"Sommernachtstraum" am Thalia-Theater: Die Liebe im Dazwischen
Stefan Puchers Hamburger Inszenierung des "Sommernachtstraums" erreicht stilsicher das selbst gesteckte Ziel eines "Trips zwischen den Welten".
HAMBURG taz | Wenn es will, kann sich das Thalia Theater in ein beeindruckendes Kino verwandeln. Von der Decke hängt dann eine Leinwand, die es mit denen in Multiplexen locker aufnehmen kann. In Schwarz-Weiß-Großaufnahmen werden darauf an diesem Theaterabend die Charaktere eingeführt, die nach der Film-Ouvertüre live auf der Bühne weitermachen. Es sind Charaktere mit Namen wie Demetrius, Hermia oder Lysander. Namen, bei denen ein Fluchtreflex einsetzt bei allen Menschen, die nicht Philosophie, Theaterwissenschaften oder Geschichte studiert haben.
Aber Lysander in Großaufnahme auf einer Leinwand, das geht. Über das Mienenspiel Lysanders erfahren die Zuschauer, was los ist: Lysander und Hermia lieben sich, aber Hermia soll Demetrius heiraten. Der hat ein Problem damit, dass seine versprochene Ehefrau einen anderen will. Und er hat seinerseits eine Verehrerin: Helena, eine Freundin Hermias, stellt ihm nach.
Schon die Ausgangssituation von Shakespeares „Sommernachtstraum“ ist einigermaßen kompliziert und Regisseur Stefan Pucher macht mit seiner Filmeinspielung alles richtig: Sein Schwarz-Weiß-Film zitiert das Melodram der 1930er-Jahre, und das ist nicht nur komisch und sehr gut gemacht, sondern auch als grundlegende Orientierung wichtig. Schließlich spielt der „Sommernachtstraum“ in einem Zauberwald, in dem es bald drunter und drüber geht.
Es treten auf: Ein zerstrittenes Elfenkönigspaar, ein Diener, ein Esel und eine Truppe Laienschauspieler. Mit Hilfe von Liebeskraut werden die Liebenden umgepolt, das heißt: Ihre Liebe ändert die Zielperson. So geht es hin und her und schnell kennt sich keiner mehr aus.
Aus elisabethanischer Sicht ist der „Sommernachtstraum“ erotische Unterhaltung mit der Erkenntnis, dass die Liebe, zauberhaft wie sie ist, da hinfällt, wo sie will – unabhängig davon, was die Menschen gerne hätten. Am Thalia Theater ist der „Sommernachtstraum“ anspruchsvolle Unterhaltung, die zeigt, wie zauberhaft das Theater sein kann, wenn man seine Mittel ausnutzt, es um Film und Live-Musik erweitert und hervorragende Schauspieler hat.
Das Elfenkönigspaar kommt hier aus dem Reich der Sado-Maso-Szene, die Königin ist eine entrückte SM-Drag-Queen und der König ein bodenständig beleibter Leder-Kumpel. Immer wieder bringen atmosphärisch dichte, traumhafte Filmsequenzen den Hardcore-Underground nahe, während sich die vier liebenden Menschenwesen zwischen 80er-Jahre-Kostümen, überzeichneter Stummfilm-Theatralik und Biedermeier-Attitüde nicht verorten lassen.
Hinzu kommt der Auftritt der Studio Braun-Komiker Rocko Schamoni und Heinz Strunk, die die Laienschauspieler geben und der dunklen SM-Erotik Dada-Klamauk entgegensetzen: „Ich werde eine Wand spielen, an der die Poesie Blasen schlagen wird“, sagt Schamoni, der eine Wand spielt.
Eine lange Zauberwald-Szene strickt Regisseur Pucher um eine Videoleinwand herum. Auf der läuft eine Projektion, die vorgibt, von den Schauspielern betreten werden zu können: Die Schauspieler steigen zwischen Bühne und Leinwandprojektion hin- und her, als wären sie übernatürliche Wesen. Eine andere Szene parodiert eine Theateraufführung als Kinderfasching. Und dazwischen gibt es immer wieder meist düstere Rockmusik, zu der die SM-Drag-Queen bedeutungsschwanger singt.
Das Stück ist das dritte in Puchers Reihe „Trip zwischen den Welten“, in der er sich zuvor dem Dichter Hans Christian Andersen und der Figur Don Quichotte gewidmet hat. Beim „Sommernachtstraum“ besteht dieser Trip wiederum aus einem Trip zwischen den Gestaltungsmitteln: Der Film-Musik-Comedy-Klassiker-Mix nutzt die Shakespeare-Vorlage als Rahmen für die Aufgabe, das richtige Mischungsverhältnis für einen schlauen und zugleich unterhaltsamen Theaterabend zu finden. Das ist Pucher gelungen.
Über die Liebe ist damit aber nicht viel gesagt. Nur, dass sie in allen möglichen Welten vorkommt – und auch beim Trip dazwischen.
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