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Trauer an Bistro-Tischen

Fassbinder hat seine Filme gemocht, weil sie den Zustand von Beziehungen haargenau herausdestillieren: Es geht nicht mehr – und auch nicht ohne. Das Arsenal widmet dem französischen Regisseur Maurice Pialat eine Retrospektive

Ohne es zu wollen, fühlt man sich in diesen Filmen heimisch. So irritiert man auch auf die exzessiven Auseinandersetzungen und das haltlose Sich-gehen-Lassen reagiert, irgendwie ist das einem alles auch verdammt vertraut. Familien- und Beziehungsfilme hat Maurice Pialat gedreht, die ohnehin fragilen Bande in eine völlig überdehnte Spannung gebracht und sich wie kaum ein anderer auf den Rohzustand der Gefühle eingelassen. Seine Filme sind der Versuch Empfindungen in dem Moment zu erwischen, in dem sie völlig losgelöst von Raum und Zeit für sich stehen. Und diesem Grad der Abstraktheit kann man sich bei Pialat nur schwer entziehen.

In vielen seiner Filme ist es Gérard Depardieu, der die verzweifelte Unzulänglichkeit der Gefühle fast schon physisch darstellt. In dem 1995 entstandenen „Le Garçu“ erschlägt sein massiver Körper allein schon durch bloße Präsenz die Ehefrau. Mit einem zunehmend aggressiver werdenden Patschen versucht er im Bett, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, und zielt doch daneben. Ihre sich dem Ende zuneigende Liebe kommt hingegen in einer extrem stilisierten Tanzszene zum Ausdruck.

Auffallend schöne Frauen (Pialat hat tatsächlich Mannequins für diese Einstellung gecastet) beginnen sich bei einer Feier wie auf Kommando aufreizend zu bewegen, lösen so etwas wie einen Schlüsselreiz unter den anwesenden Männern aus. Depardieus Ehefrau mischt sich unter sie, aber nicht um den Blick ihres Mannes auf sich zu ziehen oder Eifersucht zu wecken. Sie versinkt völlig in sich selbst und entzieht sich ihm so umso mehr.

In diesem Film über einen langen Abschied geht es nicht um Fragen von Schuld und Ursache. Vielmehr beharrt er auf dem Zustand des Es-geht-nicht-mehr. Da das Gefühl der Ohnmacht keine Dramaturgie braucht, besteht der Film auch aus lose zusammengewürfelten Szenen, Momentaufnahmen, Aggregatzuständen. Ohnehin kommen Pialats Filme wie improvisierte Free-Jazz-Stücke daher: Immer wieder greifen sie das Thema auf und variieren es. Auch Momente der Stille lässt der französische Regisseur zu. Irgendwann gehen selbst Depardieu in „Le Garçu“ die Worte aus. Da hängt er eingezwängt von Bistro-Tischen auf einer Bank, während seiner Frau Tränen runterlaufen. Kein Sinnbild der Trauer, sondern einfach Trauer.

Höchstwahrscheinlich ist es dieser herausdestillierte Zustand eines Gefühls, der auch Fassbinder an den Filmen Pialats so faszinierte. In seinem wohl traurigsten Film „In einem Jahr mit dreizehn Monden“ zeigt er einen langen Ausschnitt aus Maurice Pialats „Nous ne vieillerons pas ensemble“ (Wir werden nicht zusammen alt) von 1971. Schon im Titel scheint die Unmöglichkeit einer längerfristigen Beziehung enthalten. So unterschiedlich die Filme von Fassbinder und seinem französischen Kollegen auch sein mögen, beide arbeiten sich an einer dem Subjekt innewohnenden Bindungsunfähigkeit und grundsätzlichen Einsamkeit ab.

Der kleine Protagonist aus Maurice Pialats 68er Spielfilmdebüt „L’enfance nue“ (Nackte Kindheit) könnte letztlich auch Franz Biberkopf heißen. Das Schicksal hält für das Heimkind keinen Platz bereit. Findet der kleine Kerl doch einmal Unterschlupf bei einer Pflegefamilie, setzt er fast unbewusst alles daran, wieder rauszufliegen. In einem völligen paradoxen Zustand gefangen, quält er eine Katze, um sie dann zu pflegen. Für das Schicksal des Jungen bedarf es keiner weiteren Ereignisse, seine Grunddisposition ist schon dramatisch genug. Diese sachliche, fast distanzierte Perspektive hält Pialat auch durch, wenn sich seine Figuren schlagen, quälen, gegenseitig das Leben zur Hölle machen (was sie meistens tun). Es geht nicht darum, den Überblick zu bewahren, vielmehr will hier ein Regisseur den Männern und Frauen seiner Filmen einen Freiraum geben, damit sie die eigene Gefühlswelt bis zu ihren Grenzen erfahren. In ihren großartigen Kreisen um die Instinkte scheinen Pialats Filme irgendwo im Vorbewussten angesiedelt.

So versucht die bourgeoise Isabelle Huppert aus „Loulou“ (1980) in den Armen des Superprols Depardieu die Sehnsucht nach dem Anderen zu stillen. Das viehische Grinsen von Depardieu verweist zwar auf jede Menge Spaß beim Sex. Doch schon wenig später liegt Huppert in den schäbigen Hotels als Inkarnation der Verweigerung mit Brille und Buch im Bett. Auch die blutjunge Sandrine Bonnaire findet in „À nos amours“ (1983) in den Armen ihrer unzähligen Liebhaber nur sich selbst und eine ungeheuerliche Einsamkeit wieder.

„There’s definitely no logic to human behaviour“: In „Le Garçu“ hat sich Pialat mit diesem Vorgriff auf den Björk-Song im Grunde selbst sein schönstes Motto verpasst. ANKE LEWEKE

Die Retrospektive Maurice Pialat findet bis 31. 3. im Arsenal statt. Eröffnung ist 10. 3., 19 Uhr, mit dem Film „L’enfance nue“ in Anwesenheit des Regisseurs.

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