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Das Knusper-Kulturerbe

■ Der Bremer Zwieback gehört auf die Rote Liste der vom Aussterben bedrohten Brotarten. Großbäckereien scheuen die Mühen, den kleineren sterben die Kunden weg

Das Weltkulturerbe der UNESCO ist ja – wie man hört – mit alten Steinen in Europa übersättigt. Angeblich stehen deshalb die Aufnahme-Chancen für das Bremer Rathaus höchstens mäßig. Aber es gibt einen anderen Kandidaten aus der Hansestadt, einen wirklich würdigen Vertreter hanseatischer Lebensart: den Bremer Zwieback. Die Kriterien für eine Aufnahme erfüllt das krosse Gebäck spielend: „Authentisch“ müssen die Anwärter auf den Schutz der Weltgemeinschaft sein – das ist der Bremer Zwieback in jedem Fall. Es gibt ihn nämlich nur in Bremen, und zwar seit mindestens hundert Jahren.

Und der Verlust muss unersetzbar für die Menschheit sein – klar, hat doch der Bremer Zwieback mit seinen Namensvettern nicht viel gemein.

Und – anders als beim Rathaus – droht der Verlust des Zwiebacks tatsächlich in absehbarer Zukunft. Macht nichts, könnte man jetzt einwenden, wenn die Menschheit den Bremer Zwieback so dringend bräuchte, könnte man ja ein Rezept aufbewahren und ihn bei Bedarf nachbacken. Dann wäre es aber mit dem UNESCO-Schutz endgültig Essig, weil zur Authentizität auch Kontinuität gehört. Ein nachgebackener Zwieback wäre also ebenso chancenlos wie ein wiederaufgebautes Rathaus. Deshalb, sollte die UNESCO-Anmeldung scheitern, gehört das Backwerk von der Weser wenigstens dringend auf die Rote Liste der vom Aussterben bedrohten Arten. Auch eine Ernennung zum „Gebäck des Jahres“ könnte nicht schaden oder ein internationaler Tag des Bremer Zwiebacks.

Aus der Bremer Innenstadt ist der Klassiker längst verschwunden. In den ansässigen Bäckereien erinnert man sich kaum noch an das urige Ding, dessen Form an Beton-Pflas-tersteine für Garageneinfahrten denken lässt. Die Bäckereiverkäuferinnen, die es einst über den Tresen schoben, scheinen längst in Rente gegangen zu sein.

Ein marginalisiertes Knusperstück, das immer seltener verlangt wird. „Vor allem für alte Damen“ röstet der Waller Bäcker Berhard Schroeder die dicken Sechsecke, aber nur noch etwa zehn Stück am Tag. Manchmal verkauft er nur noch einen oder zwei. Für die stadtweite Zwieback-Krise weiß er einen weiteren Grund: Es ist viel Arbeit. Arbeit, die sich eigentlich nur noch Kleinbetriebe machen: Die Teigklumpen werden per Hand auf dem Blech drapiert, jeder mit dem Daumen eingedrückt. Während der dreistündigen Backzeit wachsen sie zu einem Stück zusammen, müssen nachher wieder auseinander gerissen werden. Erst nach einigen Tagen Lagerzeit schneidet Schröder die einzelnen Sechsecke mit einem extra scharfen Messer auf und röstet sie von beiden Seiten. Nichts für die Großbäckereien. „Die sind doch ständig hinterher, die Backzeiten zu verkürzen“, sagt Schroeder ein wenig abschätzig.

Der Rückzug des Bremer Zwiebacks ist also auch nichts anderes als ein Spiegel des Bäckereiensterbens. Allein in der Neustadt haben in den vergangenen Monaten zwei Zwieback-Bäckereien geschlossen.

Einen Kompromiss versucht die Wiener Feinbäckerei, die in ihren neun Verkaufsstellen täglich rund 30 Zwiebäcke aus einer einzigen Backstube absetzt. „Wir backen sie mittlerweile einzeln auf dem Blech“, sagt Inhaber Wolfgang Ripke. Damit entfällt das mühsame Drapieren, aber auch die charakter-istischen sechs Ecken gehen verloren. „Aber die Hauptsache ist, dass sie innen weich und außen rösch sind“, findet Ripke. „Rösch“ ist das Fachwort für „rustikal“, erklärt er noch. Anspruch aufs Weltkulturerbe hätte er damit wohl nicht. Denn zu einem Bremer Zwieback gehören nun mal die Ecken. Auch mit vier Ecken ist es schon „nicht richtig“, sagt Kollege Schroeder aus Walle, der den Zwieback schon seit 1947 und in zweiter Generation macht. Der Mann kennt noch weitere Bremer Back-Spezialitäten: Auch süßes Kürbisbrot, Kaneelbrötchen und Loosbrötchen gebe es nur hier, das mit Butter und Zimt bestrichene Kaffeebrot sei längst dahingeschieden. Wenn es dem Zwieback ebenso ergeht, stirbt noch eine Bremer Spezialität mit: Das „Bremer Brot“, ein Doppeldecker aus Schwarzbrot und Bremer Zwieback, den man früher mit auf die Arbeit nahm. Und das Ende scheint nah: „Neulich, als nebenan die Oma starb“, erinnert sich Schroeder, „wusste ich: wieder zwei weniger backen.“

Jan Kahlcke

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