: Schwert und Schild der Partei
taz-Serie „Die Aktivisten“ (Teil 6): Brigitte Queck reibt sich für ihre Gruppe „Mütter gegen den Krieg“ auf. Frau „Dipl. Staatwissenschaftler“ hält Slobodan Milošević für einen serbischen Patrioten – und gewinnt Stalins Lagern manches Gute ab
von PHILIPP GESSLER
Grausam, die Podiumsdiskussion. Die einführenden Stellungnahmen der Diskutanten dauern jeweils eine halbe Stunde, nach anderthalb Stunden ist immer noch keine Minute lang diskutiert worden. Das Publikum im Gemeindezentrum aber bleibt ruhig – schließlich geht um Ernstes: die Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter. Ein paar Unentwegte aus dem Publikum stellen sich schließlich vor dem Saalmikrofon an, um Fragen zu stellen – eine von ihnen ist Brigitte Queck. Noch ehe sie das Wort ergreift, mahnt sie der Diskussionsleiter auf dem Podium: Er kenne sie ja von anderen Veranstaltungen. Sie solle bitte nur eine Frage stellen, keine längeren Ausführungen machen. Vergeblich. Die schwarzhaarige Dame, gekleidet in einem zurückhaltenden Kostüm, redet mit sanfter Stimme viel. Die Zwangsarbeiter kommen nur am Rande vor. Doch plötzlich ist Leben in der Bude. Aggressiv wird die Stimmung, Zuhörer schreien sich gegenseitig an. Ein dicker Mann mit Glatze wütet vor dem Podium, droht handgreiflich zu werden und kann nur mit Mühe beruhigt werden. Brigitte Queck aber sitzt wieder still auf ihrem Platz. Dann ruft sie in den Saal: In der UdSSR habe es keine Obdachlosen gegeben! Einige lachen. Sie verstehen nicht, was das mit der Diskussion zu tun hat.
Gelassen wie Tullius Destructivus im Goscinny-Heft „Streit um Asterix“ wirkt Brigitte Queck am Ende des Abends. Freundlich gibt sie ihre Visitenkarte: „Brigitte Qneck“, steht dort in roter Schrift auf grünem Grund – ein Druckfehler, wie sich später herausstellt. „Dipl. Staatswissenschaftler/Außenpolitik“, gibt die Visitenkarte als Profession von Frau „Qneck/Queck“ an. Sie sei von der Organisation „Mütter gegen den Krieg, Berlin“, sagt sie, ein Treffen sei kein Problem.
Ein paar Tage später kommt es zustande – der Plattenbau in Potsdam ist so grau, wie ihr Mann ihn beschrieben hat. Brigitte Queck empfängt im winzigen, frisch geputzten Wohnzimmer. Einen tollen Blick gibt es von hier auf die Nikolaikirche Schinkels. Die Mühle von Sanssouci ist zu sehen – Sinnbild des Widerstands eines einfachen Müllers gegen das Herrschaftsgebaren eines preußischen Königs, des „Alten Fritz“. Brigitte Queck hat sich ein schickeres Kostüm angezogen. Während des Gesprächs zupft sie es bald ein dutzendmal zurecht, wenn es über die Knie rutscht. Vor dem Fernseher ist eine Kaffeetafel gedeckt, in den Regalen der Schrankwand stehen ein paar Bücher, Fotos der Enkel und ein wenig Kitsch. „Die erste Ebene hin zum Sozialismus“, sagt sie, „wird wahrscheinlich immer brutal sein.“ Keiner der Herrschenden gebe schließlich freiwillig Macht ab. Die Quarkplunder schmecken köstlich.
Die Lager Stalins dienten seinerzeit auch der Umerziehung des Volkes, erklärt Frau Staatswissenschaftler. Schließlich habe es bis dahin in der Sowjetunion häufig an Arbeitsmoral gemangelt. Stalin müsse vor seiner Zeitepoche gesehen werden. „Die Sowjetbürger haben diesen Staatsmann gewählt. Fast jede Familie hatte Opfer, aber niemand ließ etwas auf Stalin kommen. Es ist viel geschaffen worden in dieser Zeit.“ Über die Millionen Opfer, die der Terror des Sowjetdiktators forderte, verliert Brigitte Queck kein Wort.
Weiß sie nichts darüber? Das ist unwahrscheinlich, denn Brigitte Queck ist eine kluge, gut ausgebildete Frau. In einem sudetendeutschen Dorf wurde sie 1944 geboren – ihr Onkel und Großvater waren Antifaschisten, erklärt sie. Deren Erfahrungen hätten sie einiges gelehrt. Ihre Verwandten hätten sich nicht von der NS-Propaganda über angebliche Gräueltaten gegen Sudetendeutsche vor dem Einmarsch der Deutschen in die Tschechoslowakei infizieren lassen. Auch heute noch gingen viele der staatlichen Desinformation, etwa vor dem Kosovokrieg, auf dem Leim: „Wie unter Hitler wurde im Westen geglaubt, es sei Völkermord.“ Während des „Jugoslawien-Krieges“ sei sie mit anderen „Müttern gegen den Krieg“ nach Belgrad gefahren. Dabei habe sie mit einem Albaner gesprochen, der gesagt habe: „Mir hat keiner was zu Leide getan.“ So war das also.
Der jugoslawische Staatspräsident Slobodan Milošević, fügt Brigitte Queck hinzu, hätte damals „seine Politik anders erklären sollen“. Ihre Gruppe schickte Anfang Juni an den jetzigen Präsidenten Jugoslawiens, Vojislav Koštunica, einen Brief. Darin forderte sie „die sofortige Einstellung von Strafverfahren gegen Slobodan Milošević und alle anderen serbischen Patrioten“. Eine Überführung an das „so genannte Kriegsverbrechertribunal“ in Den Haag stelle „einen Versuch der Nato-Führer dar, die eigenen Verbrechen in Jugoslawien seinem ehemaligen Präsidenten und dem serbischen Volk zuzuschieben“. Brigitte Queck ist auch in einer „Anti-Nato-Gruppe“.
Ihre Familie wurde nach dem Krieg aus dem Sudetenland vertrieben – das Wort nutzt Brigitte Queck nicht. Im thüringischen Schmölln wuchs sie auf, studierte Geschichte und Russisch und erhielt danach die Möglichkeit, in Potsdam an der SED-nahen „Akademie für Staat und Recht“ vier Jahre „Außenpolitik“ zu studieren. Dort arbeitete sie auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin bis zur Wende. Ins Ausland wurde sie nicht geschickt – „damit hat man sich abgefunden“, sagt sie mit dünnen Lippen.
Als die Mauer fiel, fand das SED-Mitglied Arbeit in einer Konversionsabteilung der Potsdamer Staatskanzlei. Als „staatsnah“ eingestuft, verlor sie ihre Anstellung: „Es war Siegerjustiz, nichts anderes.“ In einer Metallschrottfirma konnte sie danach arbeiten – doch seit das Unternehmen vor zwei Jahren Pleite gemacht hat, ist sie arbeitslos. Mehr Zeit hat sie deshalb nicht. Ihr Engagement für die „Mütter“-Vereinigung hält sie permanent auf Trab: Oft komme sie spät nachts heim, sagt ihr Mann, ein frühpensionierter Offizier des DDR-Zolls. Das Schlafzimmer der Plattenbau-Einheitswohnung ist zugleich ihr Büro.
Brigitte Queck sehnt sich zurück. „Unser System hatte Mängel“, sagt sie über die DDR, „aber es ist das bessere gewesen.“ Während der Wende hätte man es so machen müssen wie damals 1953 in Schmölln: Ein Panzer sei aufgefahren, er habe nicht geschossen, aber die Leute seien nach Hause gegangen: „Man hätte 1989 deutlich machen müssen: Hier ist unser Staat.“ Immerhin: „Die Marine wollte sich nicht ergeben. Sie wollte ihrem Fahneneid treu bleiben.“ Als der PDS-Star Gregor Gysi sich damals „abfällig über das Ministerium für Staatssicherheit geäußert hat“, fand sie das „schockierend“: Schließlich sei es doch „Schwert und Schild“ der Partei genannt worden. „Man darf nicht auf das spucken oder herabsetzen, was unser Leben war“, sagt Brigitte Queck noch. Frau Staatswissenschaftler hat nichts verstanden.
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