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Urwahlforum bei den GrünenDie Grünen-Show läuft

Beim Auftakt ihrer Bewerbungstour für die Kür ihres Spitzenduos für die Bundestagswahl geben sich die Grünen in Hannover „piratös“.

Wo ist denn bloß Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt? Sie passte nicht mehr aufs Bild. Bild: dapd

HANNOVER taz | Das Los hat es gut mit Jürgen Trittin gemeint. So sitzt er beim Auftakt der Grünen-Castingshow zur Urwahl des Spitzenkandidaten-Duos am Freitagabend in Hannover zwischen Renate Künast und Claudia Roth auf der Bühne. Einmütig stecken die beiden Bundestagsfraktionsvorsitzenden und die Parteichefin immer wieder die Köpfe zusammen, tuscheln, lachen, die Kameras blitzen.

Ganz außen sitzt Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, die vierte Parteiobere, die die Grünen bei der Bundestagswahl 2013 anführen will. Sie hat den letzten Platz der Rednerliste gezogen. Schlecht für die Bilder: Auf ihrem Barhocker am rechten Rand der Bühne wirkt Göring-Eckardt gleich leicht abgeschlagen.

Und um die besten Bilder, die markigsten Sprüche, die meisten Lacher geht es am Freitag in Hannover beim ersten von elf so genannten Urwahlforen der Grünen. Zehn der 15 AnwärterInnen sind gekommen, um sich der Parteibasis vorzustellen, die im Oktober erstmals über ihr Spitzenduo entscheidet. Fünf der elf allesamt männlichen Mitglieder, die gegen Künast, Roth, Göring-Eckardt und Trittin antreten, sind erst gar nicht erschienen.

Die so genannten Basis-Kandidaten hatte Bundestags-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck bereits vorab zum Verzicht aufgerufen. Es müsse „schon ein Wunder passieren“, damit sich die Urwahl nicht unter den Profis entscheide. Gefährlich werden sie vor allem dem parteiinternen Favoriten Trittin: Die Mitglieder müssen eine ihrer beiden Stimmen einer Frau geben. Trittin könnte an die Basismänner empfindlich Stimmen verlieren.

Auch in der niedersächsischen Grünen-Spitze hätte sich mancher weniger weniger Aufwand und weniger Bewerber durch mehr Zulassungshürden gewünscht, Unterstützerunterschriften etwa. Hier ist die Wahl im Bund angesichts der Landtagswahl im Januar derzeit nicht die primäre Sorge. "Aber wer ein piratöses Verfahren will, der kriegt das auch", heißt es.

Drei Minuten Zeit

Tatsächlich erinnert beim ersten Urwahlforum einiges an die Piraten: Neben der Bühne Jung-Grüne mit Laptops. Streng wird auf die drei Minuten geachtet, die die BewerberInnen zur Vorstellung haben. Zwei Minuten gibt es pro Antwort auf die Fragen, die aus dem Publikum und dem Internet gestellt werden. Quotiert nach Geschlecht der Fragenden, schließlich ist man hier dann doch bei den Grünen.

Viel Zeit, politische Programmatik zu skizzieren, bleibt da nicht. Besonders die Basiskandidaten verheddern sich in Grundsatzerklärungen. „Lobbyismus ist der Sargnagel der Demokratie“, sagt etwa Roger Kuchenreuther, „und wir müssen endlich Nägel mit Köpfen machen.“ Wenig später erntet er Buhrufe, als er den Euro einen „Schnellschuss“ nennt und erklärt, „mit diesen ganzen Südländern haben wir uns ein ganz schönes Paket aufgehalst.“

Peter Zimmer, Tierarzt aus Bayern, tritt in Wams und Karohemd auf und stellt sich als „Beauftragter“ seiner Tochter vor. „Papa, kannst du die Erde retten“, habe die ihn gefragt.

Der 24-jährige Patrick Held, der Trittin „Opa Jürgen“ nennt, versucht es vor allem mit Theatralik. Mit großer Geste dreht er den Schirm seiner Basecap nach hinten, bevor er sich als „Getriebener meiner selbst“ vorstellt, der die geopolitischen Krisen dieser Welt in den Griff bekommen wolle. Der Schwabe Werner Winkler mutmaßt angesichts der Publikumsfragen gar, „dass die Leute weniger beten, solche Fragen würden sie sonst Gott stellen.“

Besonderen Dank richtet Winkler an Parteichefin Roth. Die habe ihn mit ihrer Antrittsankündigung im Frühjahr ermutigt, sich als erster Nicht-Promi zu bewerben. Damals hatte Roth im taz-Interview verkündet, das Spitzenduo müsse bei Konkurrenz per Urwahl bestimmt werden.

Wie beim Speed-Dating

Roth ist es auch, die ihre Drei-Minuten-Ansprache von den vier Profi-Grünen am besten nutzt. Göring-Eckardt bekennt, sie fühle sich „wie beim Speed-Dating“. Künast wähnt sich mit Nordrhein-Westfalen im falschen Bundesland.

Roth aber wettert im Agrarland Nummer eins gegen Riesenschlachthöfe und Innenminister Uwe Schünemann (CDU), wegen seiner rigiden Abschiebepolitik Lieblingsfeind der Grünen im schwarz-gelben Landeskabinett. Das trifft den Nerv in Niedersachsen, wo über ein Zehntel der 60.000 Parteimitglieder bundesweit lebt.

Und Trittin? Der sitzt auf der Bühne und lächelt, mal milde, mal gnädig, mal gequält. Markige Sprüche aber liefert er: Die Energiewende von „Gurkenkönigin“ Angela Merkel „geht nicht als Vollbremsung mit Peter Altmaier als Airbag“, etwa.

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18 Kommentare

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  • M
    mdarge

    @Uhr, ich glaube an das Gute im Menschen und bestreite, dass Renate Künast machtgeil und inhaltsleer wäre. Doch selten hat sich die Person der Spitzenkandidatin so negativ ausgewirkt, wie bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus. Selbst aus der Ferne war ein gewisser Lafontaine-Effekt zu spüren. Dezember 1990 wollte er uns weismachen, die Vereinigung würde teuer werden. Dass dies niemand hören wollte, nahm er einfach nicht zur Kenntnis. Widersprechen möchte ich in der Einschätzung von Claudia Roth. Sie mag ja eine gewisse Witzigkeit haben, doch sie bleibt stets oberflächlich. Renate Künast kokettiert, ohne Repitorien bestanden zu haben? Doch sie ist die einzige der Drei, die einen Abschluss vorzuweisen hat. Macht die Präsenz in den Medien die "ewige Vorsitzende" zur geborenen Kanzlerkandidatin? Welche Qualifikation verleiht Dauerpräsenz am Nockherberg? Tatsächlich fordert die Ausrichtung des Kirchentages ein gewisses Organisationstalent. Für mich ist die Kandidatin richtig, die das Herz am rechten Platz hat.

  • A
    Andreas

    Da haben sich die Grünen ja was wirklich originelles ausgedacht:

     

    Basisdemokratie von oben.

     

    Toll!

  • F
    fritzi

    wer, ausser den grünen selbst, interessiert sich denn noch für die grünen? sie sind schon lange das "kleinere übel" - nur weiss keiner mehr, wie viel kleiner dies übel eigentlich ist.

  • J7
    Jörg 70

    Welcher Kopf es auch wird, ein steht fest: Wahlkampf wird auf den Rücken von Minderheiten gemacht (zumindest Grüner), den durch Beschimpfungen, Ausgrenzung und Angst mache lässt sich der Pöbel gewinne (mit und ohne Abi).

    Da wir nun keine ethnischen und religiösen Minderheiten mehr aus grenzen dürfen machen wir es doch an anderen Dingen fest. Raucher sind nun schon stigmatisiert und das alle Unternehmer nur Ausbeuter sind gilt auch als bewiesen. Dann nehmen wir uns mal wieder die deutsche Landwirtschaft vor, kaum einer kennt einen von diesen Industrieagralobbyisten, kaum einer versteht was von Landwirtschaft also ist es ein perfektes Opfer.

    So geht Grüner Wahlkampf und Frau Tot hat schon mal damit angefangen.

  • SB
    Stefan Buchenau

    Es war einmal eine Partei, die wollte anders sein. Sie wollte friedlich, ökologisch, demokratisch und sozial agieren. Und weil die "Profis" und "Spezialisten" der anderen Parteien die Welt zu einem wenig friedlichen, kaum ökologischen, selten demokratischen und unsozialen Ort gemacht hatten, kamen die neuen darauf, das es vielleicht daran liegen könnte, dass man sich ändert, wenn man zu lange mit "Profis" und "Spezialisten" in Hinterzimmern herumkungelt. Deshalb erfanden sie die "Rotation"- in der letzten Fassung hieß das zwei Legislaturperioden- dan ist mann (und Frau) wieder "Basis". Das war klug gedacht, und deshalb hatte das Konzept unter all den frisch gebackenen "Profis" und "Spezialisten" auch keine Chance. Und wenn sie sich nicht ändern, dann bleiben sie eben "Profis" und "Spezialisten". Klingt komisch? Ist aber so!

  • 6D
    68. Deutscher Juristentag, September 2012, München

    Die 'liebe' machtgeile inhaltsleere Renate-Künast hat ihren Senf auf dem Empfang der bayrischen Landtagsgrünen im Bayr. Landtag (der Empfang der bayr. Grünen war Programmpunkt beim 68. Deutschen Juristentag, September 2012, München) abgegeben.

    Hierbei stellte ich fest: Künast interessiert sich offensichtlich NICHT für Bildung und das Schicksal von Bibliotheken (als Ort der Bildung) geht der Dame Künast auch am Allerwertesten vorbei.

    Wer Künast wählt, wählt Inhaltslosigkeit.

    Zum Thema Bildung hat sich Künast auch auf dem Parteitag der Berliner Grünen (der letzte Parteitag, der unmittelbar vor den letzten Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus lag) nur gelangweilt geäußert, und dort wieder nur ohne Fakten und ohne Argumente. Frau Künast interessiert sich offensichtlich nur für Macht und Machterhalt.

    Nicht dass ich Wowereit leiden kann, aber ich kann nachvollziehen, weshalb Wowereit mit den Grünen keine Koalition eingegangen ist. Künast ist hier (für mich) das beste Argument.

    Künast - eine Grüne ohne Format und ohne Argumete durchs Leben 'gehend'.

    Beim 68. Deutschen Juristentag hat die Künast doch tatsächlich sich lächerlich gegenüber den anwesenden JuristInnen (darunter RichterInnen) gemacht, als sie damit kokketierte, ihre beiden Staatsexamina ohne Inanspruchnahme von Repitorien bestanden zu haben.

    Damit zu kokketieren, finde ich lächerlich und es zeigt ein weiteres Mal, wie offensichtlich oberflächlich die 'gute Renate' zu sein scheint.

    Ausstrahlung hat die 'gute Renate' ebenso nicht; im Gegensatz zu Claudia Roth, die auch noch lächeln und herzhaft lacht; die Künast dagegen guckt nur verbiestert.

  • A
    audio0001

    Man stelle sich vor: Eine® dieser Damen und Herren aus der Grünen-Seniorentruppe (persönliche Meinung) verbrauchter Politiker, würde tatsächlich Bundeskanzler(in)!

     

    Und die Grünen muss man als Wähler schon fragen: "Habt ihr eigentlich nicht mehr dem Wähler anzubieten..."

  • M
    mdarge

    Der Artikel sollte zu denken geben. Katrin Göring-Eckardt fehlt nicht nur auf dem Photo, sondern als einzige auch im Parteirat. antares56 wäre zu sagen, es geht hier nicht um Nachwuchssuche, sondern darum Spitzenkandidaten zu küren. Obwohl man Politik mit Themen machen möchte, kann ein Gesicht mehr sagen als viele Worte. @noevil würde ich sagen, die Bundestagsvizepräsidentin ist diejenige, der ich am ehesten diese Verantwortung zutraue. @Trash der Lobbykratie ist am ehesten mit neuen Gesichtern beizukommen. Daher würde ich mich aus dem Quartett Trittin, Roth, Künast und Göring-Eckardt für die Jüngste entscheiden. Da Jürgen Trittin gesetzt scheint, sollte die Frau das bestmögliche Gegengewicht sein. Ansonsten ist die Frau aus dem Gotha-Ilm-Kreis auch die Schönste.

  • W
    weber

    "Die Grüne Horrorshow läuft."

     

    wäre ein angemessenerer Titel gewesen. Denn wenn ich schon das Bild der drei Ökoflaschen sehe, wird mir schlecht.

    Ich hoffe ja, dass nicht die Bilderberger den Trittin zum Chef bestimmt haben, sondern das Claudi die Chefin wird. Dann bekommt diese Partei auch die Vorsitzende, die sie am ehesten wiederspiegelt.

  • W2
    Wählerin 2.0

    Solange die nicht aus der Geschichte lernen und das Existenzrecht Deutschlands verneinen, sind sie nicht wählbar und da sie Autofahren nicht verbieten, sollten sie sich auch mal einen anderen Namen suchen.

  • H
    Harry

    Tja, so ist das halt mit der Basisdemokratie. In den letzten Monaten haben die Piraten - manchmal durchaus verdient - medial Haue bekommen, weil da allerlei merkwürdige Typen auftauchten.

     

    Aber wie man sieht, ist das bei den Grünen nicht besser. Da gibt es Leute wie Franz Spitzenberger, der eine "rasche, konsequente" Abschiebung von Bootsflüchtlingen fordert, damit sich Flüchtlinge "gar nicht erst auf den Weg machen". Schließlich drohe, dass wir dem "Zustrom an asylsuchenden Wirtschaftsflüchtlingen nicht mehr Herr werden" - solche lupenrein rassistische Positionen vermutet man eher bei den Pro-Parteien und NPD aber anscheinend kann man damit auch Urwahl-Kandidat bei den Grünen werden.

     

    Bisher ist nichts darüber bekannt, dass gegen Franz Spitzenberger ein Parteiausschlussverfahren angestrengt wird.

  • V
    vic

    Mäßiger Unterhaltungswert- das ist, was von den Grünen übrig geblieben ist.

    Mit Jutta Ditfurth an der Spitze hätten sie meine Stimme sicher. So jedoch sicher nicht.

  • UR
    Uwe Roos

    Die Grünen-Tournee startet und endet wohl mit den bekannten Gesichern zur Spitzenkandidatur. Inzenierte Basisdemokratie um das Fußvolk zu beruhigen. Könnte man jetzt eigentlich Wetten darauf abschließen, das am Ende Opa Trittin und Tante Roth in die Kameras grienen. Wer auf diesen Zauber noch hereinfällt, dem ist eh nicht zu helfen. Aber, die Grünen haben ihr Poltik-Entertainment bis zur Perfektion professionalisiert. Auch das ist eine Leistung.

  • T
    Trash

    Was wollen die den Menschen, denn jetzt wieder für Sand in die Augen streuen,um dann eventuell sich wieder für 4- Jahre an Diäten und Nebeneinkünften zu freuen? ES KOMMT NICHTS MEHR! Demokratie ist passee, Lobbykratie ist in.

  • N
    noevil

    Ob bekannt oder nicht oder weniger bekannt - wichtig wird immer sein, dass die Person, die die "Macht" erhält, eine politisch überzeugende Linie aufzeigen kann und weiss, dass ihr diese Macht nur auf Zeit verliehen ist, die mit Anstand wieder losgelassen werden muss, wenn es so gewollt wird. Dabei darf man getrost auf die SPD schauen mit Personen wie den heute geehrten Altbundeskanzler Schmidt, Willy Brandt oder auch Björn Engholm schauen. Die nahmen Verantwortung wörtlich.

     

    Nicht über die Leute hinwegsehen, die sie anschauen, sondern sie auch ansehen - vielleicht auch einmal mit einem kleinen Schmunzeln...

  • R
    Roman

    Es bleibt zu hoffen, dass die religiöse Claudia Roth nicht zu viel Einfluss innerhalb der Partei bekommt, denn das fehlt den Grünen im Vergleich zu den Piraten: eine klare Haltung zur Trennung von Staat und Kirche.

  • JM
    Jules Mari

    Özdemir vor Bundeskanzler.

    Man sollte die Aufmerksamkeit auf einen einzigen Spitzenkandidat fokussieren: Özdemir. Künast und Trittin hatten Ihre Chance, Roth nimmt niemand ernst und Göring-Eckardt kennt kein Mensch.

    Özdemir wäre der einzig valable Spizenkandidat der Grünen!

  • A
    antares56

    Die "normalen" Kandidaten haben doch gar keine Chance, wenn über die Medien immer nur die "grossen" Vier wahrgenommen werden! Auch bei den Grünen wollen sich Leute nicht von der "Macht" trennen.