Landgrabbing nimmt überhand: Kampf gegen Bodenspekulanten
Investoren legen zunehmend in Ackerflächen an und treiben die Preise in die Höhe. In Niedersachsen wollen die Landtagsgrünen das per Gesetz stoppen und Landwirte gegen die Konkurrenz stärken
HANNOVER taz | Landwirtschaftliche Flächen sind in Niedersachsen zunehmend beliebte Anlageobjekte privater Investoren. In der Konkurrenz um Ackerflächen wollen die Landtagsgrünen jetzt die Landwirte schützen. Noch Ende September wollen sie einen entsprechenden Gesetzentwurf in der ersten Landtagssitzung nach der Sommerpause einbringen.
Vom sogenannten Landgrabbing waren bislang vornehmlich Länder Afrikas betroffen: Investoren – meist aus China oder Saudi-Arabien – kaufen Land auf, auf dem zuvor Nahrungsmittel für die örtliche Bevölkerung angebaut wurden. Eine oft fatale Entwicklung: Die Erträge gehen vermehrt in den Export statt auf den lokalen Markt, die Nahrungsmittelpreise steigen. Verstärkt wird diese Entwicklung von der wachsenden Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen zur Erzeugung von Bioenergie wie etwa Mais für Biogasanlagen.
Wertbeständige Anlageobjekte
Und auch in Deutschland rücken Ackerflächen zunehmend in den Fokus von Investoren – in Zeiten der Finanz- und Eurokrise gelten sie als wertbeständige Anlageobjekte. Laut einer Umfrage des Immobilienverbandes Deutschland waren Kapitalanleger bereits Ende 2010 bei Ackerverkäufen vor den Landwirten die größte Käufergruppe.
Der durchschnittliche Kaufwert eines Hektars Ackerland hat in Niedersachsen laut Landesstatistikamt 2010 erstmals die 20.000- Euro-Marke geknackt.
Im Landkreis Vechta - Vorreiter der Agrarindustrie - lag der Kaufwert von Acker- und Grünflächen sogar bei über 40.000 Euro pro Hektar.
Verkauft werden in Niedersachsen vornehmlich kleinteilige Flächen von mehreren Hektar.
In ostdeutschen Ländern läuft das Geschäft für die Anleger noch besser: Dort werden größere zusammenhängende Flächen aus den einstigen Landwirtschaftlichen Produktionsgesellschaften gehandelt.
Längst den Überblick verloren haben die Agrarminister der Länder: Auf ihrer letzten Konferenz im April haben sie beschlossen, das Treiben der Bodenspekulanten wissenschaftlich untersuchen zu lassen.
In Niedersachsen spricht die Landwirtschaftskammer mittlerweile von einem Anziehen der Bodenpreise „auf breiter Front“. Dafür sorgten die Investorennachfrage, der Biogasboom – aber auch der Flächenbedarf der sogenannten Veredelungswirtschaft – sprich der Massentierhaltung. In Niedersachsens Mast-Hochburgen wie der Region Weser-Ems seien die Preise „geradezu explodiert“, stellt die Landwirtschaftskammer fest.
Preisanstieg von 23 Prozent
Die Landtagsgrünen warnen unterdessen, der durchschnittliche Kaufpreis für Äcker sei zwischen 2008 und 2011 um rund 23 Prozent von 1,66 auf über zwei Euro pro Quadratmeter gestiegen. Bäuerliche Landwirtschaft, sagt ihr Agrarpolitiker Christian Meyer, „erscheint unter diesen Marktbedingung nicht mehr wirtschaftlich“. Ackerflächen würden nicht nur spekulativ weiterverkauft, auch die Pachtpreise stiegen unter Großinvestoren. Vor allem für kleinere bäuerliche Betriebe, Ökolandwirte und Milchbauern ist das ein Problem. „Sie sind nur noch geduldete Leih- und Pachtarbeiter auf fremdem Boden“, sagt Meyer. Milchbauern etwa müssten bei gleichbleibenden Preisen zum Teil das Doppelte an Pacht zahlen.
Meyer sieht die Landwirte unter „massivem Druck“. Er sorgt sich nicht nur vor einer wachsenden Abhängigkeit kleinerer Betriebe von Bankenkrediten. Sie müssten angesichts der steigenden Bodenpreise zudem gegenüber agrarindustriellen Großbetrieben zurückstecken: Deren Nachfrage nach Flächen, vornehmlich zur Entsorgung von Gülle und Hühnerkot aus der Viehhaltung, sei ein zusätzlicher Preistreiber.
Mit ihrer Gesetzesinitiative wollen die Grünen dieser Entwicklung gegensteuern: Um zu verhindern, dass Investoren und Agrarindustrielle „alles nehmen, was sie kriegen können“, sollen ortsansässige Landwirte beim Bieten um Nutzflächen gestärkt werden, wie Meyer erläutert. Die Preise sollen im niedersächsischen Landwirtschaftsgrundstücksverkehrsgesetz bei Verkäufen und Verpachtungen auf 20 Prozent oberhalb der ortsüblichen Werte gedeckelt werden.
Veröffentlichungs-Pflicht für Ackerverkäufe
Vorrangige Rechte, sagt Meyer, dürften „nicht mit dem Scheckbuch ausgehebelt werden“. Denn bislang kriege der Meistbietende den Zuschlag – und in der Konkurrenz zu Großinvestoren hätten Landwirte meist das Nachsehen. Geplante Ackerverkäufe sollen veröffentlichungspflichtig werden, Kommunen beim Kauf kompletter Betriebe oder von Unternehmensbeteiligungen von Kapitalgesellschaften einen Genehmigungsvorbehalt bekommen.
Damit will Meyer die kleinbäuerliche und ökologische Landwirtschaft klar privilegieren. „Niedersachsen als Bauernland statt Bankenland“, sagt der Abgeordnete. Seine Fraktion konnte er damit überzeugen: Die hat den Gesetzentwurf jüngst einstimmig verabschiedet. Ob auch der Landtag darüber vor der Wahl im Januar abstimmt, ist hingegen fraglich: Das Plenum tagt bis dahin noch drei Mal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau