Alternative zum konventionellen Sozialen Arbeitsmarkt‘ erklärt“, kritisiert Tina Hofmann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. „Wir brauchen aber beides. Auch Menschen, die vielleicht nicht alle Leistungsvorgaben erfüllen, brauchen die Möglichkeit, an einem Arbeitsmarkt teilzunehmen."
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