: Palästinenser vermissen Solidarität
Rund 200.000 Palästinenser leben in Deutschland. Von der Nahost-Politik des grünen Außenministers Joschka Fischer sind viele besonders enttäuscht. Deutschland solle sich stärker für die palästinensischen Interessen engagieren
von YASSIN MUSHARBASH
Manchmal wäre Ahmad Abu Ergaila gerne „ein blonder Bayer“. Das ist er aber nicht. Er ist Palästinenser. Und so muss er damit leben, dass er gelegentlich angeschaut wird, als sei er ein „potenzieller Selbstmordattentäter“. Der 30-jährige Abu Ergaila stammt aus Gaza-City und lebt seit fast zehn Jahren in Münster. An der Universität promoviert er über die Nahost-Politik der EU. Deshalb wird er den Besuch des grünen Außenministers Joschka Fischer in der Region aufmerksam verfolgen.
„Wenn ich jetzt in Palästina wäre, würde ich Bäume pflanzen und gegen die israelische Besatzung demonstrieren“, sagt Abu Ergaila. Joschka Fischer wird indessen nichts dergleichen tun, sondern nur wohlüberlegte und ausgewogene Statements verlesen. Diese gewollte Unentschiedenheit der deutschen Außenpolitik gegenüber den Konfliktparteien wurmt Abu Ergaila. „Die Deutschen sollten nicht alles nur unter dem Blickwinkel ihrer besonderen Geschichte betrachten“, findet er. „Das erwarten ja nicht einmal die Israelis.“
Abu Ergaila ist einer von etwa 200.000 Palästinensern in Deutschland. Viele von ihnen kamen als Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon oder Jordanien hierher. Andere wie Abu Ergaila kamen direkt aus der Westbank oder dem Gaza-Streifen, um in der Bundesrepublik zu studieren. Trotz ihrer unterschiedlichen Lebensgeschichten ist ihnen eine Erfahrung gemeinsam: „Deutschland ist ein schwieriges Land für Palästinenser.“
Abu Ergaila etwa engagiert sich in einem Verein, der die Städtepartnerschaft zwischen Münster und der palästinensischen Universitätsstadt Bir Zeit unterstützt. Zu den regelmäßigen Veranstaltungen über den Nahost-Konflikt kämen immer viele Interessierte. „Es schmerzt“, sagt Abu Ergaila, wenn es für den geplanten Besuch des Bürgermeisters von Bir Zeit keine öffentlichen Zuschüsse gebe, deutsch-israelische Projekte aber unterstützt würden.
Viele Palästinenser in Deutschland finden, dass sie unverschuldet zwischen allen Stühlen sitzen. Ihrer Ansicht nach erklären die oft beschworenen „besonderen Beziehungen Deutschlands zu Israel“ die vermisste Unterstützung für ihre Sache.
Muhammad Zaher Tirawi von der „Palästinensischen Gemeinde Berlin“ fordert daher, dass „die deutsche Regierung endlich einen mutigen Schritt nach vorne tut und sagt: Israel, hör mit deiner militärischen Aggression gegen die Palästinenser auf!“. Sein Verein hat rund 30.000 Mitglieder. Die Stimmung in der palästinensischen Community, sagt Tirawi, ist mies. „Für uns ist seit Ausbruch der Al-Aksa-Intifada jeder Tag eine Trauertag. Wir vermissen die Solidarität der Deutschen.“ Für Tirawi liegt der schwarze Peter allein bei den Deutschen und der Israel-Lobby: „Wir haben wenig Einfluss auf die öffentliche Meinung. Zu unseren Kundgebungen kommt ja nicht einmal die Presse. Jüdische Organisationen haben viel mehr Medienmacht.“
Haroun Sweis, Redakteur des arabischen Programms bei Radio Multikulti in Berlin, findet hingegen, dass die Palästinenser sich auch an die eigene Nase fassen müssen. „Wir müssen auch zeigen, dass wir Solidarität brauchen. Wir haben zu wenig Kontakte zu deutschen Verbänden und Parteien.“
Einig sind sich beide in ihrer Kritik an Paul Spiegel, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden. Dieser hatte die Bundesregierung aufgefordert, sich „an die Seite Israels“ zu stellen. Spiegel habe sich zu Wort gemeldet, als „sei er ein Israeli“, sagt Tirawi. „Das ist nicht in Ordnung.“
Von einem anderen Prominenten haben die Palästinenser in Deutschland freilich mehr erwartet. Ahmed H., der seit vielen Jahren in Berlin lebt und zahlreiche israelische Freunde hat, ist von Außenminister Joschka Fischer besonders enttäuscht. Der 42-Jährige ist „wütend“, weil die EU und Deutschland bloß Däumchen drehten, anstatt beide Seiten zum Frieden zu zwingen.
Von der grünen Außenpolitik sei nichts mehr übrig geblieben. „Ich würde keinem Palästinenser mit deutschem Pass empfehlen, die Grünen zu wählen.“ Ahmed H. wünscht sich deshalb, dass Fischer bei seinem Nahost-Besuch vor allem eines erklärt: „seinen Rücktritt“.
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