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Das Abschiebeopfer ist auch ein Täter

Ein suizidgefährdeter abgelehnter Asylbewerber wurde aus einer Klinik im Saarland herausgeholt und sollte abgeschoben werden. Der junge Mann war an einer Gruppenvergewaltigung beteiligt

SAARLOUIS taz ■ Die Polizisten kamen am 1. Juli unangemeldet in die psychiatrische Klinik in Merzig. Einsatzfahrzeuge riegelten draußen das Krankenhaus ab. Drinnen suchten die Beamten den zur Abschiebung ausgeschriebenen abgelehnten Asylbewerber M.A.. Als sie ihn fanden, nahmen sie ihn gleich mit: gegen den erklärten Willen der behandelnden Ärzte. A. befand sich in stationärer Behandlung, weil bei dem jungen Kurden eine „hochgradige Selbstmordgefährdung“ diagnostiziert worden war. Ein entsprechendes Attest legten die Ärzte den Polizisten und einem Vertreter des Innenministeriums vor.

Über den Flughafen Frankfurt sollte A. in die Türkei abgeschoben werden. So weit kam es aber nicht. A.s Rechtsanwalt Peter Nobert erwirkte vor dem Verwaltungsgericht in letzter Minute einen Eilantrag auf Aussetzung der Abschiebung – mit dem Attest der Klinik in der Hand. Der Polizei blieb nichts anderes übrig, als A. umgehend zurück in die psychiatrische Klinik zu bringen.

Für den Sprecher der Menschenrechtsorganisation „Aktion Dritte Welt Saar“, Roland Röder, ist M.A. ein „weiteres Opfer der gnadenlosen Abschiebepolitik des angeblich so liberalen Ministerpräsidenten Peter Müller von der Union“. Röder und der auf Asylrecht spezialisierte Rechtsanwalt Nobert warfen Müller und seiner Innenministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) am Mittwoch vor, gerade die kurdische Familie A. „hier systematisch weiter zu verfolgen und zu diffamieren“. Dabei seien diese vor vierzehn Jahren aus der Türkei in das Saarland geflüchtet, um politischer Verfolgung zu entgehen. Nun werde nicht geruht, bis auch noch das letzte Mitglied der Familie das Land verlassen habe.

„M. muss bleiben!“, fordert jetzt die „Aktion Dritte Welt“. Und der vielköpfige „Unterstützerkreis für die Rückkehr der Familie A.“, der in deren Heimatgemeinde Wadern jeden Sonnabend eine Mahnwache abhält, verlangt von der Innenministerin die Anwendung der Härtefallregelung: für das Bleiberecht von Tashin A. und für die Rückkehr der ganzen Familie nach Deutschland.

Die Mehrheit der Familie A., deren zwei Töchter im Saarland das Abitur bestanden haben, war schon Ende 2001 in die Türkei abgeschoben worden. M. wurde nicht mit ausgeflogen, weil die Staatsanwaltschaft wegen einer Straftat gegen den heute 21 Jahre alten Kurden ermittelte und dann auch Anklage erhob. Er sollte sich einem deutschen Gericht stellen.

Für die Landesregierung stellt sich der Fall jedoch anders dar. Mit einer „Flucht in die Psychiatrie“ habe sich A. der anstehenden Gerichtsverhandlung entziehen wollen, hieß es im Innenministerium. Angeklagt ist Tashin A. wegen „sexuellem Missbrauch einer Widerstandsunfähigen“. Zusammen mit weiteren Heranwachsenden vergewaltigte er eine junge Frau. M.A. ist nicht nur Opfer, sondern auch Täter.

Ein geständiger Täter, sagt sein Anwalt Nobert. Und einer, der die Tat bereue. Doch warum sollte ein abgelehnter Asylbewerber und Vergewaltiger nicht in die Türkei abgeschoben werden dürfen? Weil ein Straftäter bestraft gehöre, und nicht in ein Land abgeschoben, das er im Alter von sieben Jahren verlassen habe. Der Junge sei schließlich hier aufgewachsen, wie der eine deutsche Mittäter und die anderen Ausländer auch, die an dem Verbrechen beteiligt waren. Dieses werde von ihm „ganz sicher nicht bagatellisiert“, sagt Anwalt Norbert.

Die anderen Täter wurden inzwischen zu Bewährungsstrafen verurteilt. In Erwartung eines ebenso milden Urteils verzichtete die Staatsanwaltschaft wohl Ende Juni auf ihr Anklagerecht und gab M.A. damit zur Abschiebung frei. Dass sein Mandant vor der Gerichtsverhandlung in die Klinik geflohen sei, hält der Anwalt nicht nur deshalb für „ausgemachten Unsinn“. Die Ärzte hätten auf die stationäre Behandlung der bestehenden Suizidgefährdung „beharrlich gedrängt“. Die Ärzte in Merzig betätigen das.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

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