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NachspielSchluss mit lustig

Farbbeutel auf Jobcenter, Steine auf die SPD-Geschäftsstelle: In der Nacht zu Freitag setzt die autonome Szene mit einer Anschlagsreihe den 1. Mai fort. Die friedliche 18-Uhr-Demo sieht sie im Nachhinein kritisch.

Die Zentrale der Berliner SPD in Wedding Bild: DPA

Die autonome Szene verlängert den 1. Mai: Nach dem Brandanschlag an der Bahnstrecke zwischen Berlin und Potsdam in der Nacht zu Donnerstag wurden nun die Geschäftsstelle der SPD und sieben Jobcenter mit Steinen und Farbbeuteln beworfen.

Allein an der Arbeitsagentur in der Schöneberger Alarichstraße gingen in der Nacht zu Freitag 80 Scheiben zu Bruch. In Steglitz, Johannisthal, Lichtenberg, Pankow, Charlottenburg und Reinickendorf wurden Steine und mit Farbe gefüllte Gläser auf die Jobcenter geworfen und Schriftzüge wie „Klasse gegen Klasse“ hinterlassen. In Pankow zündeten Unbekannte eine Fußmatte an, die eine Tür leicht beschädigte. In der SPD-Landesgeschäftsstelle in Wedding wurden Scheiben eingeworfen, an die Fassade wurde Farbe gesprüht. Am Landgericht in Mitte sprayte man „Zwangsräumung tötet“ an die Fassade.

Zeugen sahen laut Polizei vermummte Täter: Mal seien es zwei gewesen, mal vier, einige mit Fahrrad. In Charlottenburg gelang es Sicherheitsleuten, eine 24-Jährige festzuhalten, während ihre beiden Begleiter flüchteten. Die Frau hatte laut Polizei zuvor einen Stoffbeutel mit Pflastersteinen weggeworfen.

In einem im Internet veröffentlichten Bekennerschreiben heißt es, man habe die Jobcenter als „zentrale Institutionen zur Durchsetzung des Zwanges zur Arbeit“ angegriffen. Auch seien sie verantwortlich für Zwangsräumungen, da sie nicht für alle Hartz-IV-Empfänger die Mietkosten übernähmen. Die SPD wird nicht erwähnt. In der Szene ist sie aber als Hartz-IV-Erdenkerin unbeliebt. SPD-Fraktionschef Raed Saleh verurteilte die Attacken „aufs Schärfste“: „Wer sozialen Zusammenhalt will, muss Gewalt ablehnen.“ Auch die CDU sprach von „feigen Rechtsbrüchen“, die Grünen sprachen von „Zerstörungswut“.

Bereits im Vorfeld des 1. Mai hatten autonome Gruppen aufgerufen, den Tag „unberechenbarer“ zu gestalten. Dem scheinen die Anschläge zu folgen. Bereits nach den 1.-Mai-Demos wurden in Neukölln Fensterscheiben einer H&M-Filiale und der Santanderbank eingeschlagen, in Mitte wurde die Fassade des Springer-Hauses mit schwarzer Farbe beschmiert. Auch der Brandanschlag auf eine Kabelbrücke an der Bahnstrecke nach Potsdam wurde in einem Bekennerschreiben als „Alternative zur Ritualisierung der Maifestspiele“ bezeichnet.

Kritik übte einige Autonome auch am Verlauf der abendlichen „Revolutionären 1. Mai“-Demo, der friedlichsten seit Langem. Die Polizei notierte 94 Festnahmen am 1. Mai und in der Walpurgisnacht – so wenige wie lange nicht. Nur zwei sitzen derzeit ein, auch das ein Tiefstand.

Im linken Internetforum Indymedia wurde der Demoverlauf als „verwunderlich“ bezeichnet. Entgegen allen Annahmen hatte der Aufzug sein Ziel Unter den Linden erreicht. Der erwartete „Bullenangriff in Mitte“ sei ausgeblieben, heißt es erstaunt. Tatsächlich hielt sich die Polizei auch nach Steinwürfen in der Heinrich-Heine-Straße zurück, zog aber ein langes Beamtenspalier um die Demo. Ab da, wird auf Indymedia geklagt, befand man sich in einem „riesigen, mobilen Kessel“ ohne „Ausweichmöglichkeiten“. „Ob und unter welchen Bedingungen die Demo ihr Ziel erreicht, entschieden ausschließlich die Bullen.“

Auch die Demo-Organisatoren müssen einstecken. Den Aufzug ins „menschenleere“ Mitte zu führen sei falsch gewesen, die Demo zu „reformistisch“. Statt mit der Polizei zu verhandeln, sollte auf eine Anmeldung verzichtet werden. Andere kritisieren dagegen den Wunsch nach „sinnloser Selbstzweckmilitanz“.

Demo-Mitorganisator Marco Lorenz verteidigte das Konzept. Die Beteiligung von „bis zu 20.000 Menschen“ sei ein „riesiger Erfolg“. Die Demo habe die „grundsätzlichen Fragen gestellt“. Über die Route aber könne man diskutieren.

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17 Kommentare

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  • K
    Klaus

    Raed Saleh SPD: „Wer sozialen Zusammenhalt will, muss Gewalt ablehnen“.

    Wer hat noch gleich Hartz IV eingeführt? :D Die SPD....

  • H
    Hans

    @lanaa:

    Äpfel mit Birnen. Sehr arm.

     

    @FrakturStattFakten:

    Ich finde es immer schön, dass Sie uns an Ihrer Meinung teilhaben lassen.

     

    Meinungen sind wie..., jeder hat eins. ^_^

  • R
    Romina

    Ich habe der Tempelhofer Alarichstraße gestern einen Besuch abgestattet, aus Neugierde, oder um still einer heimlichen Schadenfreude frönen zu können, wer weiß. Nur: Von den angeblich 80 zerstörten Fensterscheiben habe ich am Jobcenter und der Arbeitsagentur keine einzige entdeckt. Auch auffällig neu eingebaute Scheiben konnte ich nicht finden. Vielleicht geht dem ja nochmal jemand aus der Redaktion mit Telefonanrufen nach?

  • D
    Detlev

    Die ganze Aktion war Mist und die Leute, die das gemacht haben, sind mit großer Wahrscheinlichkeit keine Bezieher von Hartz-IV. Die wirksamsten Waffen sind die Urne und die Gerichte.

     

    Politiker lernen nur über Schmerzen und die gibt's nur durch Machtverlust oder öffentliche Erniedrigung. Mit ein paar Bömbchen macht man das Hartz-System nicht besser oder schafft es ab, sondern man legt ein paar Idioten im Innenministerium einen Blumenstrauß hin, denn die können dann die alte Leier, wie lassen uns von Chaoten nicht erpressen, runterspielen und Hass auf Arbeitslose schürren. Am Ende erreicht man das Gegenteil von dem, was man eigentlich wollte.

     

    Wenn schon Aktion, dann lieber in einer Spontanaktion bzw. über List und Humor. Am wichtigsten aber ist, dass man den Bezieherinnen hilft, vor allem bei der Klage, denn nur über diesen Weg ändert sich das Jobcenter ein wenig. Die Zahlen belegen auch, dass Unrecht ein Markenzeichen der Jobcenter sind.

  • L
    lanaa

    @DPA Terrorist Language:

     

    "Farbbeutel und Steine sind keine Anschläge."

     

    Dann hätten Sie also kein Problem damit, wenn Nazis Ausländer mit Steinen bewerfen und Asylbewerberheime mit Farbbeuteln "verschönern?".

  • KG
    Karl Gernholz

    Echoes (Pink Floyd)

     

    Raed Saleh SPD: „Wer sozialen Zusammenhalt will, muss Gewalt ablehnen“.

     

    Wer das Zerstörungswerk Agenda 2010 installiert hat, hat den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft bis ins Mark zerstört. Herr Saleh sollte besser schweigen.

     

    Das Betrugssystem Agenda 2010, installiert von Schröder und Fischer, also Rot – Grün, den asozialsten Parteien in Deutschland, in Zusammenarbeit mit der FDP und dem Graf- Lambsdorf Papier von 1982, dass die Blaupause für Ausbeutung und Unterdrückung war, sprich Hartz 1- 4 und dem verurteilten Wirtschaftsvertreter Peter Hartz, führte zu einer elendigen Verarmung von ca. 12 Millionen Menschen, die mittelbar oder unmittelbar von dem Zerstörungswerk betroffen sind.

     

    Der Politologe, Soziologe und Mathematiker Johan Galtung erklärt: „Breitet sich die Armut in einem reichen Land aus, wird ein Großteil der Bevölkerung marginalisiert, die Menschenwürde gleich massenhaft verletzt und den Betroffenen strukturelle Gewalt angetan“.

     

    39.481 Menschen haben sich in den Jahren 2007 -2010 das Leben genommen. Laut Suizidbericht und der 4- Jahresstudie besteht ein direkter Zusammenhang mit den Hartz Gesetzen. Mindestens drei Betroffene H4 Empfänger wurden erschossen und 4.500 weitere wurden in psychiatrische Anstalten eingeliefert, da sie sich den vielen kleinen Diktatoren in den Jobcentern nicht unterwerfen wollten. Die Wahrheit wird von den Sozialrassisten der Einheitspartei zugekleistert. Die Deformierung einer Gesellschaft, wird einfach weg gelogen. Man wäscht sich die Hände in Unschuld.

     

    Die CDU spricht von Rechtsbrüchen und die Grünen von Zerstörungswut. Den Rechtsstaat haben Selbige in Ihrer Zerstörungswut in ein neoliberales Eldorado für Betrüger, Ausbeuter und Unterdrücker verwandelt. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Volkszertreter keinerlei Argumente seriöser Wissenschaftler und den Betroffenen wahrnehmen wollen. Es gibt keinen einzigen Grund, die neoliberale kranke Ideologie fortzusetzen. Die „Argumente“ seitens der Politik und Wirtschaft, sind dummes Zeug und dienen einzig und alleine dazu, das Geld von den Fleißigen unten zu den Faulen nach oben zu verteilen.

     

    Schröder, Fischer u.a. Konsorten, gehören vor den europäischen Gerichtshof, wegen Amtsmissbrauch, Volksbetrug, Verletzung der Menschenwürde und der Grundrechte. Letztendlich gehören die Bürgerrechte aberkannt.

  • S5
    Stadtplan 5-

    Alarich Strasse ist nicht Schöneberg, sondern Tempeldoof.

  • DT
    DPA Terrorist Language

    Farbbeutel und Steine sind keine Anschläge.

  • H
    hans

    Dass SPD und nicht CDU/FDP Büros beworfen wurden, lässt Zweifel an der Gesinnung aufkommen: handelt es sich um linke Autonome oder hat sich jemand anders maskiert?

  • B
    Bernhard

    Ich hab echt die Schnauze voll von Leuten, die NICHTS leisten, noch nicht einmal politische Ziele definieren, sich aber allein aufgrund ihrer dagenen-Einstellung für etwas besseres halten und sich das Recht herausnehmen, willkürlich andere Menschen zu verletzen und deren sowie Staatseigentum zu zerstören.

     

    Einer der Demoanmelder in der taz wörtlich: "Wir stellen keine Forderungen."

     

    http://www.taz.de/Revolutionaere-1-Mai-Demo-in-Berlin/!115619/

  • M
    menschenfreund

    Das Recht auf Meinungsfreiheit- und demnach auch auf Demonstration ist uns selbstverständlich. Erfreuen wir uns an dieser wichtigen Errungenschaft.

    Wer aber davon ableitet, daß man Hasstiraden abläßt und sich an fremden Eigentum vergreift, hat andere als politische ineteressen - wenn überhaupt.

    Mancher TopHorst und manche GigaElli kühlt sich das Mütchen, denn so eine "Demonstration" ist wie gemacht dafür, mal so richtig "die Sau raus zu lassen".

    Was das allerdings mit "Links" zu tun hat, hat mir bislang noch niemand schlüssig erklären können.

    Solche Leute sind für mich nicht "Links" sie sind schlicht kriminelle.

    Merke: Mein Recht hört dort auf, wo das Recht meines Mitmenschen beginnt. ("Oberlehrer", dennoch wichtig und richtig!)

  • F
    FaktenStattFiktion

    Ich fordere mehr Geld zum Kmpf gegen Links.

  • BU
    Busse und Bahnen

    "Kritik übte einige Autonome auch am Verlauf der abendlichen „Revolutionären 1. Mai“-Demo, der friedlichsten seit Langem."

    Ja schon Mist, liebe revolutionäre Sprengmeisterinnen und Sprengmeister, Farbbeutelwerferinnen und Farbbeutelwerfer.

    Wenig Action und fehlender Wohlklang zerberstender Scheiben dieses Jahr, da musste man unbequemer Weise des nächtens selbst aktiv werden und anschließend sogar noch mühsam Bekennerschreiben in die Tastatur hacken, wo schwierige Wörter wie "Profitmaximierung", "gesellschaftliche Basisstrukturen" oder "aufständische Indigene" vorkommen.

    Allerdings ist mir das Motiv des Farbbeutelanschlags aufs Jobcenter nun doch etwas unklar.

    Kommt doch aus dieser Richtung allmonatlich eure Rundumvollversorgung in Form kontotransferierter Euros angeschwommen.

    Oder hatten böse Sachbearbeiter gar die Dreistigkeit besessen, euch trotz aufopferungsvoller Nachtarbeit gegen die "zerstörerische Normalität des Arbeits- und Ausbeutungsalltages" genau mit dieser Normalität in Form von Arbeitsangeboten zu belästigen?

    Da könnte man eine gewisse angestaute Wut natürlich etwas besser nachvollziehen.

  • L
    Lars

    Muttersöhnchen als Möchtegernrevoluzzer. Was für Vollhonks.

  • NG
    Nicht gut

    "Schluss mit lustig"

    Ich hoffe nicht, dass die TAZ hier Sympathien bekundet...

    Diese Linksextremisten machen einen großen Fehler und ziehen die gemäßigten Linken mit in den Gewaltstrudel hinein.

    Eine Demo vor der Agentur mit Plakaten und Trillerpfeifen hätte für mehr öffentliches Aufsehen gesorgt...

  • R
    Rolle

    Meiner Meinung nach sind Subkulturen - und vor allem solche die jugendlich und politisch sind - in den Medien ja wirklich unterpräsentiert. Ohne Frage wird die Praxis diverser Subkulturen sehr häufig nicht ausreichend berücksichtig, wenn gesamtgesellschaftliche Transformationen analysiert werden.

    Aber: Die Autonomen? Ich meine welche Rolle spielen die eigentlich noch? Klar in Berlin, Hamburg und Leipzig sind sie eine wichtige Subkulur. Aber jede Demodiskussion zu einem politischen Ereignis für die Tageszeitung zu machen - ich denke, diesen Status haben die Autonomen heute nicht mehr.

  • N
    Name

    Man könnte auch noch die Quellen bei Indymedia verlinken:

     

    Veranstalternaher Bericht:

    "Trotz massiver Polizeischikanen und Übergriffen trugen am 1.Mai in Berlin bis 20 000 Menschen ihre Protest gegen Krise, Krieg und Kapitalismus ins „Herz der Bestie“." http://de.indymedia.org/2013/05/344245.shtml

     

    "Militanter" pseudoanarchistischer Flügel:

    "Nach öffentlicher Diskussion autonomer Gruppen um den 1. Mai gab es einen Aufruf zur Teilnahme an der Bündnisdemo um 18 Uhr. In Form eines Blocks sollte das kritische Verhältnis von Libertären zu den Veranstalter_innen und ihrem (Un-)Konzept demonstriert werden. Ebenso sollte [...] eine Form des Widerstandes gelebt werden, der die Unversöhnlichkeit mit den herrschenden Verhältnissen nicht als leere Phrase oder Utopie begreift." http://de.indymedia.org/2013/05/344262.shtml

     

    Herr Litschko hat in einem anderen Artikel schon gezeigt, dass er auf Inhalte der "Revolutionären" gar nicht eingehen will, sondern sie einzig an der nun ausgebliebenen Gewalt fest machen will. Ohne Gewalt, meint er, dürfen die auch ruhig mit dem DGB portestieren: http://www.taz.de/Kommentar-1-Mai/!115559/

     

    Eine Kritik daran:

    "Randale und Krawall wie immer, aber weniger, könnte man denken, wenn man sich auf die sogenannten Leitmedien verlässt. Der Revolutionäre 1. Mai war und bleibt so nötig wie selten zuvor." https://www.freitag.de/autoren/bastian84/revolutionaerer-1-mai-in-berlin-und-die-medien