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Nix Neues aus Uhlenbusch

Vor zwanzig Jahren erzählte das ZDF Fernsehanfängern ein letztes Mal „Neues aus Uhlenbusch“: Nachruf auf einen sozialen Realismus, für den es im heutigen Kinderfernsehen keinen Platz mehr gibt

von CLEMENS NIEDENTHAL

Onkel Heini, jener kindlich retardierte Briefträger aus „Neues aus Uhlenbusch“, das war eine geradezu schwejksche Figur, die sich den Regeln und Gesetzen der Erwachsenenwelt auf gewiefte und manchmal auch traurig-melancholische Weise zu entziehen wusste. Hans-Peter Korff als ein von der Welt entfremdeter Kauz, dem gerade deshalb so tiefe Blicke in die Welt der Kinder gelangen. Ein die Tage verbummelnder Schalk in der steifen Uniform der Bundespost.

Immer sonntags nach dem Mittagessen schilderte „Neues aus Uhlenbusch“ seit 1978 die soziale Realität alltäglicher Unwegsamkeiten. Mit warmem Zungenschlag erzählte die Serie von den Ängsten und Sehnsüchten ihrer kleinen Zuschauer. Von der „Bierlisa“ etwa, die so heißt, weil sie von ihrem Vater immer zum Bier holen in den Dorfkrug geschickt wird. Von Henry, dessen Mutter nachts als Serviererin arbeiten muss. Oder von Werner, der es nicht verstehen kann, warum sein Vater ihn schlägt.

Immer wieder gelang es den kleinen Protagonisten, zarte Schneisen kindlichen Eigensinns in ihre repressive Umwelt zu schlagen. Immer wieder formulierten sie symbolhafte Gesten des Widerstands. Etwa, wenn der kleine Thorsten den Ausgang des Schützenfestes manipuliert, weil er die tradierten, hierarchischen Dorfstrukturen nicht akzeptieren will. Uhlenbusch war kein Wunderland. Aber mit vereinten Kräften und der Hilfe von Onkel Heini konnten es die Kinder für Momente in ein Wunderland verwandeln.

Im oftmals gelungenen Versuch, authentische Kindergefühle abzubilden, glich „Neues aus Uhlenbusch“ einem anderen Aushängeschild des sozialdemokratischen Kinderfernsehens der Siebzigerjahre – der „Rappelkiste“. Wo aber die Enge des Alltags in der urbanen „Rappelkiste“ immer auch ein architektonisches Korrelat fand, wo dunkle Hinterhöfe und zu knapp geratene Arbeiterwohnungen zwangsläufig mit kindlichen Emanzipationsentwürfen kollidierten, war es in Uhlenbusch gerade die topographische Weite der niedersächsischen Provinz, die zur Grundbedingung für ein Gefühl der Enge wurde.

„Neues aus Uhlenbusch“ demaskierte die ländliche Idylle, jene pittoreske Kulisse von Kinderlandverschickungen und Ponyhof-Filmen, ohne ihr andererseits ihren mystischen Zauber zu nehmen. Auch in Uhlenbusch konnte ein Heuschober zur Welt und ein neu geborenes Ferkel zum besten Freund der Kinder werden. Aber die Serie vergaß darüber nicht die soziale Wirklichkeit des Alltagslebens. Schläge der Eltern. Existenzängste der Bauern. Die Scham, in einem dreckigen, abgestoßenen Kleid in die Schule geschickt zu werden.

Dass der kleine Weiler Uhlenbusch indes 1982 von der Landkarte des öffentlich-rechtlichen Fernsehens verschwand, hatte wohl auch etwas mit dem Beginn der Ära Kohl zu tun. All zu dialektisch-nahe Aufnahmen von gesellschaftlichen Brüchen und Widersprüchen passten kaum mehr zu einer Nation, über deren Fernsehgeräte bald „Wetten dass..?“ oder „Die Schwarzwaldklinik“ flimmern sollten. Beides Medien-Ikonen einer nivellierten, ahistorischen Mittelstandsgesellschaft, die ihre inneren Konflikte fortan wieder hinter zugezogenen Gardinen ausfechten sollte. Nicht mehr unter der Dorflinde von Uhlenbusch.

Im fiktionalen Kinderfernsehen reüssierte einmal mehr die Ponyfilm-Idylle der Fünfzigerjahre. Serien wie „Neues vom Süderhof“ knüpfen nahtlos an die restaurativen Gesten der „Immenhof“-Filme an: possierliche Fohlen, heilvolle Fügungen und konservative Family Values. Kinder als kleine, kreuzvernünftige Erwachsene, die gemeinsam mit ihren verständnisvollen Mums und Dads Kröten über viel befahrene Bundesstraßen tragen und dem niedlichen Migrantenkind aus dem Asylbewerberheim ihre abgelegten Rollschuhe schenken. Probleme oder gar Krisen kennen diese Kinder nur von Außen, betrachtet aus sicherem Abstand durch die Scheiben eines praktischen Familien-Vans.

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