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Ballhaus NaunynstrasseVorsicht, Rutschgefahr!

Das Stück "Fahrräder könnten eine Rolle spielen" über das Behördenversagen beim NSU ist mehr Karikatur als Kritik der Wirklichkeit.

"Fahrräder könnten eine Rolle spielen" – im Fall NSU taten sich Behörden nicht gerade mit scharfen Analysen hervor. Bild: dpa

Das Unbehagen kommt erst später, da ist die Premiere von „Fahrräder könnten eine Rolle spielen“ im Ballhaus Naunynstraße schon vorbei. 22 Uhr, viele ausgehwillige Gruppen kommen mir vom Kottbusser Tor entgegen, spanisch-, englisch-, deutsch- und türkischsprachige. Und mittendrin auf der anderen Straßenseite plötzlich so ein Pulk, der „Deutschland, Deutschland“ grölt. Klingt ähnlich dumpf wie eben eine Rede von Sebastian Brandes in der Rolle eines fast hirnlosen Skinheads im Ballhaus Naunynstraße. Der steht innerlich vor lauter Patriotismus und Selbstermächtigung so stramm, dass er kaum noch eine Silbe unfallfrei artikulieren kann und sein Hitlerimitat versabbert. Bloß, im Theater war das lustig, wenn auch mehr sinnfreie Karikatur als zielgenaue Kritik. Hier draußen aber wird mir mulmig. Sind die so nationalstolzdumm, wie sie tun?

Die Erwartungen waren groß an das Stück „Fahrräder könnten eine Rolle spielen“. Zum einen sprachen dafür die Stärke der bisherigen Stücke der jungen Autorin Marianna Salzmann und die Qualität der Zeitschrift Freitext, die sie mit ihrem Ko-Autor Deniz Utlu herausgibt. Zum andern wusste man, dass es um das Versagen der Behörden in der Aufklärung der Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds gehen sollte. Eine dokumentarische Quelle des Stücktextes sollten die Protokolle sein, in denen die Journalistin Mely Kiyak die Sitzungen des Untersuchungsausschusses festgehalten hat, der die Blindheit gegenüber rassistischen Motiven aufklären sollte.

Doch dass tatsächlich Teile der Protokolle und somit Elemente einer Realität, die an Absurdität nicht zu übertreffen ist, in den Text eingeflossen sind, wird in der Inszenierung von Lukas Langhoff nicht deutlich. Man merkt zwar oft, dass ein ideologiekritischer Ansatz dahintersteckt und etwa die Gier der Medien nach rassistischen Verbrechen, die Verkaufbarkeit der Nachricht der emotionalen Kälte und Unempfindlichkeit gegenüber fremden- und schwulenfeindlichen Witzen einer hiesigen Mehrheitsgesellschaft gegenübergestellt wird.

Allein, die Figuren sind so konstruiert, so dreimal überdreht im Umgang mit Klischees, dass ihnen jede Glaubwürdigkeit abhanden kommt. Und das wäre eine Voraussetzung, um sich von dem Stück ernsthaft angesprochen zu fühlen. Was noch schwerer wiegt: Teils versteht man nicht, was eigentlich gerade gespielt wird, wo denn dieses Verhör stattfindet. Von einem erfahrenen Regisseur wie Lukas Langhoff hätte man solche Patzer nicht erwartet.

Ein starkes symbolisches Bild liefert der graue Matsch, in dem sich die Schauspieler die ganze Zeit bewegen – das heißt eigentlich, nur glitschen und rutschen können, jeder Schritt ein schmatzendes Geräusch. In ihm sitzen die meisten Darsteller die längste Zeit ziemlich festgeklebt auf ihren Stühlen und vor ihren Tischmikrofonen. Mal ist dieser Ort einer der Arbeitsplätze von Andreas (Simon Brusis), einem Aushilfskellner, der auch auf FDP-Tagungen oder eben im NSU-Untersuchungsausschuss Eis und Cola verkauft, mal der Wald, wo er die rechten Freunde von Lea, seiner Freundin, trifft. Das unbewegte Sitzen charakterisiert da die geistige Enge der einen wie der anderen. Der graue Schleim taugt auch als Modelliermasse, aus dem sich Sebastian Brandes einen Hitlerhaarschnitt überlegt, der bald seinen Anzug vollkleckert. Und wie sich nach jedem Schritt durch diesen Sumpf die Masse wieder spurlos schließt, ist auch symbolträchtig.

Die Szenenwechsel jedoch sind so abrupt und es ist ganz den Schauspieler überlassen, über Lautstärkenwechsel und eine kurze Strecke von wenigen Sätzen die neue Situation einzuführen – man kommt als Zuschauer nicht richtig nach. Warum will Andreas jetzt plötzlich seine Freundin Lea erschießen? Eifersucht? Bevor man überhaupt nur rätseln kann, ist er schon angeklagt, eine ganze Gruppe wohl rechter Jugendlicher, die vom Ankläger wiederum als arm und perspektivlos verharmlost werden, erschossen zu haben, angestiftet von Lea, die eigentlich eine Leila türkischer Herkunft sei und nur aus Tarnung rechts. Verwirrung im Übermaß. Man ahnt zwar, welche weitverbreiteten Blindheiten gegenüber Rassismus hier eigentlich gemeint sind, aber die hanebüchene Story hält einen fern. Wie jetzt, fragt man sich.

Wie jetzt, konnte man sich ja auch oft wegen der absurden Vorgänge fragen, die nach und nach von der Nicht-Verfolgung und Aktenvernichtung in der Geschichte der NSU-Morde bekannt wurden. Aber das Unbegreifbare der Realität trifft die Inszenierung eben nicht, sie verheddert sich in ihren eigenen Unbegreiflichkeiten. Das ambitionierte Unternehmen, dokumentarisches Material zu überspitzen und die Wirklichkeit zur Kenntlichkeit zu bringen, ist in die Hose gegangen.

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