Jobcenter-Mitarbeiterin in Neuss getötet: Motiv unbekannt
Eine Jobcenter-Mitarbeiterin im nordrhein-westfälischen Neuss ist nach einem Messerangriff gestorben. Der Tatverdächtige wurde festgenommen.
NEUSS taz | Um kurz vor 9 Uhr betritt am Mittwoch ein Mann das „Bürocenter an der Rennbahn" in Neuss. Er nimmt den Eingang 4b des schmucklosen Gebäudes. Dort geht er zum Jobcenter. Er hat keinen Termin, aber ein Ziel. Der 52-Jährige geht ins Büro seiner zuständigen Sachbearbeiterin in der vierten Etage. Als er das Hochhaus wieder verlässt, bleibt sie tödlich verletzt zurück.
Über die möglichen Motive des Mannes ist derzeit noch nichts bekannt. Fest scheint bislang nur zu stehen, dass es sich bei seiner Messerattacke nicht um eine Beziehungstat handelt. Denn es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er die Jobcentermitarbeiterin auch privat kannte.
Der genaue Tatablauf muss ebenfalls noch rekonstruiert werden. Der Täter war mit seinem Opfer allein im Zimmer. „Das bedeutet, dass wir keine unmittelbaren Zeugen haben", sagte Britta Zur von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Nur so viel sei klar: „Die Situation ist im Gespräch eskaliert."
Der mutmaßliche Täter wurde in unmittelbarer Nähe des Tatorts festgenommen. Als die Polizisten ihn fassten, leistete der Mann keinen Widerstand.
Er sollte noch im Laufe des Mittwochs verhört werden. Ob der Tatverdächtige vorher schon durch andere Straftaten aufgefallen war, ließen Polizei und Staatsanwaltschaft zunächst offen. Es handelt sich um einen in Neuss lebenden Mann. Auch über ihn ist nicht viel mehr bekannt, als dass er „Kunde" des Jobcenters war, also einer von rund 6.200 Erwerbslosen in der Stadt. Die Arbeitslosenquote in Neuss beträgt 7,8 Prozent.
Der Angriff muss überraschend gewesen sein
Sein Opfer betreute ihn im Rahmen des Projektes „Visionen 50plus". Dabei handelt es sich um ein Programm des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, das sich an über 50-jährige Erwerblose richtet, die Arbeitslosengeld II beziehen.
Nach Angaben der Geschäftsführerin des Neusser Jobcenters, Wendeline Gilles, hatte die jetzt getötete Mitarbeiterin noch Anfang der Woche an einem Deeskalationstraining teilgenommen, bei dem Methoden erlernt werden, erzürnte Kunden zu besänftigen. Doch der Angriff muss für die Sachbearbeiterin völlig überraschend gekommen sein. Jedenfalls war die Frau, die seit knapp vier Jahren im Jobcenter an der Stresemannallee arbeitet, nicht einmal mehr in der Lage, die beiden Alarmknöpfe an der Tastatur ihres Computers zu drücken.
Es war ein Kollege in einem Nachbarbüro, der den Notruf betätigte und die Polizei über eine „Bedrohungssituation" informierte.
Die Neusser Arbeitsagentur hat vier Standorte. Seit Längerem ist geplant, sie in einem Gebäude zusammenzulegen. Im Gegensatz zu den anderen Standorten sind die Büros an der Stresemannallee nicht durch Zwischentüren miteinander verbunden. Dass die Gewalttat dadurch hätte verhindert werden können, hält Gilles allerdings für nicht sehr wahrscheinlich.
„Wir sind fassungslos über diese Tat", sagte Harald Vieten, der Sprecher des Rhein-Kreises Neuss in Nordrhein-Westfalen. Nach seinen Angaben stünden nach der Bluttat 15 Personen unter Schock und würden psychologisch betreut.
Das Jobcenter ist von der Polizei abgeriegelt worden und öffnet erst kommende Woche wieder. Am Mittwochmittag fuhr der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) nach Neuss, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen und den Angehörigen sein Mitgefühl auszusprechen.
„Diese Tat ist durch gar nichts zu rechtfertigen", sagte Schneider sichtlich bestürzt. „Weder durch eine schwierige private noch berufliche Situation." Der tödliche Übergriff dokumentiere auf schreckliche Weise, welchem Druck und welchen Spannungen die Beschäftigten von Jobcentern ausgesetzt seien, sagte er. Die MitarbeiterInnen verdienten hohe Anerkennung, „denn sie arbeiten pflichtbewusst, engagiert und im Interesse des Allgemeinwohls". Ihnen gebühre „unser Respekt und unser Dank".
Schneider kündigte an, gemeinsam mit der Agentur für Arbeit und Vertretern der Kommunen die Schutzvorkehrungen zu überprüfen. „Wir brauchen mehr Sicherheit", sagte Schneider. „Dieser Fall zeigt sehr deutlich, dass wir hier noch besser werden müssen."
Allerdings werde man eine Gewalttat wie in Neuss selbst bei größtmöglichen Sicherheitsvorkehrungen nicht gänzlich ausschließen können, „auch nicht durch neueste Technik".
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