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Kolumne FernsehenTiefkühlpizza, keinen Eintopf!

Jürn Kruse
Kolumne
von Jürn Kruse

Eine bessere Gesellschaft ist möglich. Mit Fernsehchips. Pädagogen haben wohl auch was gegen ihre Kinder.

W er ein großes Bedürfnis nach einem Gut erzeugen will, muss es verknappen. Das wissen alle Diktatoren, die was gegen ihr Volk haben, und alle Unternehmen, die was gegen ihre Kunden haben. Apple macht das alle paar Monate wieder, wenn es irgendwelche Geräte auf den Markt schmeißt. Deswegen hauen sich die Leute darum. Das gibt schöne Fotos.

Meine Eltern, beide Lehrer, verknappten das begehrte Gut Fernsehen. Mithilfe von Fernsehchips. Pädagogen haben wohl auch was gegen ihre Kinder. Es gab Fernsehchips in den Währungen 15 und 30 Minuten. Da ich noch drei Geschwister habe, wurde streng nach Alter gestaffelt. Mein drei Jahre vor mir geborener Bruder bekam mehr als ich, meine kleinen Schwestern bekamen weniger.

Ein paar Stunden Fernsehen pro Woche wurden uns zugeteilt. Wir konnten auch ansparen, haben wir aber nie. Die lange Filmnacht hätten wir eh nicht gucken dürfen. Aufbleiben war nämlich auch ein künstlich verknapptes Gut damals in Husum.

Also musste akribisch geplant werden: Die Fernsehzeitschrift wurde durchforstet, Sendungen markiert, Geschwisterrat gehalten. Wer opfert seine Chips für welches Programm? Der Tauschhandel blühte. Da Erziehung zu 90 Prozent Erpressung ist, wurden auch mal Fernsehchips gegen irgendeine Form von Leistung ausgegeben – das Bad putzen zum Beispiel.

Jürn Kruse

ist Medienredakteur der taz.

Die Sender haben das System längst erkannt: Sie verknappen das gute Programm. Sie quälen die Zuschauer mit „Berlin Tag & Nacht“ oder anderem Scripted-Reality-Müll. Dieses Kartell muss zerschlagen werden!

Deshalb fordere ich eine Gesellschaft mit Fernsehchips – auch wenn ich als Kind darunter litt und häufig zu meinem Freund Carsten auswich (dort: Fernsehen und Fertigpizza, zuhause: Reden und Eintopf). In einer solchen Fernsehchips-Handelszone müssten die, die nicht schauen, sich nicht mehr ständig über ein Medium beschweren, von dem sie sich abgewendet hätten, weil es dumm mache, sondern könnten ihre Fernsehchips an Dauerkonsumenten verscherbeln und das eingenommene Geld in wahre Kultur stecken (Kabarett, Kupferstiche). Und die, die sich bisher den ganzen Mist reinballerten, würden gezwungenermaßen darüber nachdenken, ob es sich lohnt, die kostbaren Wertmarken für „Schwiegertochter gesucht“ auszugeben.

Und würden die Menschen ihre Fernsehchips gemeinsam einsetzen, um so zusammen mehr fernsehen zu können, entstünde endlich wieder die gute alte Lagerfeuer-Atmosphäre in deutschen Wohnzimmern, die Regisseur Dieter Wedel so vermisst. Hat er zumindest auf den Münchener Medientagen gesagt.

Auf der anderen Seite wären die Programmmacher gezwungen, sich mehr Mühe zu geben. Denn wer fürs Programm die wertvolle Fernsehwährung ausgibt, erwartet Haute Cuisine – und keinen Haferschleim.

Ach, schöne neue Welt mit Fernsehchips. Ich wüsste auch schon, wofür ich drei 30-Minuten-Chips in dieser Woche ausgeben würde: für den kommenden „Polizeiruf 110“ mit Matthias Brandt – und danach würde ich so lange aufbleiben, wie ich will.

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Jürn Kruse
Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.
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5 Kommentare

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  • OH
    Olaf Heisch

    Eine wirklich interessante Aufforderung zum 'Handeln'. Vielleicht sollte man mittlerweile das Thema auch auf so manche Spielekonsole, Pod-Sucht oder auch Smart-Geräte übertragen.

  • W
    wauz

    Verknappung ist gut

     

    Fangen wir an mit der Gebühr. GEZ weg, dafür 5 Euro pro Nase und Monat aus dem Steuersäckel.

     

    Dafür wieder mehr Testbild. 8 Stunden Programm statt 24 Stunden Berieselung beim Fernsehen.

     

    Kein Geld für DFL oder sowas.

     

    3 private TV-Sender, auch mit je 8 Stunden Programm. Dann brauchen wir auch keine Landesmedienanstalten in dieser Größe mehr.

     

    Keine Lizenzen für Dudelradios.

    Und erst recht kein öffentlich-rechtliches Dudelradio mehr.

  • PP
    peter pa

    "Wie wärs mit der Abschaffung der öffentlich Rechtlichen und ner knallharten Pay-Per-View-Regelung!"

     

    Warum?

    Wer soll dann noch unbequeme, recherchierende Formate bezahlen? Leider gibt es davon nicht mehr so viele bzw. sie werden immer kürzer, aber Geld einzuziehen, um potentiell gutes Fernsehen machen zu können finde ich schon sinnvoll.

    Meiner Meinung nach sollte der ÖR sich auf "Bildung" konzentrieren und die Unterhaltungsgeschichten rausschmeissen. Das ist nich vermittelbar mit Zwangsgebühren. Ich mag zwar Fussball, freue mich auch, wenn ich ihn daheim anschauen kann, aber für viele andere ist das Mißbrauch ihrer Gebühren. Und für jeden gibt es da was anderes, was er eigentlich icht mitfinanzieren will. Macht Bildungsfernsehen, wie fuktioniert Wissenschaft, Geschichte, Politik... möglichst neutral, gibt ja schon gute Beispiele mit Arte, Phoenix, 3sat. Kein Unterhaltungsquatsch mehr, den sollen die Privaten machen.

    Damit könnte man eine Menge an Gebühren einsparen und gleichzeitig gute Rechercheteams besser bezahlen.

  • IK
    Inken Kruse

    Besonders beliebt waren die Chips auch als Extra im Adventskalender :)

  • D
    Dhimitry

    Ich werde das Gefühl nicht los, dass es das Konzept "Fernsehchips" in abgewandelter Form schon gibt.

     

    Wie wärs mit der Abschaffung der öffentlich Rechtlichen und ner knallharten Pay-Per-View-Regelung!