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Die Krankheit Krieg

In Samira Makhmalbafs „Schwarze Tafeln“ scheitert jede Kommunikation an den Folgen des Irak-Iran-Konfliktes

Reeboir nennt man den, der redet, der auf Reisen ist. Der Name kommt in „Schwarze Tafeln“, dem zweiten Film der 21-jährigen iranischen Regisseurin Samira Makhmalbaf, doppelt vor. Ein Lehrer, der zu Beginn mit einem halben Dutzend Kollegen auf der Suche nach Arbeit durch die Berge irrt, heißt so. Und auch der Junge, dessen Schmugglerbande er sich auf seiner Odyssee im Grenzgebiet zwischen Iran und Irak anschließt, trägt den gleichen Namen. Nur schreiben kann er ihn nicht, und als er nach mühevollen Übungen zumindest das eine Wort gelernt hat, wird er von einer Gewehrsalve getötet. Der Lehrer bleibt allein zurück, der eigene Name als krakelige Zeichen auf der Schultafel. Sein Unterricht ist an der Gewalt gescheitert, die nach dem Krieg in den 80er-Jahren noch immer die Beziehungen zwischen den Ländern bestimmt.

Die Reisen, die Makhmalbaf zeigt, enden abrupt. In einer Parallelbewegung zu den beiden Reeboirs, deren Geschichte an Bahman Ghodabis Film „Die Zeit der trunkenen Pferde“ erinnert, zieht auch Said mit einer Tafel auf dem Rücken ziellos umher, bis er auf eine kurdische Gemeinde trifft. Es sind Greise, die aus Halabcheh vertrieben wurden und nun in den Irak zurückkehren wollen, damit sie nicht im fremden Nachbarland sterben müssen. Doch die Grenze ist vermint, militärisches Sperrgebiet. Als sich plötzlich Nebel bildet, kriecht die Gruppe den Rest des Weges auf dem Bauch voran, weil sie einen Giftgasangriff befürchtet. Makhmalbaf hat die Szenen mit Laien gedreht, denen das Geschehen womöglich wohl vertraut ist: Tatsächlich wurden vom Irak chemische Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Bergregion eingesetzt.

Mehr erfährt man über die Hintergründe der Völkervertreibung nicht. Die Tochter von „Kandahar“-Regisseur Mohsen Makhmalbaf wollte keinen Kommentar auf die konkrete politische Situation, sondern bilderreich vom Leid der Opfer erzählen. Dafür benutzt sie schlichte, manchmal surreale, aber stets einprägsame Symbole: Krähen kreisen statt Helikoptern am Himmel; ein traumatisierter Kurde hat Probleme mit der Blase, sein kaum vierjähriger Enkel ebenso. Die menschliche Natur versagt als Folge des Krieges, das Elend geht von einer Generation auf die nächste über.

Zugleich setzt Makhmalbaf gegen die Isolation des Einzelnen auf den versöhnenden Dialog. Das wirkt dann seltsam naiv und anrührend wie in einem Märchen von Pasolini: So liest Said einem Bauern vor, was ihm dessen Sohn aus der irakischen Kriegsgefangenschaft geschrieben hat. Um dem Alten eine Freude zu bereiten, erfindet er lauter gute Nachrichten. Als Said sich schließlich mit einer jungen Witwe, der einzigen Frau unter den Flüchtlingen, verheiraten lässt, geschieht dies auch, um ihr ein wenig Unterricht im Schreiben zu geben. Sie aber hat nur das Überleben ihres Sohnes im Sinn: Zärtlich sprenkelt die Mutter Wasser über seine Beine, damit der Kleine endlich pinkeln kann.

Doch der Versuch misslingt, und auch die glücklose Ehe wird geschieden, als die Gruppe den letzten Bergpass zum Irak erreicht hat. Die Frau darf Saids Tafel behalten, auf der nun der Satz geschrieben steht, den er ihr so gerne beigebracht hätte – „Ich liebe dich“. Das mag nach Verzweiflung klingen, ist aber mehr ein Gleichnis: In einem Land, in dem die Menschen kaum mehr miteinander reden, versagt selbst die Schrift. Und mit der Schrift verschwindet auch die letzte Gemeinsamkeit, auf die sich die unterschiedlichen Ethnien berufen könnten. Makhmalbafs Warnung zielt auf dieses Ende der Kommunikation ab: das Ergebnis eines Krieges, der geführt wurde, als sie noch ein Kind war. Jetzt ist sie erwachsen, sucht nach Erklärungen und stellt Fragen. Offenbar hat sie, so sieht es in „Schwarze Tafeln“ aus, keine Antworten bekommen.

HARALD FRICKE

„Schwarze Tafeln“. Regie: Samira Makhmalbaf. Iran 2000, 82 Min.

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